Bent Knee beweisen auf ihrem neuen Album Eigensinn

Überempfindliche Schrulligkeit

Lo-Fi, Stoner Rock, Noise: Die Band Bent Knee zeigt auf ihrem neuen Album, dass sie mit vielen ­musikalischen Wassern gewaschen ist.

Der Musik von Bands, deren Mitglieder im Instrumentalstudium zusammengefunden haben, ist häufig ein spezifisch musikakademisches Aroma zu eigen. Sie riecht dann nach höherer Hausaufgabe: Durch alles musi­kalisch Einzelne, bewege es sich instrumental- und arrangementtechnisch auf noch so hohem Niveau, meint man, die Tonsatzaufgaben und Fingerübungen herauszuhören, an denen dieses Niveau herausge­bildet werden musste. Studenten des Berklee College of Music in Boston wird in den USA gar ein identifizierbarer »Berklee Funk« nachgesagt, die Neigung zu einem typischen Set musikalischer Manieren, etwa ­bestimmten chromatischen Harmonisierungen, Mixtursätzen und ­effekthascherischen Schlussmodulationen.

Von solcher Manieriertheit hat sich das im Berklee College of Music ­gegründete Sextett Bent Knee vollkommen befreit. Seit zehn Jahren macht die Band äußerst eigenständige Rockmusik, die so langsam auch in Europa wahrgenommen wird. Was den raffinierten Art Rock der Band schon seit der ersten Platte so lebendig macht, zeichnet auch das fünfte Album »You Know What They Mean« wieder aus, das im Oktober auf dem kleinen deutschen Prog-Label Inside Out Music erscheint: Er ist durch und durch zeitgenössisch. Die Musik vermeidet konsequent jenen unglücklichen Retro-Dialekt, in den elaborierte Rockmusik heutzutage gern verfällt, weil sie von den Modellen der Prog-Größen aus den siebziger Jahren nicht loskommt. Von unmittelbar materialen Anleihen bei Genesis, Pink Floyd, Yes und dergleichen fehlt bei Bent Knee derweil jede Spur, allenfalls an Robert Fripp, den Kopf von King Crimson, mag die antiintuitive, gewissermaßen ungitarristische Spielweise des schlaksigen Gitarrenantihelden Ben Levin erinnern. Kein einziges ausgewachsenes Gitarrensolo etwa findet sich auf der ­Platte, dafür sind umso mehr kleine, faszinierend idiosynkratische Gesten über die Songs verstreut.

Idiosynkrasie ist vielleicht das Stichwort, das die eigensinnige Musik von Bent Knee noch am ehesten trifft. Dem neuen Album gelingt darin ein unwahrscheinlicher Einstand: Es ist zugleich das bisher poppigste, als auch das schrulligste der Band. Waren die vier vorigen Platten bei aller inneren Vielfalt auf musik­dramaturgische Album-Einheit angelegt, gibt »You Know What They Mean« sich regelrecht der Zerfaserung hin, weit über das vom komischen Popjournalistenwort »songorientiert« Gemeinte hinaus.

 

Eröffnet wird das Album mit einer anderthalbminütigen Live-Aufnahme davon, wie die Band auf der Bühne mit technischen Problemen zu kämpfen hat. Oft haben solche dokumentarischen Beigaben ein Geschmäckle von angedrehter Intimität, in diesem Fall reihen sie sich schön ein in die übergreifende Zerfaserungstendenz. Diese reicht auch in die einzelnen Songs hinein, in denen das musikalische Geschehen häufig nach und nach in aufgelöste Effekt- und Noise-Wolken verdampft, um sich schließlich entweder ganz zu verflüchtigen, wie die Pianoballade »Bird Song«, oder um von dort aus wieder zu stärkeren Konturen zurückzufinden, wie das zunächst zerbrechliche, dann umso nachdrück­lichere Stück »Garbage Shark«.

Verknüpft wird solches Spiel mit verschiedenen Graden musikalischer Präsenz von einem stonerhaft-rotzigen Low-Fi-Sound, mit dem alle Songs liebäugeln. Am deutlichsten prägt diesen das eigentliche Eröffnungsstück »Bone Rage« aus: Wie als Motto stehen ihm zwanzig Sekunden grob übersteuerter Bandlärm voran – Geste: alle Regler aufreißen – der in ein lustvoll stupides Gitarrenriff mündet, dessen aggressiver Charakter den Songtitel voll und ganz einlöst. Gegen die motorische Achtelkette stemmt sich die extrem klangfarbenreiche, von dickem R&B-Vibrato bis zu ­brüchigem Schlafzimmergesang reichende Stimme von Sängerin Courtney Swain mit trotzigen rhythmischen Stauungen. Dabei steigert sie sich in immer wütendere Timbres hinein, bis der geladene Gesang sich schließlich in ungehemmt ätzendes Rufen entlädt, das wieder in einen völlig anders gearteten Refrain mündet: Wider die lückenlos voranpreschende Strophe lehnt dieser sich in einen gelassenen Half-Time-Beat ­zurück, über den ein verbogenes Pattern abgehackter Akzente verteilt ist. Der muskulöse Groove, der aus dieser Synkopenspannung aufsteigt, fordert so vehement zum Tanz auf, dass man das krumme 13/4-Metrum gar nicht bemerkt. Er führt dabei en passant vor, wie wenig die eherne Quadratur der Popmusik, der gerad­taktige Beat, zwingender Notwendigkeit entspringt, nicht einmal den ­Erfordernissen des unmittelbaren Gebrauchs.

Bent Knee: You Know What They Mean ­(Inside Out Music)