Missverständnisse über Meinungsfreiheit

Das wird man doch wohl noch sagen dürfen

Antizionisten versuchen, jegliche Kritik an ihren Positionen als Einschränkung der Meinungsfreiheit darzustellen. Eine bewährte Strategie, auf die auch die AfD zurückgreift.
Gastbeitrag Von

Man könnte glauben, Deutschland sei eine Diktatur, wenn man den Ausführungen zahlreicher AfD-Granden glauben mag. Die Rede ist häufig von „Zensur“, „Merkel-Diktatur“, „Wahlfälschungen“, hochgehalten wird Meinungsfreiheit gegen „politische Korrektheit“. Wer sich aber die Platzierung des deutschen Staates in Bezug auf Demokratieindizes ansieht und die tatsächlichen Prozesse in der Politik beobachtet, sieht, dass die Vorwürfe von AfD-Wählern in den allermeisten Fällen an den Haaren herbeigezogen sind und eher darauf abzielen, Kritik an der AfD als Bedrohung aufzufassen. Gleichzeitig haben vor allem Angriffe rechtsextremer Gruppen wie PEGIDA auf Journalisten dafür gesorgt, dass die Pressefreiheit in Deutschland eingeschränkt wurde.

Das wahre Ziel ist insofern die Etablierung und Rechtfertigung bestimmter umstrittener Meinungen, die in diesem Fall von vielen Debattenteilnehmern zu Recht als gefährliche Hetze einschätzt wird, und die Verschiebung des Meinungsspektrums nach rechts außen. Wer diese Meinungsverschiebung kritisiert und journalistisch oder als Einzelperson dagegenhält, dem wird folglich „Zensur“, „politische Korrektheit“ oder die „Rassismuskeule“ vorgeworfen.

Jetzt sorgt man sich von einer ganz anderen Seite ebenfalls um die Meinungsfreiheit in Deutschland, nämlich das vom qatarischen Staat finanzierten Medium „Al Jazeera“, dessen englischsprachige Version „Al Jazeera English“ unter gewissen linken Kreisen in westlichen Staaten ein gewisses Ansehen genießt. Eine irische freie Journalistin, die mit Deutschland allenfalls als Irlandkorrespondentin der Deutschen Welle zu tun hatte, beklagt sich in einem Meinungsartikel dort über „Unterdrückung von Andersdenkenden“ und „Leben in Angst“ in der Bundesrepublik.

Man dürfe nichts über Israel sagen, sonst betrete man gefährliches Territorium, zitiert die Autorin das Feigenblatt der „Israelkritiker“, „Jewish Voice for a just Peace in the Middle East“. In Deutschland existiere ein systematisches Muster von Zensur, Drohungen und Unterminierung von Kritikern Israels, man „lebe in Angst“, wenn man Israel nicht ausgiebig lobpreise. Der Grund? Die Stadt Dortmund hatte geplant, die pakistanisch-britische Autorin Kamila Shamsie mit dem Nelly-Sachs-Preis auszuzeichnen, benannt nach einer jüdischen Schriftstellerin und Dichterin, die vor dem Massenmord der Nazis nur durch ihre Emigration nach Schweden entkommen konnte. Antisemitismuskritische Gruppen machten jedoch auf ihre Unterstützung der antiisraelischen BDS-Kampagne aufmerksam und verwiesen darauf, dass der Nelly Sachs-Preis explizit dafür vergeben wird, die kulturellen Beziehungen zwischen Ländern zu verbessern.

 

Als die betroffene Autorin davon Wind bekam, lehnte sie den Preis augenblicklich ab und veröffentlichte ein Statement, in dem sie unter anderem den Tod zweier Palästinenser bei gewalttätigen Demonstrationen an der Grenze zu Gaza als absichtlichen Mord und die „Aberkennung“ des Preises als bewusste Unterstützung von Mord durch Israel hinstellte. Seitdem verbreiten 250 Personen des öffentlichen Lebens, darunter viele Schriftsteller und Akademiker, in einem mutmaßlich von BDS-Aktivisten wie Frank Barat vorbereiteten offenen Brief die Version, die Stadt Düsseldorf habe Shamsie „für ihren Menschenrechtsaktivismus bestraft“ und halten es gar für einen Skandal, dass das erwähnte Statement von Shamsie nicht auch noch öffentlich verbreitet wird. Schlimmer noch, die Nichtauszeichnung Shamsies durch die Stadt Düsseldorf wird als Einschränkung der Meinungsfreiheit, von Eintreten für Menschenrechte und der Freiheit für Kritik dargestellt.

Eine eigentümliche Auffassung, wenn man bedenkt, dass

  1. Shamsie den Preis selbst ablehnte
  2. der Nelly Sachs-Preis explizit nach einer jüdischen Emigrantin benannt wurde
  3. auf die Verbesserung der kulturellen Beziehungen abzielt und zuletzt
  4. Meinungsfreiheit nicht mit dem Recht auf die Verleihung von Preisen öffentlicher Stellen verwechselt werden darf.

