Tod eines Afghanen durch Polizeigewalt

Keine Stille nach dem Schuss

Ein Polizist hat in einer Flüchtlingsunterkunft in Stade einen Afghanen erschossen, der psychische Probleme hatte. Der Beamte ist wieder im Dienst, doch Freunde des Getöteten und Aktivisten kämpfen für Aufklärung des Falls.

»Aman Alizada 1.10.1999 – 17.8.2019« steht auf der Spanholzplatte über einem Grab auf dem Friedhof Öjendorf in Hamburg. Der Mann, der dort beerdigt wurde, war 2015 als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling aus Afghanistan nach Deutschland gekommen. Er hatte sich in der niedersächsischen Stadt Stade bei Hamburg schnell eingelebt und galt als gut integriert. »Noch am Morgen hatte Aman A. dem Schützenumzug zugesehen und dem Ortsbürgermeister die Hand geschüttelt. Am Samstagabend wurde der 19jährige von der Polizei während eines Einsatzes in seiner Unterkunft im Stadtteil Bützfleth erschossen«, heißt es auf der Website des niedersächsischen Flüchtlingsrats.

Polizisten erschossen zwischen 2009 und 2017 hierzulande 74 Menschen. 38 von diesen waren offenbar psychisch krank.

Am Abend des 17. August habe ein Mitbewohner Alizadas aus Angst vor diesem die Polizei gerufen, sagte Kai Breas, der Sprecher der Stader Staatsanwaltschaft, der Taz. Da Alizada der Polizei bereits bekannt war, sei diese mit zwei Streifenwagen zu der Flüchtlingsunterkunft gefahren. Der Staatsanwaltschaft zufolge war Alizada zuvor auffällig geworden, als er einmal mit einem Messer bewaffnet durch die Stader Innenstadt gelaufen war. Vorbestraft war der Mann nicht.

In einer am Tag nach Alizadas Tod veröffentlichten Pressemeldung der Staatsanwaltschaft heißt es: »Beim Eintreffen der ersten Polizisten an der Erdgeschosswohnung des Mannes reagierte dieser zunächst nicht auf deren Ansprache von außen durch ein offenstehendes Fenster. Als kurze Zeit später die zweite Streifenwagenbesatzung die Wohnung betrat, ergriff der Mann eine Hantelstange aus Eisen und ging damit auf die Beamten los.« Die Beamten setzten der Staatsanwaltschaft zufolge zunächst Pfefferspray gegen Alizada ein. Dies habe keine Wirkung gezeigt, »so dass einer der Beamten seine Dienstwaffe einsetzte und zur Unterbindung des Angriffs auf den Angreifer schoss«, wie es in der Pressemeldung weiter heißt. Eine »sofort eingesetzte Notärztin« und die Besatzung eines Rettungswagens konnten Alizada nach Angaben der Staatsanwaltschaft nicht mehr helfen. Die Behörde kündigte an, sie werde prüfen, ob ein Fall von Notwehr vorliege.

Der Kriminologe Thomas Feltes, der an der Universität Bochum zu Polizeigewalt forscht, sagte der Taz, ein Angriff mit einer Hantelstange sei »ganz klar kein Grund, zur Waffe zu greifen«. Schließlich könne man einer Hantel ausweichen. Außerdem sei es bei einem solchen Einsatz sinnvoll, einen Psychologen und gegebenenfalls auch ein Spezialeinsatzkommando anzufordern. So könne die Situation aufgelöst werden, ohne dass die Beamten sich und andere gefährdeten.

Dörthe Hinz vom niedersächsischen Flüchtlingsrat findet es unverständlich, dass der Schütze mittlerweile wieder im Dienst ist, obwohl das Ermittlungsverfahren noch andauert. Im Gespräch mit dem Neuen Deutschland bestritt sie die Behauptung der Staatsanwaltschaft, Alizadas Mitbewohner hätten aus Angst vor dem 19jährigen die Polizei gerufen. Sie hätten diese vielmehr alarmiert, da sie aufgrund von Alizadas psychischen Problemen Angst um den jungen Mann gehabt hätten.