Die Band Kreidler spricht über den Klimawandel

Wellenreiten für die Ohren

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Neben den vier Bandmitgliedern von Kreidler sind auch Gastmusiker auf dem neuen Album zu hören, nämlich der brasilianische Dichter Ricardo Domeneck und die namibische Sängerin Nesindano Namises, auch bekannt als Khoes. Diese gab dem dritten Titel »Nesindano« seinen Namen. In ihm singt sie auf Khoe­khoe, einer im südlichen Afrika verbreiteten Sprache, von und gegen den Neokolonialismus: »Sida huada, ti a, sa« – alles ist unseres, meins und deins. Paulick, der mit Nesindano Namises zusammen an einem Theaterstück über die Geschichte der Herero und Nama gearbeitet hat, sagt: »Es ist ein Stück über die commons, über die normalen Bürger.« Und Reihse fügt hinzu, dass aus kapitalistischen Interessen Umweltkatastrophen in Kauf genommen würden, von denen die ärmsten Menschen am meisten betroffen seien. Auch hier bemerkt man die Sympathie für die neue Klimabewegung. Dass der Inhalt des Texts denen, die der namibischen Sprache nicht mächtig sind, verschlossen bleiben wird, nehmen die Musiker gelassen. »Wir finden es interessant, eine Botschaft zu vermitteln, die nicht verstanden wird und doch gleichzeitig zum Mitsingen einlädt. Es ist eine angenehme Entfremdung«, meint Reihse.

Ähnlich und doch gänzlich anders lief die Zusammenarbeit mit Ricardo Domeneck ab. Reihse wollte schon seit längerem mit ihm kooperieren. Für seinen Text, den er bei »Flood II« singt, gab es gleich zwei Entwürfe. Im ersten ging es um den Staudammbruch in der Nähe der Stadt Belo Horizonte, der Anfang des Jahres unzählige Häuser zerstörte und eine bislang ungeklärte Zahl an Todesopfern forderte. Doch letztlich entschied man sich für die zweite Version, die nun zu hören ist: Mit den Füßen im Sand schaut Domeneck auf das Meer und die Wellen und sinniert über ein Gespräch mit einem Geologen. Sie sprechen darüber, wie die Sandkörner, die am Strand liegen, aus weit entfernten Bergen stammen, und dass die Körner als Sedimente bis zum Strand gewandert seien. »Das klingt auf Deutsch und nacherzählt gleichwohl banal«, sagt Reihse.

Das brasilianische Portugiesisch, in dem gesungen wird, legt derweil einen Zauber über die gesamte zweite Plattenseite, die durchgehend einen leichten, dennoch ausgeprägten Charakter als Hintergrundmusik ent­wickelt. »Detlef Weinrich war es wichtig, dass man die Platte gut durchhören kann, wie man es zum Beispiel von ›Merry Christmas Mr. Lawrence‹ von Ryuichi Sakamoto kennt. Also Musik, die ein Ambiente in einem Raum erschafft«, so Reihse. Den Unaufmerksamen, jenen die nur nebenbei lauschen, aber nicht hören, bleibt dennoch die unge­heure Kraft verborgen. Die fünf Songs der B-Seite, von denen manche gerade mal zwei, andere fast sechs Minuten dauern, treten miteinander in Konkurrenz, obwohl in allen ähnliche musikalische Motive und Melodien wiederholt werden. In jedem Song werden die Verhältnisse der Instrumente zueinander neu justiert: Langsam flimmernde Beats treffen auf zart angeschlagene Bongos, ­minimalistisch dröhnende Samples wechseln sich mit aufsteigenden Synthesizertönen ab, im Hintergrund zart angeschlagene Gitarrensaiten – alles zurückhaltend, fast schon schüchtern.

Es ist ein fruchtbares Auf und Ab, es klingt nach den Gezeiten, es herrschen Ebbe und Flut. Auch wenn die Band dieses Mal Abstand von der »malerischen Abstraktion« ihrer Platten wie »ABC« wollte, bleibt festzuhalten, dass auch Kreidler – trotz des Wunsches nach Konkretion – im ­guten Sinn nicht aus ihrer Haut können. Es ist ein Album, das seine poli­tische Motivation unverhohlen und offen präsentiert und dabei trotzdem – nur vermeintlich ein Widerspruch – sehr sinnlich, sehr einfühlsam und sehr warm ist. Kreidler machen keinen Agit-Prop, sie machen Agit-Pop.

Kreidler: Flood (Bureau B)