Wer dagegen protestiert, sagt de facto, dass die Stadt Dortmund kein Recht dazu hat, selbst zu entscheiden, an wen sie ihre Preise verleiht bzw. ihre Fehler bei der Preisvergabe korrigiert.

Das Berliner Landesgericht – ein „Volksgerichtshof“?

Der Artikel geht aber noch weiter. Die Autorin behauptet, die palästinensische Community in Deutschland werde pauschal zensiert und bedroht und zitiert einen Palästinenser, der Israel als Apartheid-Staat, die IDF als „Terrororganisation“ bezeichnet und mit dem nationalsozialistischen Regime vergleicht und unter anderem nicht nur gegenüber der liberalen israelischen Abgeordneten Aliza Lavie, sondern auch gegenüber einer Holocaust-Überlebenden Anti-Israel-Parolen rief. Zudem vergleicht man sich mit der „Weißen Rose“, deren Mitglieder wegen ihres Verbreitens von Flugblättern vom „Volksgerichtshof“ der Nazis in einem Schauprozess exekutiert worden waren. Eine „Israel-Lobby“ des „Apartheid-Regimes“, dessen „Arm bis nach Deutschland reiche“, sei verantwortlich für den anschließenden Prozess wegen Hausfriedensbruch und versuchter Körperverletzung (in der der Angeklagte beim „Volksgerichtshof“ unter anderem die Zeit fand, antisemitische Flyer im Gerichtssaal zu verbreiten und ihm maximal eine kleine Geldstrafe droht). Der Prozess selbst wurde von den Angeklagten derart politisch für „Apartheid“-Vorwürfe und dem Verteilen von Flyern und Störung der Beweisaufnahme instrumentalisiert, dass er dermaßen in die Länge gezogen wurde. Das Gericht schob den Prozess erst einmal auf, weil der Aufwand in keinem Verhältnis zu den geringen zu erwartenden Ordnungsstrafen stünde. Was den Aktivisten nicht davon abhielt, sich als Opfer zu inszenieren.

 

Einer der Demonstrierenden stellte den Deutschen gar in Aussicht, sich nur dann von der deutschen Vergangenheit reinwaschen zu können, wenn man sich ihrer Aktion anschlösse, was an verquerer antisemitischer Logik kaum zu überbieten ist.

Zuletzt behauptet die irische Autorin noch, die Tatsache, dass die meisten deutschen Künstler sich nicht mit den BDS-Aktivisten solidarisieren, habe damit zu tun, dass sie Angst vor Israelkritik hätten und damit vor Nachteilen gegenüber ihrer Karriere hätten, und nicht etwa, weil sie Antisemitismus ablehnen. Was wiederum antisemitische Muster über eine „jüdische/“zionistische“ Verschwörung“ hervorstechen lässt, von bösartigen Lobbys und nicht etwa von Zivilcourage gegen Antisemitismus.

Deutschland als proisraelische Diktatur – und eine Diktatur als mutiger Kämpfer für Meinungsfreiheit

Deutschland zensiere also pro-palästinensische Meinungen, heißt es, über ein Land, das jedes Jahr die antisemitischen al-Quds-Demonstrationen des iranischen Regimes frei abhalten lässt und bis vor kurzem auch die Fahnen der Hezbollah erlaubte. Ein Land, dessen Behörden Brandanschläge an Synagogen schon einmal als politischen Protest darstellen und keineswegs als antisemitisch.

Besonders ironisch an dem Argument, gerade Deutschland verstoße gegen die Meinungsfreiheit, ist natürlich, dass Al Jazeera von der absoluten Monarchie Qatar finanziert und gesteuert wird, in der es keine Opposition und kein Parlament gibt. Der Emir verspricht bereits seit der Verabschiedung einer neuen Verfassung im Jahr 2003, es werde im Land bald endlich Parlamentswahlen zu einer bislang ausschließlich vom König kontrollierten, schwachen „beratenden Versammlung“ geben, ein Versprechen, das die al-Thani-Königsfamilie jedes Jahr seit 16 Jahren unaufhörlich erneuert. Zum Zeitpunkt dieses Artikels wurden immer noch keine Wahlen abgehalten, was angesichts der lächerlich unbedeutenden Kompetenzen dieses Gremiums aussagekräftig ist.

