In Bolivien halten die Proteste an, die Zahl der Todesopfer steigt

Bolivien auf der Kippe

Nach dem Rücktritt von Präsident Evo Morales dauern die Proteste in Bolivien an. Seine Anhänger sprechen von einem Putsch und gehen gegen die rechte Interimsregierung auf die Straße. Viele fürchten die Rückkehr der weißen Vorherrschaft. Am Wochenende gab es bei Protesten zahlreiche Tote.

Der Druck wurde zu groß: Nach wochenlangen Protesten ist der bolivianische Präsident Evo Morales von der Partei Bewegung zum Sozialismus (MAS) am Sonntag vergangener Woche zurück­getreten. Die zweite stellvertretende Präsidentin des Senats, Jeanine Áñez von der Mitte-rechts-Partei Movimiento Demócrata Social, erklärte sich am Dienstagabend vergangener Woche zur Interimspräsidentin. Die Proteste in Bolivien gehen jedoch weiter (siehe Interview, Seite 17). Bereits seit den Wahlen vom 20. Oktober wird in Bolivien demonstriert. Die Opposition protestiert gegen den – von der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) offiziell bestätigten – Wahlbetrug zugunsten Morales’. Dessen Anhänger setzten sich zunächst für die Fortführung seiner Präsidentschaft, mittlerweile gegen den »rechten Putsch« ein.

»Es gibt brutale Angriffe auf Andersdenkende, es werden Häuser angezündet und der Tod von Menschen wird in Kauf genommen.«

Mindestens 23 Tote hat es der Inter­amerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH) zufolge in den vergangenen drei Wochen gegeben. Mindestens acht der Toten gehörten nach Angaben des Dokumentations- und Informationszentrums CEDIB der Opposition an. Bei den restlichen handele es sich vermutlich um Anhänger des MAS. Marco Gandarillas ist Direktor des CEDIB und Menschenrechtsexperte. Er meint: »Wir beobachten die Situation mit großer Sorge, denn es gibt brutale Angriffe auf Andersdenkende, es werden Häuser angezündet und der Tod von Menschen wird in Kauf genommen.«

Auch das Haus von Nelson Condori wurde niedergebrannt. Er ist ein indigener Bauernvertreter aus der Gemeinde Guaqui und hatte sich öffentlich mit dem prominenten Anführer der rechten Opposition aus Santa Cruz, Luis Fernando Camacho, getroffen. Auf Facebook schrieb Condori: »Nur die Wahrheit zu sagen, die nationale Einheit zwischen Hoch- und Tiefland und eine Lösung aus der politischen Krise zu suchen, hat zu einem Rachefeldzug gegen mich, meine Familie und meinen Besitz geführt. Das klage ich öffentlich an.« Dazu postete er ein Video, auf dem zu sehen ist, wie sein Haus in Flammen steht. »Das sind Angriffe, die uns Sorgen machen, die zeigen, welches Klima in Bolivien herrscht, und es sind keine Einzelfälle«, sagt Gandarillas. Er weiß auch von Attacken auf Oppositionelle in Cochabamba, bei denen von Motor­rädern aus gezielt auf politische Gegner geschossen wurde. »Es häufen sich die Informationen, die auf eine Paramilitarisierung im Umfeld des MAS hindeuten«, warnt der Soziologe.

Die Polizei vereitelte Anschläge auf den Teleférico, das Seilbahnnetz der Stadt. In der Provinz Chapare, der Koka­anbauregion Boliviens und Hochburg der Anhänger Morales’, wurde ein Militärstützpunkt von Cocaleros (Kokabauern) belagert. »Angriffe auf Polizeireviere hat es in den vergangenen Tagen auch gegeben und wir vermuten, dass es unter anderem darum ging, an Waffen zu kommen«, so Gandarillas.