Die neue Linke in Japan

Japans neue Linke

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Reportage Von

Mitglieder der »Antiolympischen Vereinigung« waren auch auf einer Demonstration einige Tage zuvor dabei. Es war der 22. Oktober, der Tag der Inthronisierung des neuen japanischen Kaisers, des Tenno. Etwa 500 Demonstrierende waren dem Aufruf des links­radikalen Bündnisses »Owaten« zu einem Protest gegen die Monarchie gefolgt. »Gegen Japan, gegen den Kaiser« stand auf Transparenten. Das Demonstrationsplakat zierte eine durchgestrichene japanische Fahne. Man gab sich kompromisslos gegen den japanischen Staat und das Kaisersystem, eine Haltung, die in Japan ein Tabu verletzt. Mittlerweile hat selbst die Kommunistische Partei Japans, die bei den Unterhauswahlen der jüngsten Zeit immerhin über zehn Prozent der Stimmen erhielt, ihre Totalopposition gegen den Kaiser aufgegeben. Manche radikale Linken sehen das als Verrat an.

Der Großteil der Demonstrierenden war weit über 50 Jahre alt. Es handelte sich um die letzten Reste der japanischen Achtundsechzigerbewegung, deren Militanz damals Linke weltweit bewundert hatten. Nur einige Dutzend jüngere Demonstrierende hatten sich dem Zug angeschlossen, antiautoritäre Kommunisten und Anarchisten. Die weitaus straffer organisierten und auf Demonstrationen fast militärisch in Reih und Glied auftretenden ortho­dox-kommunistischen Mitglieder der Chūkaku-ha und des Zengakuren, einer linksradikalen Dachorganisation von Studierenden, hatten ihre eigene Demonstration schon am Vormittag abgehalten. 

Die Gräben zwischen den Fraktionen der radikalen Linken in Japan sind tief, bis in die achtziger Jahre waren blutige, mitunter tödlich verlaufende ideologische Fehden nicht unüblich und neben der staatlichen Repression ein wichtiger Grund für den Niedergang der Bewegung. Dies macht es womöglich leichter zu verstehen, wieso wichtige Gruppen der Linken nach Fukushima mit den althergebrachten Organisationen und ihren Aktionsformen nichts zu tun haben wollen.

Die Flagge der Faschisten

Die ideologisch versierteren Teile der japanischen Linken scheinen in den siebziger Jahren festzustecken. Gegen den Soundwagen des »Shibuya Street Rave« wirkte der Mitfünfziger, der auf seiner Gitarre »Wir brauchen den Tenno nicht!« spielte, wie der Leiter eines Pfadfinderlagers. Auf die Frage, wieso so wenige junge Menschen an der antimonarchistischen Demonstration teilnähmen, antwortete eine ältere Demonstrierende: »Das ist vor allem auf das japanische Bildungssystem zurückzuführen, das die Kinder gegen Korea und China aufhetzt und sie zu Gehorsam gegenüber dem Kaiser verpflichtet.« Dem pflichteten eine junge Anarchistin und ein junger Anarchist bei, die im Anschluss die gesellschaftspo­litischen Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte grundlegend kritisieren, die das Aufkommen rechter Strömungen begünstigt hätten. Auf die Frage, wieso auf Demonstrationen der japanischen Antifa-Bewegung so viel mehr junge Menschen anzutreffen seien als auf der gegen den Tenno, sagten beide, dass die Antifa eine nach rechts offene Flanke habe, ein Teil der Bewegung wolle ein »besseres Japan«, sie wollten jedoch gar keines.

 

Trotz der radikalen Parolen war das einzig Bedrohliche an diesem Tag die Polizei. Hunderte Polizisten in voller Montur begleiteten die Demonstration in engem Spalier, provozierten die ­Protestierenden und versuchten immer wieder, Personen herauszugreifen. Die Behörden versuchten offenbar, das Bild einer militanten und gefährlichen Linken zu vermitteln, die es in Japan in dieser Form jedoch nicht mehr gibt. Schließlich kam es zu drei Festnahmen, zwei der Festgenommenen saßen noch zwei Wochen in Untersuchungshaft, ehe sie freigelassen wurden.

Eingekreist. Antifas stören eine rechte Kundgebung in Machida.

Bild:
Rio Akiyama

Bei vielen ihrer Kundgebungen tragen Rechtsextreme die Kyokujitsu-ki, die alte japanische Kriegsflagge. So war es auch bei der anfangs erwähnten rechten Kundgebung in Machida. Auch am Rande der Demonstration gegen den Tenno führten zwei Dutzend Rechtsextreme, die versuchten, die Demonstration zu stören, die alte Fahne mit. Über diese wird in Japan seit einigen Wochen heftig diskutiert. Im September forderte das südkoreanische Parlament fast einstimmig das Verbot der Kyokujitsu-ki bei Wettbewerben der im Sommer 2020 in Tokio stattfindenden Olympischen Sommerspiele. Die Fahne gilt vielen Koreanerinnen und Koreanern als Symbol des japanischen Tenno-Faschismus, dessen Kolonie ­Korea jahrzehntelang war. Die koreanische Sprache wurde verboten, Tau­sende Koreanerinnen wurden als »Trostfrauen« – wie sie in Japan euphemistisch genannt wurden – während des Zweiten Weltkriegs in japanischen Kriegsbordellen vergewaltigt und zwangsprostituiert.

Die Antwort der japanischen Regierung auf die Forderung Koreas fiel mehr als nur patzig aus. Die Vorwürfe, die Fahne sei ein Symbol des Militarismus oder habe gar eine politische Bedeutung, seien »absolut falsch«, sagte der Leiter des Kabinettssekretariats, Yoshihide Suga (LDP). Um die Behauptung zu untermauern, veröffentlichte die Regierung noch ein eilig zusammengestelltes Dokument, demzufolge die Fahne auch von Fischern als Glücksbringer für einen guten Fang benutzt werde. Auch dass das Design der Fahne jenem der mazedonischen Flagge ähnele, sei ein Argument für ihre historische Unverfänglichkeit, so die Verteidiger der Kyokujitsu-ki. Als Kritiker anmerkten, diese Aussagen klängen stark nach Ausrede, reichte die Regierung noch eine Version des Dokuments in Spanisch, Französisch und Koreanisch nach. Damit es auch ja alle verstehen.

*Name von der Redaktion geändert