Ausstellung zum Mauerfall

Sprechende Landschaften

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Eindrucksvoll ist auch ihre Arbeit »Moll 31«, die schon 1995 in Buchform erschienen ist. Loeper vergleicht darin ihr Elternhaus vor und nach der Wende anhand von alten Fotos aus dem Archiv ihrer Familie sowie von späteren, von ihr selbst gemachten Aufnahmen aus der Nachwendezeit. Auf den grobkörnigen ­Vorwendefotografien der einzelnen Räume sieht man die zwar einfache, aber belebte Wohnung mit einer schwangeren Frau, später mit drei Kindern. Die spartanisch eingerichteten Zimmer treten angesichts der Vitalität der darin Wohnenden – hier wird Fasching gefeiert und Weihachten begangen – in den Hintergrund. Loeper hat sich bei ihren Nachwendeaufnahmen bemüht, die gleiche ­Position wie auf den alten Fotos einzunehmen, so dass die Gegenüberstellung sehr genau gelingt. Auf den späteren, menschenleeren Bildern ist die Wohnung dem Verfall preisgegeben. Das Haus galt bautechnisch als nicht mehr sicher, mittlerweile wurde es abgerissen. Da die Mutter der Fotografin früh verstarb, stellt »Moll 31« auch eine Erinnerung an sie dar, die die Wende nicht mehr erlebte.

Das Setting in Sven Johnes Film ist ein Casting-Büro, in dem mehrere Männer in einem Rollenspiel gegen­einander anzutreten scheinen. Sie müssen ihre schauspielerischen Künste und ihr rhetorisches Talent unter Beweis stellen. Sie legen sich beispielsweise Bärte an und verwandeln sich so in Karl Marx oder Friedrich Engels, um Fragen nach dem »Kommunistischen Manifest« in seiner ursprünglichen Form und nach der Aktualität des Kommunismus zu beantworten.

Weniger spielerisch arbeitet der aus Dresden stammende Filmemacher Mario Pfeifer. In seinen eindrucksvollen Interviews berichten Menschen über ihre alltäglichen Erfahrungen, über Arbeitsverlust, Wegzug von Nachbarn, Abwanderung, Zukunftssorgen. Sie geben nicht nur Auskunft über sich selbst, sondern auch über ihre Vorstellung von einer progressiven Gesellschaft. Viele von ihnen engagieren sich auch zivilgesellschaftlich. Diese Porträts wenden sich gegen Klischees wie dem der jammernden, unengagierten Ostdeutschen oder dem des mental nach rechts abgedrifteten Sachsen.

Der in Ostberlin geborene, in Leipzig lebende und arbeitende Künstler Falk Haberkorn streift in seiner fotografischen Dokumentation auf Landstraßen durch die ostdeutsche Provinz. Man fragt sich, wo deren Bewohner geblieben sind. Haberkorn gibt leise Auskunft über den brain drain, der hier stattgefunden hat. Den »blühenden Landschaften« stellt er einfach Landschaften gegenüber, die für sich sprechen.

Von Abwesenheit berichtet auch die Berliner Multimediakünstlerin und Professorin für Medienkunst Peggy Buth in ihrem Beitrag zur Ausstellung: einem kleinen Foto, auf dem ein leerer, verwaister Sockel zu sehen ist. Hinter dem schweren Sockel tut sich ein hellblauer, wolkenloser Himmel auf, einige Kiefern ducken sich hinten im unteren Bild-drittel. Wer auf diesem Sockel einst gestanden hat, ist nicht erkennbar, keine Inschrift verrät, wessen hier einmal gedacht wurde. Dieses Foto, das eine monumentale Abwesenheit wie auch einen fast beängstigend freien, unverstellten Himmel zeigt und von Verlust und Gewinn, Vergangenem und Neuem erzählt, bildet so etwas wie das inhaltliche Zentrum der Ausstellung. In dieser wird nicht larmoyant der alte Staat oder der Westen angeklagt, es werden keine unterkomplexen Antworten auf die Fragen eines schwierigen gesellschaftlichen Transformationsprozesses gegeben. Stattdessen weisen alle Arbeiten still, aber bestimmt auf etwas hin: Es werden Residuen und Spuren aufgezeigt, Randnotizen und biographische Äußerungen festgehalten. Es wird ein Verschwinden im Kleinen und im Großen thematisiert. Die Künstler haben sich Gedanken über die Höhe des Himmels vor und nach den Denkmälern gemacht. Der Titel der Ausstellung »Die wir nie gewesen sind« verweist auf die Legendenbildungen über »den« Osten (wie auch »den« Westen), die nach dem Fall der Mauer einsetzten und Menschen weiterhin prägen – und verfolgen.

Die Ausstellung »Die wir nie gewesen sind« ist noch bis zum 29. November beim Deutschen Künstlerbund in Berlin zu sehen.