Dieser Artikel ist nur einer von einer langen Liste von überwiegend westlichen BDS-Aktivisten, die die Meinungsspalten des unter einigen linken westlichen Kreisen einflussreichen Mediums mit Pro-BDS-Artikeln füllen. Unter den letzten vier Meinungsartikeln des Mediums (Stand 24. September 2019) kritisierte einer die mangelnde Boykotthaltung der „arabischen Liste“-Parteien in Israel gegenüber israelischen Politikern als „Rechtfertigung Israels“ und einer „erklärte“ bzw. kritisierte die Ablehnung der Hamas durch Saudi-Arabien. Kurze Erinnerung: Die Hamas zitierte bis 2017 in ihrem Parteiprogramm die „Protokolle der Weisen von Zion“, einer antisemitischen Fälschung, die auch von den Nationalsozialisten zur Rechtfertigung des Holocaust verwendet wird. Sie verlangt im neuen Programm 2017 den „Widerstand und Jihad für die Befreiung Palästinas“, definiert als das „gesamte Palästina“ vom Jordan bis zum Mittelmeer, mit „allen Mitteln“ (darunter Terroranschläge gegen Zivilisten) und behauptet, „die zionistische Entität“ sei eine Bedrohung für die „islamische Ummah“ und die arabische Gemeinschaft und sogar eine Gefahr für den Weltfrieden.

 

Manchmal geht die Argumentation so weit, dass die Vertreibung der arabischen Juden als „Einschüchterung durch Israel“ und „kriminelle Taten des Mossad“ sowie angebliche Kollaboration mit den Franzosen in Algerien relativiert, ja, rechtfertigt wird. Als Argumentation dazu muss unter anderem die fadenscheinige Propagandalüge einzelner Teile der Muslimbruderschaft, man wünsche die Rückkehr der vertriebenen Juden, herhalten, was angesichts der antisemitischen Ideologie der Hamas, der palästinensischen Sektion der Bruderschaft, und ihrem Verweis auf die „Protokolle der Weisen von Zion“ und anderer antisemitischer Mythen absurd anmuten muss.

Meinungsfreiheit ist auch die Freiheit des Andersdenkenden, eine Meinung abzulehnen

Sowohl der AfD als auch den Autoren und Redakteuren von Al Jazeera liegt ein gefährliches Missverständnis von Meinungsfreiheit vor, das sich auch darin ausdrückt, dass besagte Gruppen ein heuchlerisches Verhältnis zur Meinungsfreiheit haben.

Nur weil ich eine Meinung habe, heißt das nicht, dass jeder andere sie auch kritiklos hinnehmen und wegen dessen Meinung öffentlich lobpreisen muss, denn das bedeutet wiederum auch eine Einschränkung der Meinungsfreiheit. Jemanden für allgemeine Leistungen zu ehren, und dies dann bei Kritik an den antiisraelischen oder antisemitischen Aussagen nicht mehr zu tun, ist keine Einschränkung von Meinungsfreiheit, schon gar nicht, wenn jemand extra WEGEN besagter antiisraelischer Aussagen geehrt werden sollte. Ein Faktum, das ein Deutsch-Jugoslawe ebenfalls auf Al Jazeera als „politische Verfolgung“ beklagt und die Kritik an BDS als „Verlängerung der Apartheid“ bezeichnet, aber journalistisch fast ausschließlich über Palästina schreibt und auf seiner Webseite stolz seine Doktorarbeit in „American Studies“(sic!) bei der Universität Mainz unter dem denkwürdigen Titel „Trans/Intifada. The Politics and Poetics of Intersectional Resistance“ präsentiert. Menschen wie diese sind typische BDS-Aktivisten, die versuchen, Antisemitismus in der Form der Israelfeindlichkeit bewusst mit linken Konzepten wie Trans-Rechte, intersektionalen Feminismus oder Antirassismus zu vermischen.

Artikel wie diese, die BDS aktiv unterstützen oder sogar von BDS-Aktivisten selbst geschrieben werden, tauchen dutzendfach bei Al Jazeera English auf und füllen die Meinungsspalten des Mediums.

Was einige Aktivisten unter „Einschränkung der Meinungsfreiheit“ hier verstehen, heißt eigentlich, zu verlangen, dass alle anderen die eigene Meinung auch teilen und öffentlich unterstützen müssen, auch wenn die da heißt, Israel als Staat abzuschaffen oder mit dem Naziregime gleichzusetzen. Oder wie im Falle der AfD eben konsequenterweise die Flucht von Menschen nach Europa als jüdische Verschwörung gegen die Völker Europas hinzustellen.

Das impliziert dieses völlig verquere Verständnis von Meinungsfreiheit, das eher „das wird man doch wohl noch sagen dürfen“ heißen sollte. Während die BDS-Aktivisten jegliche Kritik an ihren Aktivitäten als Einschränkung der Meinungsfreiheit brandmarken, spricht auch die AfD von „Zensur“, wenn sie Gegenwind zu ihren radikalen Positionen erhält. Die Sorge um Meinungsfreiheit ist letzten Endes nur vorgeschoben, in Wahrheit wünscht man sich die Verschiebung des Meinungskonsens in eine bestimmte Richtung und die Verhinderung von Kritik daran. Das ist beim Rassismus der AfD ganz genauso wie beim Antisemitismus der BDS-Bewegung.

Eine Reihe von Parallelen, die die selbsterklärten „Freiheitskämpfer“ und „Antirassisten“ von BDS sich einmal durch den Kopf gehen lassen sollten.