Prozess gegen SS-Wachmann

Handlanger der Vernichtung

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Am Montag, dem dritten Verhandlungstag, sagt Bruno D., es täte ihm leid, dass er seinen Wehrdienst an einem solchen Ort des Grauens ableisten musste. Er habe gewusst, dass die Menschen dort nichts verbrochen hatten. Er habe nie von seiner Waffe Gebrauch gemacht. »Ich habe vom Wachturm gesehen, wie Leichen aus den Baracken gezogen wurden«, sagt er. Die Richterin fragt nach: »Wer hat sie herausgezogen?« Andere Häftlinge in gestreiften Anzügen hätten die nackten Körper herausgeschafft, sie auf einen Handwagen geworfen und diesen, wenn er voll war, weggezogen, antwortet der Angeklagte. »Wohin?« fragt die Richterin. Das wisse er nicht, auch habe er nicht gewusst, woran die Menschen gestorben seien. »Ich habe nie eine Baracke von innen gesehen«, behauptet er.

Sein Bedauern und Mitleid stellt er später mit vielen anderen Bemerkungen in Frage. Offenbar ist ihm unverständlich, warum er vor Gericht steht und dass die Überlebenden ein Interesse an seinen Aussagen haben könnten. Es sei doch »schon so viel darüber gesprochen worden«, behauptet D. Es sei grausam gewesen, was er gesehen habe. »Ich war froh, dass ich bis zu diesem Verfahren alles verarbeitet hatte. Nun wird alles wieder aufgewühlt am Ende meines Lebens«, sagt er.

»Ich versuche, nicht zu hohe Erwartungen an den Prozess zu haben. Aber ich bin froh über jeden Tag, den ich kommen und von dem Angeklagten hören kann, was in dem Lager vor sich ging, denn das bedeutet meiner Großmutter und vielen anderen sehr viel«, sagt Cohen. »Uns etwas zu geben, nämlich die Wahrheit, das wäre eine enorm starke Geste an die Überlebenden und die Opfer«, so Cohen.

Judy Meisels Nebenklagevertreter Nestler sprach angesichts der späten Anklage vor Gericht von einem Justizskandal. Jahrzehnte habe es die falsche Annahme gegeben, man brauche zwingend den Nachweis einer unmittel­baren Tötungshandlung, um Ermittlungen wegen Beihilfe zum Mord einleiten zu können. Dabei hatten bereits in den sechziger Jahren Gerichte, etwa das Landgericht im nordrhein-westfälischen Hagen, die Bewachung von ­Vernichtungslagern durch SS-Wachmänner als »funktionelle Mitwirkung« am Massenmord gewertet und ver­urteilt.