Die Böttcherstraße in Bremen wurde als »Gesamtkunstwerk« mit esoterischen und völkischen Elementen konzipiert

Nazis, Esoteriker und germanische Götter

Seite 3

Der Tourist Stephan hat gerade das Glockenspiel bestaunt. Zufrieden ­lächelnd macht sich der 43jährige auf den Weg in die weitere Altstadt. Nach ­einem Besuch bei seinem Bruder in Hamburg sei er mit seiner Familie zum Sightseeing nach Bremen gekommen, sagt der Würzburger. Sichtlich fasziniert ist er von den spielerischen Verzierungen an den Fassaden der Böttcherstraße und von den in der Straße ­untergebrachten kleinen Läden, die hochwertige Haushaltswaren, hand­gemachte Bonbons oder exquisite Schokolade verkaufen. Der völkisch-esoterische Hintergrund des Hauses Atlantis ist Stephan gänzlich unbekannt. Davon erfahren zu haben, sei ihm auch gar nicht so wichtig, sagt Stephan. Vor allem habe er es genossen, sich der Atmosphäre in der Straße hinzugeben. Imponiert habe ihm auch das Relief, das ­direkt über dem Eingang der Böttcherstraße thront. »Mich hat es fasziniert, wie dieses Kunstwerk schon von weitem sichtbar war«, sagt der Einzelhandelsangestellte. Das Relief verleihe dem Straßenzug eine gewisse Aura. Auf dem »Lichtbringer« ist ein vom Himmel stürzender Jüngling zu sehen, der sein Schwert abwehrend gegen ein dreiköpfiges Drachenwesen richtet.

Ludwig Roselius als Skulptur.

Bild:
Till Schmidt

Bellgart ärgert solche Schwärmerei für den »Lichtbringer«. Denn dadurch werde dessen geschichtlicher Kontext ausgeklammert. »Das Relief wurde 1936 direkt über dem Eingang des Straßenzugs angebracht, um sich den nationalsozialistischen Machthabern anzubiedern«, sagt der Stadtführer. Denn trotz ideologischer Überschneidungen war die Böttcherstraße den nationalsozialistischen Machthabern ein Dorn im Auge. Vor allem in Das Schwarze Korps, dem Kampfblatt der SS, wurde häufig gegen Roselius’ »Gesamtkunstwerk« agitiert. Damit, dass sie an der Eingangsfassade den »Lichtbringer« montieren ließen, wollten Roselius und sein für zentrale Bauten zuständiger Architekt Bernhard Hoetger den drohenden Abriss der Häuser in der Böttcherstraße verhindern. Der Expressionist Hoetger war vor allem für die Gestaltung des »Haus Atlantis« verantwortlich.

Dem Nationalsozialismus huldigen

Auch Uwe Bölts hat sich mit der Geschichte des »Lichtbringers« befasst. Er ist Archivar der Böttcherstraße GmbH und hat die Geschichte des Reliefs für eine kürzlich erschienene Informationsbroschüre aufgeschrieben. »Der ›Lichtbringer‹ war eine klare Huldigung an das nationalsozialistische Regime, das versprach, Deutschland aus dem vermeintlichen Dunkel in eine lichte ­Zukunft zu führen«, sagt Bölts. Auf die nationalsozialistische Führung machte diese Geste allerdings keinen Eindruck. Im Gegenteil, Adolf Hitler selbst griff kurz darauf in einer kunst- und kulturpolitischen Rede auf dem Nürnberger Parteitag die Ästhetik und Ideologie der Böttcherstraße scharf an und verurteilte sie als pseudonationalsozialistisch.