Ein hoher LKA-Beamter räumte ein, dass im Fall der rechtsextremen Terrorserie in Berlin-Neukölln Quellenschutz vor Opferschutz ging

Schlampig ermittelt

Mehr als 25 600 Menschen fordern einen Untersuchungsausschuss zu der rechtsextremen Anschlagsserie im Berliner Bezirk Neukölln.

Zwei abgebrannte Autos, eine eingeworfene Ladenscheibe: Bereits drei Mal wurde Heinz Ostermann Ziel mutmaßlich rechtsextremer Angriffe. Er betreibt in Rudow, einem südlichen Ortsteil des Berliner Bezirks Neukölln, die Buchhandlung »Leporello«. Am Montag voriger Woche übergab Ostermann Raed Saleh, dem Fraktionsvorsitzenden der SPD im Berliner Abgeordnetenhaus, eine Petition mit mehr als 25 600 Unterschriften. Diese fordert »die Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum Umgang der Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden mit dem rechten Terror«.

Von den Regierungsfraktionen des Landes Berlin unterstützt allein die Linkspartei die Forderung; Saleh und die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Antje Kapek, sprachen sich dafür aus, einen Sonderermittler einzusetzen. ­Bereits Mitte vorigen Monats sagte der Sprecher des sozialdemokratischen ­Innensenators Andreas Geisel dem Tagesspiegel, die Senatsinnenverwaltung werde dies in Betracht ziehen, sobald die Ermittlungsergebnisse der im Mai gegründeten Ermittlungsgruppe »BAO Fokus« vorlägen.

Die Anschlagsserie begann im Mai 2016 mit einem Brandanschlag auf ­einem queeren Wagenplatz. Es folgten 14 Brandanschläge auf PKW sowie ­einer auf das im nördlichen Neukölln gelegene linke Kollektivcafé K-Fetisch. Die »Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus« (MBR) hat seit Beginn der Serie 55 mutmaßlich rechtsextreme Angriffe in Neukölln gezählt, darunter auch Stein- und Farbflaschenwürfe durch die Fenster von Wohnhäusern sowie Graffiti an Hauswänden und in Fluren, die Menschen, die sich antifaschistisch engagieren, einschüchtern sollen.

Dass die Anschlagsserie bislang nicht aufgeklärt wurde, könnte auf Ermittlungsfehler sowie rechtsextreme Verbindungen in die Behörden zurückzuführen sein. Das vermuten zumindest die Betroffenen und ihre Unterstützer. Mangelhaft ermittelt habe die Polizei etwa im vergangenen März, sagte Jürgen Schulte vom Bündnis »Hufeisern gegen rechts« aus dem Südneuköllner Ortsteil Britz im Gespräch mit der Jungle World. Damals habe eine Person, die sich gegen die rechtsextreme Szene in Neukölln engagiert, eine Morddrohung in ihrem Hausflur entdeckt. Eine Bekannte des Betroffenen habe die ermittelnden Polizisten darauf hingewiesen, dass sich an der Haustür Spuren befinden müssten, da diese aufgehebelt worden sei, und dass es in der Umgebung des Wohnhauses mehrere Großmärkte mit Überwachungskameras gebe, die die Täter gefilmt haben könnten. Auf beides seien die Beamten nicht eingegangen. »Solche Schlampereien sind bei den Ermittlungen zu der Anschlagsserie in vielen Fällen passiert«, so Schulte. »Das führt dazu, dass Indizien nicht mehr verfügbar sind.«

Der Petition zufolge ist der »potentielle Täterkreis bekannt«. Recherchen des ARD-Magazins »Kontraste« und des RBB legen nahe, dass die Tatverdächtigen mit Beamten der Ermittlungsbehörden in Kontakt stehen. So sollen zwei Beamte im März 2018 beobachtet haben, wie sich ein Beamter des Berliner Landeskriminalamts (LKA), der nicht dienstlich unterwegs war, in einer ­Rudower Kneipe mit drei Neonazis traf. Der Beamte soll damals in einer LKA-Abteilung tätig gewesen sein, die auch für polizeiliche Observationsmaßnahmen zuständig ist. Nach dem Treffen soll er mit einem der Neonazis in sein Auto gestiegen und davongefahren sein.

Bei dem Neonazi soll es sich um ­Sebastian T. gehandelt haben. Dieser steht unter Verdacht, in der Nacht vom 31. Januar auf den 1. Februar 2018 zusammen mit Tilo P. die Autos des Neuköllner Politikers Ferat Kocak (»Die Linke«) und des Buchhändlers Ostermann angezündet zu haben. Einem Bericht der Taz zufolge war dem Verfassungsschutz (VS) vor den Brandanschlägen bekannt, dass T. und P. sich bereits im Januar 2017 am Telefon über Kocak unterhalten und ihn am 15. Januar 2018 ausspioniert hatten. Am 30. Januar 2018 soll der VS seine Informationen an das LKA übermittelt haben. Wie der Tagesspiegel berichtete, gab Oliver Stepien, der stellvertretende Leiter des LKA, am Montag im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses bekannt, der VS habe die Informationen an das LKA mit der damals gängigen Auflage weitergeleitet, diese nicht für Ermittlungen, eine Gefährderan­sprache des Täters oder eine Sicherheitsansprache mit dem potentiellen ­Opfer zu verwenden. Diese Auflage wurde inzwischen auf Weisung von Innen­senator Andreas Geisel (SPD) abgeschafft. Künftig soll Opferschutz vor Quellenschutz gehen. Bereits am 17. Januar 2018 hatte der VS dem LKA mitgeteilt, er habe ein Gespräch zweier Tatverdächtiger abgehört, in dem es darum gehe, dass einer der beiden Männer eine Person ausgepäht und verfolgt habe. Die Polizei ermittelte drei poten­tielle Opfer, darunter auch Kocak, den sie aber nicht als gefährdet einstufte.  

Am 2. Februar 2018 durchsuchte die Polizei mehrere Wohnungen, die mit T. und P. in Verbindung stehen, und beschlagnahmte Laptops, Handys, Speicherkarten und schriftliche Unterlagen. Zu einer Festnahme kam es nicht. T. soll bis Ende 2016 Kreisvorsitzender der Neuköllner NPD gewesen sein, bei P. handelt es sich einem Bericht der Welt zufolge um einen früheren Bezirksvorstand der Neuköllner AfD, gegen den seit Februar ein vom Berliner Parteivorstand eingeleitetes Parteiausschlussverfahren läuft.

Schulte geht davon aus, dass die meisten Straftaten, zu denen noch ermittelt wird, nicht aufgeklärt werden. »Ein Untersuchungsausschuss müsste auch die Akten zu eingestellten Verfahren unter die Lupe nehmen, um Unstimmigkeiten in den Behörden aufzudecken«, sagte er der Jungle World.