Die extreme Rechte in Südnieder­sachsen bleibt gefährlich

Kein ruhiges Hinterland

Eine Naziclique mit Verbindungen zur AfD, ein umtriebiger Rechtsextremer, der sich als Journalist ausgibt, und eine freie Kameradschaft – ein Überblick über die jüngsten Aktivitäten der extremen Rechten im südlichen Niedersachsen.

Die südniedersächsische Universitätsstadt Göttingen ist kein allzu gutes Pflaster für Neonazis. Ende vorigen Monats sprühten Unbekannte SS-Runen, ein Hakenkreuz und den Schriftzug »Wir kommen« an die Fassade der Universitätsbibliothek. In derselben Nacht gab es eine Brandstiftung im Garten des gegenüber gelegenen linken Hausprojekts »Goßlerstraße 17/17a« ­sowie einen Farbanschlag auf den Fachschaftsrat Sozialwissenschaften. Anstatt sich einschüchtern zu lassen, riefen die Betroffenen umgehend zur Gegenwehr auf und erfuhren viel Solidarität. Bereits wenige Tage später ­kamen Hunderte Menschen zu einer antifaschistischen Kundgebung.

Die Ereignisse sind bezeichnend für den Zustand der extremen Rechten in Südniedersachsen. Mit ernsthaften realpolitischen Ambitionen in Göttingen weitgehend gescheitert, verlagert sie ihr Tun zum einen ins Umland, zum anderen verüben Nazis nächtliche Angriffe und Anschläge in der Stadt. So hat sich die Zahl von Angriffen auf linke Haus­projekte im vergangenen Jahr erhöht, wie die »Wohnrauminitiative«, eine Initiative für den Erhalt aller Wohnheime des Studentenwerks Göttingen, berichtet. Unter anderem seien Bremskabel von Fahrrädern zerschnitten worden, ein Haus sei mit Pyrotechnik beworfen worden. Zudem seien vermehrt rechtsextreme Parolen auf dem Campus zu sehen. Im Januar wurde dort etwa ein Gedenkstein für NS-Zwangsarbeiter mit Runen beschmiert. 2018 war das Mahnmal auf dem Platz der Synagoge, wo sich die 1938 bei den Novemberpogromen zerstörte Alte Synagoge befunden hatte, beschmiert worden.

Mit einigen mutmaßlich rechtsextremen Vorfällen könnte ein Personenkreis in Zusammenhang stehen, der im örtlichen linken Milieu als »Göttinger Naziclique« bekannt ist. Zumindest rechnet das antifaschistische Blog »Ausgetobt« diesem Kreis einige gewalt­tätige Angriffe zu, die sich Anfang dieses Jahres ereigneten (Jungle World 3/2019). So sollen einige der betreffenden Neonazis etwa im Februar Gäste einer alternativen Kneipe tätlich angegriffen haben.

 

Ein Teil der Gruppe hatte Göttingen »Ausgetobt« zufolge mittlerweile verlassen und wohnt im etwa 20 Kilometer nördlich gelegenen Northeim. Im Februar zeigten sich nach Angaben des Blogs Felix H. und Paul S., zwei Mitglieder der Clique, mit einem Transparent der extrem rechten »Kameradschaft Northeim« beim jährlich stattfindenden geschichtsrevisionistischen Trauermarsch in Dresden. Auf »Ausgetobt« veröffentlichte Fotos belegen, dass Paul S. im August auf einer Demonstration der AfD in Hannover das Transparent des AfD-Kreisverbandes Northeim trug. Nach Angaben des Blogs soll S. auch Mitglied der Partei sein, die in Göttingen vergleichsweise wenig reden von sich macht. Dem Göttinger Tageblatt zufolge ermittelt die Polizei gegen S., unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung und des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.

