Der Ökonom Manuel Sutherland über die Krise in Venezuela

»Die Reformen waren ein Reinfall«

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Interview Von

Wie lässt sich die derzeitige Wirtschaftspolitik Venezuelas charakterisieren?
Die Regierung hat mit ihr nahestehenden Vertretern der Wirtschaft und der Armee unter der Hand eine Öffnung der Ökonomie ausgehandelt. Diese läuft allerdings informell ab. Durch die US-Sanktionen ist es kaum mehr möglich, Kapital außer Landes zu schaffen. Daher wird jetzt wieder vermehrt in Venezuela investiert, aber nicht in öffentliche Dienstleitungen wie Strom, Wasser oder das U-Bahnnetz. Es gibt eine kleine aufstrebende Führungsschicht, die Geld in neue Luxusgeschäfte für importierte Waren oder Luxus­immobilien steckt, die plötzlich wieder gebaut werden.

Die Regierung pflegt noch immer eine sozialistische Rhetorik, von wirtschaftlicher Öffnung ist keine Rede. Wie ist diese Diskrepanz von Diskurs und konkreter Politik zu erklären?
Maduro ist 2013 nur deshalb an die Macht gekommen, weil der in diesem Jahr verstorbene Präsident Hugo Chávez darum gebeten hatte, im Falle seines Todes für Maduro zu stimmen. Von ­Anfang an hat Maduro versprochen, Chávez’ Erbe fortzuführen. Die Öffnung der Ökonomie entspricht aber dem ­Gegenteil von Chávez’ wirtschaftlichem Kurs, daher verkündet die Regierung diese Maßnahmen sehr zurückhaltend. Aus den eigenen Reihen und nicht nur von dort kommt Druck, die Wirtschaft zu öffnen. Mit dem sozia­listischen Diskurs richtet sich die Regierung an ihre eigene Basis, denn sie muss zeigen, dass sie anders ist als die Opposition.

Früher war der US-Dollar offiziell verpönt und nur auf dem Schwarzmarkt erhältlich, heute kann man praktisch überall in Venezuela mit US-Dollar bezahlen. Ist das die Vorstufe einer offiziellen Dollarisierung der Wirtschaft?
Dass in Dollar bezahlt wird, ist eine Folge der Hyperinflation. Die Leute rechnen und planen so ihre Einkünfte und Ausgaben. Die Geldmenge, die sich in Bolívares zurzeit im Umlauf befindet, entspricht umgerechnet gerade einmal 25 US-Dollar pro Person. Der Regierung blieb also gar nichts anderes ­übrig, als die US-Währung als Zahlungsmittel zuzulassen. Die Anzahl der US-Dollar, die durch Rücküberweisungen von Migranten, Schmuggel und ille­gale Geschäfte ins Land gekommen ist, übersteigt die offizielle Geldmenge wahrscheinlich um ein Vielfaches. Die eigene Währung komplett aufzugeben, ist aber ein komplexer Prozess. In dem Fall wäre es der Regierung überhaupt nicht mehr möglich, Geld zu drucken.

Eine offizielle Dollarisierung wird es also nicht geben?
Aufgrund der US-Sanktionen und weil es ein symbolischer Verrat an den chavistischen Prinzipien wäre, kann die Regierung diesen Weg nicht gehen. Was hätte das für eine Wirkung, wenn Maduro sagen würde: »Wir haben 20 Jahre lang gegen das Imperium gekämpft, um nun den US-Dollar einzuführen.« Eine rechte Regierung würde es wahrscheinlich tun, um die Inflation einzudämmen. Und die meisten Menschen wären damit wohl einverstanden, weil sie in den vergangenen Jahren ihre Ersparnisse in Bolívares verloren haben und außerdem davon ausgehen, dass auch die Löhne nach einer Dollarisierung steigen. Auch von ­linken Gewerkschaftern wird aus diesem Grund die Dollarisierung befürwortet.