Ziviler Ungehorsam ist eine erfolgreiche Taktik

Die Bewegung ist die Schule

Neue soziale Bewegungen lernen seit Jahrzehnten voneinander. Sie entwickeln ihre Aktionsformen weiter und mischen sich politisch ein.

Am 20. September folgten 1,4 Millionen Menschen einem Aufruf der Bewegung »Fridays for Future« zu landesweiten Protesten – an einem Werktag. Es waren die größten Proteste seit 1989. Klima ist das zentrale Thema, auf das sich die Linke einigen kann – nicht nur wegen der Klimakrise, sondern auch um dem europaweiten Vormarsch der echten entgegenzuwirken. Doch ­manche rümpfen die Nase über die neuen sozialen Bewegungen: zu wenig ­radikal, nur auf mediale Wirksamkeit bedacht, alles Theater.

Sie übersehen dabei, dass die Bewegung für Klimagerechtigkeit längst auch zivilen Ungehorsam praktiziert. Das ­Aktionsbündnis »Ende Gelände« hat mit der spektakulären Besetzung eines Braunkohletagebaus das Klimathema aus der Öko-Bubble geholt und den fossil-industriellen Komplex angegriffen. Klimaschützer, die lange von den »cool kids« der Szene für ihre selbstgemachten veganen Brotaufstriche ausgelacht wurden, haben in den vergangenen Jahren mit den Blockaden in den Braunkohlerevieren im Rheinland und in der Lausitz eine Form des zivilen Ungehorsams entwickelt, die für sich spricht: Wer Kohlebagger besetzt, braucht keine Nachhilfe in zivilem Ungehorsam.

»Ende Gelände« ist die gelebte Bewegungsschule und diente neuen radikalen Klimagruppen in anderen Ländern und bei anderen Themen als Vorbild. Im Herbst 2018 wurde die Vertei­digung des Hambacher Forsts gegen den Energiekonzern RWE zum Labor des zivilen Ungehorsams. Waldspaziergänge, die polizeiliche Demonstrationsverbote ignorierten, und Baumbesetzungen verhinderten die Rodung des Waldes.

»Fridays for Future« baut auf den sogenannten Hambi-Moment auf. Die Schülerinnen und Schüler haben mit ihren Schulstreiks eine Form des zivilen Ungehorsams gewählt, die anschlussfähig ist. Sie wissen, dass Platzbesetzungen wie die von »Extinction Rebellion« (XR) ins Leere gehen, weil Aktionen nur dann gut vermittelbar sind, wenn die Beteiligten die Orte konkreter Kämpfe besetzen, wenn Konzerne und Regierungen anstelle von Indivi­duen zur Verantwortung gezogen werden. »Fridays for Future« will konkrete politische Veränderung. Und dafür reicht es nicht, recht zu haben. Es braucht Botschaften, die auch außerhalb von Marx-Lesekreisen verständlich sind. Denn nur mit Rückhalt in der Bevölkerung lassen sich die notwendigen radikalen klima- und sozialpolitischen Änderungen gegen Staat und Kapital durchsetzen.

 

Der nächsten Aktion des zivilen Ungehorsams von »Ende Gelände« am 30. November im Lausitzer Braunkohlerevier werden sich auch Schüler von »Fridays for Future« anschließen: mit eigener ungehorsamer Aktionsform irgendwo zwischen Latschdemo und Baggerblockade. In der Lausitz, einer Region, die am Tropf des Energiekonzerns LEAG hängt, in der die AfD bei den Landtagswahlen stärkste Kraft wurde und Klimawandelleugnung hoch im Kurs steht, werden Protestierende gemeinsam zivilen Ungehorsam leisten, mit der vom Wendland bis zum Hambacher Forst erprobten Stra­tegie: unterschiedliche Aktionsformen, gleicher Ort, gemeinsame Botschaften.

In Zeiten, in denen einige Abgeordnete der Unionsparteien die AfD als »bürgerliche Partei« bezeichnen und über Koalitionsverhandlungen spekulieren, müssen Linke dringend den Diskurs verändern, wenn sie bestehen wollen. Klimawandel und Umweltzerstörung müssen als soziale Probleme verhandelt werden, die dem Kapitalismus immanent sind. »Fridays for Future«-Sticker in Chemnitz oder Cottbus sollten als Signal verstanden werden, diese Jugendbewegung auch in Bündnisse für kommende antifaschistische Proteste aufzunehmen. In Thüringen waren es Schülerinnen und Schü­ler, die vor der Landtagswahl die größten Demonstrationen gegen die AfD organisierten. Die Bewegung für Klimagerechtigkeit zu unterstützen, bedeutet gerade im Osten, den Kalbitzes und Höckes nicht das zu Feld überlassen.

Gemeinsam haben »Ende Gelände« und »Fridays for Future« die gesellschaftliche Legitimität und politische Schlagkraft, um aus dem Bewegungsdünkel herauszutreten und reale politische Veränderung zu erkämpfen. Ende November zu Tausenden ein Kohlerevier in Brandenburg zu besetzen, wäre bereits die Fortgeschrittenenklasse in der Schule des zivilen Ungehorsams.