Auch ein alter Bekannter hat sich mittlerweile weitgehend aus Göttingen verabschiedet und seine Aktivitäten anscheinend endgültig ins Internet verlagert. Jens Wilke hatte in den vergangenen vier Jahren auf unterschiedliche Weise und mit nachlassendem Erfolg versucht, in Göttingen Fuß zu fassen. Wilke ist der Gründer des später in »Volksbewegung Niedersachsen« umbenannten rechtsextremen »Freundeskreises Thüringen/Niedersachsen«, der seit 2015 zahlreiche Kundgebungen in Göttingen und Umgebung veranstaltete. 2016 kandidierte Wilke bei der Landratswahl im Landkreis Göttingen für die NPD, im Mai trat er für die Republikaner bei der Europawahl an. Nach Angaben des Göttinger Tagblatts soll Wilke zwischenzeitlich mit der AfD sympathisiert haben. Zudem soll er eine Demonstration der neonazistischen Kleinpartei »Die Rechte« angemeldet haben, die im April in Göttingen stattfinden sollte, dann aber von den Neonazis abgesagt wurde. Mittlerweile gibt Wilke sich mit dem Internetprojekt »Ungetrübt Media« als Publizist.

Das Programm von »Ungetrübt Media« passt gut zu Wilkes bisherigem Wirken: Artikel über »Gutmenschen«, die »BRD-Stasi«, die »organisierte Umvolkung« und »links­ex­tremen Terror« finden sich neben langen, selbstdarstellerischen Live-Videos auf einem Blog sowie bei Facebook und Twitter. Mit journalistischer Arbeit hat das nichts zu tun, nach wie vor bemüht Wilke die immergleichen Parolen aus ­seiner Zeit als Anführer des »Freundeskreises«.

Kürzlich verurteilte das Amtsgericht Göttingen ihn zu einer Geldstrafe, weil er im März 2017 bei einer Rede vor dem Göttinger Kreishaus eine Verwaltungsmitarbeiterin des Landkreises Göttingen als »antideutsches Geschmeiß« ­tituliert hatte. Die Polizei erlaubte Wilke im Juli dennoch, bei einer von ihm ­mitorganisierten rechtsextremen Kundgebung in Northeim vor die Absperrgitter zu treten und Gegendemonstranten zu filmen, nachdem er lediglich ­einen von der Bundesinnenministerkonferenz nicht anerkannten Presseausweis vorgelegt hatte.

 

Tobias H. und Pascal Z., zwei der letzten verbliebenen Anhänger Wilkes, ­betätigen sich mittlerweile gemeinsam mit örtlichen Neonazis in der »Kameradschaft Einbeck«in der gleichnamigen, etwa 40 Kilometer weiter im Norden liegenden Kleinstadt im Landkreis Northeim. Im Mai beschmierten dort Unbekannte das Mahnmal für die Synagoge mit Hakenkreuzen und anti­semitischen Parolen. Ungefähr 400 Menschen gingen daraufhin gegen Neonazis auf die Straße.

Regelmäßig treten Mitglieder der Kameradschaft gemeinsam in der Stadt auf, nicht zuletzt etwa auch am Rande linker Veranstaltungen wie Kundgebungen der »Seebrücke« und von »Fridays for Future«. In der Hägerstraße bewohnen sie mehrere Immobilien und sprechen selbstbewusst vom »Nazikiez« Einbecks. Mitte September veranstaltete die Kameradschaft schließlich einen »Spaziergang« unter dem Motto »Einbeck bleibt sauber«. Die Rednerliste legte nahe, dass die Gruppe über die Landkreise Northeim und Göttingen hinaus regional vernetzt ist. So sprachen bei der Veranstaltung unter anderem Dieter Riefling aus Hildesheim, der bei der Europawahl für »Die Rechte« kandidierte, und Joost Nolte von der Goslarer NPD-Jugend.

Für die Neonazis verlief die Demons­tration enttäuschend. Lediglich 28 Anhänger konnten sie mobilisieren. ­Ihnen standen etwa 1 100 Gegendemonstranten gegenüber. Auch am 3. Oktober waren die Kräfteverhältnisse ähnlich. Kurzfristig hatte die Kameradschaft eine Kundgebung für den Tag angemeldet, an der nur zehn Personen teilnahmen. Im September markierten Antifaschisten die Häuser in der ­Hägerstraße mit Farbe. Lokale Medien berichteten zudem über eine Ausein­andersetzung der Rechtsextremen mit Migranten. Die Polizei habe mehrere Strafverfahren eingeleitet.

Ein Aktivist aus dem Umfeld des Bündnisses »Einbeck ist bunt« wies im Gespräch mit der Jungle World auf ­weitere Betätigungen der Neonazis hin: »Die Kameradschaft geht auch an die berufsbildende Schule und spricht die Schüler an. Ich befürchte, dass sich so die Strukturen verstärken und Leute eingeschüchtert werden.«