Im Wahlkampf zu den Neuwahlen in Spanien polarisiert der Katalonien-Konflikt

Sánchez’ nächster Versuch

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Sánchez begann seinen Auftritt mit Zweckoptimismus: »Der Sieg des Sozialismus beginnt hier, in Sevilla, in Andalusien!« Das auf billigen Plastikstühlen sitzende Publikum klatschte frenetisch. Zuvor hatten die regionale Parteivorsitzende, Susana Díaz, und María Jesús Montero, die aus Andalusien stammende Finanzministerin der Minderheitsregierung von Sánchez, gesprochen. Montero bedankte sich überschwänglich bei Sánchez für ihren Ministerinnenposten und dafür, dass sie einen für Andalusien vorteilhaften Haushalt im Parlament präsentieren durfte – der allerdings nicht verabschiedet wurde, weil dafür die parlamentarische Mehrheit fehlt. Díaz sprach auch an, was für sie das zentrale Thema des Wahlkampfs ist: »Es leben mehr als eine Million Andalusier in Katalonien, und ich leide jede Nacht mit ihnen.« Sie verwehrt sich im PSOE seit Jahren dagegen, Katalonien mehr Autonomierechte zuzubilligen oder gar ein Referendum über die Unabhängigkeit zuzulassen. In dieser Frage unterscheidet sie sich kaum von rechtsnationalen Konservativen. »Was Spanien in diesem Moment in Wirklichkeit braucht, ist, dass sich die Patrioten hinter den Ministerpräsidenten stellen«, appellierte sie an Albert Rivera, den Parteivorsitzenden der Cs, und Pablo Casado, den Vorsitzenden des PP. Die beiden dürften aber nicht dazu bereit sein, eine erneute Minderheitsregierung des PSOE zu dulden. Da nutzt es auch nichts, wenn sich Montero in ihrer Rede demonstrativ beim wegen des repressiven Vorgehens gegen die jüngsten Proteste in Barcelona (Jungle World 43/2019) kritisierten Innenminister Fernando Grande-Marlaska (PSOE) bedankt: »Danke an meinen Genossen Marlaska dafür, die Ordnung in Katalonien besonnen aufrechtzuerhalten.«

Auch Sánchez stellte in seiner Rede die katalanischen Unabhängigkeitsbestrebungen als Bedrohung dar: »Wir stehen großen Gefahren gegenüber: Der Abkühlung der Weltwirtschaft, den Sezessionsbestrebungen in Katalonien und dem Brexit.« Deshalb brauche man eine starke Regierung. Wenn es um sozial gerechtere Politik geht, bleibt er hingegen eher vage. Nach dem 10. November komme »eine progressive Regierung, und dann ein progressiver Haushalt für ganz Spanien«.

Still und leise wollte die Madrider Parteiführung des PSOE jüngst einen Programmentwurf für die Wahlen am 10. November verabschieden, in dem wesentliche Punkte aus dem Wahlprogramm vom März entfallen sollten. So stand dort nur noch, Spanien solle »im Rahmen der Verfassung« und des »sozialen Ausgleichs« weiterentwickelt werden. Es fehlte hingegen die Aussage, dass der PSOE eine Föderalisierung Spaniens anstrebt, einen Ausbau der Autonomie und der Selbstregierung der Regionen. Miquel Iceta, der Vorsitzende der Regionalpartei des PSOE in Katalonien (PSC), erreichte schließlich, dass der Passus zum Föderalismus wieder aufgenommen wurde und so ein dezentralisierter, republikanischer Bundesstaat als Fernziel im Programm bleibt.

Nicht wieder aufgenommen wurde dagegen ein Passus, der im letzten Wahlkampf von den rechten Parteien skandalisiert worden war: Der PSOE forderte Steuererhöhungen für Vermögende und Spitzenverdiener. Davon ist jetzt keine Rede mehr. Dabei hat Spanien einen stark defizitären Staatshaushalt und von der EU erneut eine Aufforderung bekommen, Einsparungen vorzunehmen. Seit der Finanz­krise 2008 wachsen Besitz- und Einkommensunterschiede in Spanien stark. Die reichsten zehn Prozent der spanischen Bevölkerung besaßen 2007 zehnmal so viel wie die ärmsten zehn Prozent – mittlerweile sind es 15 Mal so viel.