Rassismus, Antisemitismus und der Anschlag von Halle

»Eine Überraschung war es nicht«

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Interview Von

Es ist die Rede von einer neuen Qualität des Antisemitismus, weil es der erste bewaffnete Angriff auf eine Synagoge in Deutschland seit 1945 war. Finden Sie, das trifft zu?
Nein. Neonazistischen Terror gibt es seit 1945 gegen Jüdinnen und Juden, ­Migrantinnen und Migranten, Andersdenkende, Obdachlose und so weiter. Das ist kein neues Phänomen, das gibt es auch nicht erst seit den neunziger Jahren. Es gibt eine Kontinuität, die aber leider immer wieder geleugnet oder verdrängt wird. Daher würde ich auch auf gar keinen Fall von einer neuen Qualität sprechen. Es gab und gibt immer Morddrohungen gegen öffentlich sichtbare Juden und Jüdinnen, etwa Michel Friedman oder Ignatz Bubis, die ja in den neunziger Jahren sehr klar gegen Rassismus und rassistische Mordanschläge Stellung bezogen. 
Möglicherweise hat der NSU die Berliner Synagoge in der Rykestraße aus­gespäht. Ein Wachmann glaubt, Beate Zschäpe kurz vor dem ersten NSU-Mord im Café gegenüber der Synagoge gesehen zu haben. Das wurde nie richtig aufgeklärt. Synagogen werden in Deutschland nicht ohne Grund ­bewacht.

Die Synagoge in Halle war aber unbewacht.
Als ich vor einigen Jahren in Erfurt war, fiel mir sofort auf, dass dort kein ­bewaffneter Sicherheitsmann oder Polizist stand, sondern nur jemand aus der Gemeinde. Ich war verwundert, weil ich das anders kannte aus größeren Städten. Ich kenne die Interna nicht, aber es gibt einen Disput zwischen ­einem Regierungsverantwortlichen in Sachsen-Anhalt und dem Zentralratsvorsitzenden Josef Schuster, weil die Gemeinde in Halle offensichtlich immer wieder Schutz anforderte und ihn nicht bekam.

Der Attentäter war sowohl antisemitisch als auch rassistisch motiviert. Oft diskutiert man in Deutschland über die Phänomene Antisemitismus, Rassismus und Islamfeindlichkeit, als hätten diese nichts miteinander zu tun, manchmal werden sie in eine Art Konkurrenzverhältnis zueinander gesetzt. Wie ist Ihre Erfahrung damit?
Ich kenne das sehr gut. Gerade im Zuge des Jahres 2015 vernahm man immer wieder ein sehr perfides Argument: Der Antisemitismus wurde Geflüchteten und Muslimen angelastet und man sagte, man dürfe sie nicht ins Land lassen oder müsse ihre Zahl begrenzen, um die Juden zu schützen. Das ist ein rassistisches Argument, eine Ethnisierung und Externalisierung des Antisemitismus. Dagegen muss man ­ankämpfen. Es entspricht auch nicht der Perspektive und Erfahrung von ­Juden und Jüdinnen, von denen viele das anders sehen. Es lagert Antisemi­tismus aus der deutschen Geschichte und Gegenwart aus und das ist einfach falsch. Der deutsche Antisemitismus und Rassismus waren nach 1945 nie weg. Statt etwas dagegen zu tun, werden Minderheiten gegeneinander ausgespielt und ein Konkurrenzverhältnis wird geschaffen, das wie ein Keil zwischen sie getrieben wird.