Laborbericht

Großer Bahnhof

Kolumne Von

Man kann bekanntlich gar nicht früh genug anfangen, an Weihnachten zu denken. So hat also der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) bereits Mitte Oktober einen Wunschzettel unter dem Titel »Berliner Weltraumerklärung« geschrieben, in dem er mehr deutsche Präsenz im All fordert. Beim »Weltraumkongress« des BDI am 18. Oktober in Berlin wünschte sich der BDI-Präsident Dieter Kempf in seiner Rede einen deutschen Weltraumbahnhof. Die Rolle des Wirtschaftsministers ist in solchen Fällen die des spendablen Onkels, der dem Lieblingsneffen keinen Wunsch abschlagen kann; also sicherte Peter Altmaier (CDU) prompt zu, er werde die Forderung »gerne prüfen«.

Der Spott auf Twitter und in Satiresendungen ließ nicht lange auf sich warten. Auch hieß es häufig, dass ein Raketenstartplatz möglichst nah am Äquator liegen sollte, weil man dort besonders viel Schwung von der Erdrotation mitnehmen könne; schon deshalb sei ein Standort in Mitteleuropa unsinnig.

Das stimmt allerdings nur halb. Der Raumfahrtingenieur Michael Khan wendet in seinem Blog »Go for Launch« ein, dass dies in erster Linie für geostationäre Satelliten gelte, während die Zukunft der Raumfahrt eher in Umlaufbahnen liege, die sich auch gut von höheren Breiten aus erreichen ließen. Das trifft vor allem zu, wenn man einen möglichst großen Teil der Erdoberfläche erfassen will – etwa mit Kommu­nikationssatelliten, zum Sammeln gewinnträchtiger Geodaten oder aus Neugier, was andere Staaten so treiben. An Spionage dürfte der BDI bei seiner Forderung nicht zuerst gedacht haben, an das kommerzielle Potential von Kleinsatelliten hingegen schon.

Physikalische Gründe stehen den hochfliegenden Plänen der deutschen Wirtschaft also nicht unbedingt entgegen. Dennoch ist sich die Fachwelt einig, dass hierzulande zumindest ein mit Baikonur oder Cape Canaveral vergleichbares Startgelände nicht in Frage kommt. Weltraumraketen bestehen bekanntlich aus mehreren Triebwerksstufen, die nach dem Ausbrennen eine nach der anderen abgeworfen werden – keine gute Idee, wenn man weder eine riesige Steppe noch Tausende Kilometer Ozean ohne störende Inseln zur Verfügung hat.

Ulrich Walter, ehemaliger Astronaut und mittlerweile Professor für Raumfahrttechnik, sah im Interview mit dem Spiegel höchstens die Möglichkeit eines »Weltraumflughafens«: Mit Flugzeugen ließen sich Raketen samt ihrer Nutzlast in die erforderliche Höhe bringen und dann über sicherem Gebiet zünden. Khan bringt in seinem Blog-Beitrag eine deutsche Startrampe außerhalb Deutschlands in Spiel, etwa eine umgerüstete Ölbohrplattform weit draußen in der Nordsee. Einen echten, großen Weltraumbahnhof in Deutschland hingegen wird es so lange nicht geben, bis – um den Science-Fiction-Autor Douglas Adams zu zitieren – »jemand herausfindet, wie man Raketen rechtwinklig zur Realität abfeuert«.