Fotografien von Jan Groover

Laboratorium der Formen

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Groover wurde durch ihre Küchen­serie einem kunstinteressierten ­Publikum bekannt. In den Achtzigern stellte sie wiederholt in größeren US-amerikanischen Museen aus. 1991 verließ sie wegen der konservativen Politik die USA und siedelte gemeinsam mit ihrem Mann, dem Maler und Kunstkritiker Bruce Boice, nach Frankreich über. 1994 drehte die Filmemacherin Tina Barney einen Dokumentarfilm über die Künstlerin und ihr Werk. 2012 verstarb Groover nach langer Krankheit.

2017 übergab Bruce Boice den Nachlass an das Musée de l’Elysée in Lausanne, das Groover zurzeit eine Einzelausstellung mit dem Titel »Laboratory of Forms« widmet. Zudem erschien ein erster ausführlicher Werkkatalog. Das derzeit große Interesse an Groovers Arbeiten mag an zwei Entwicklungen im Kunstdiskurs liegen. Erstens ist zurzeit ein gesteigertes Interesse an feministischer Kunst von Frauen zu beobachten. Zweitens aber entdeckt man in Groover eine frühe Vertreterin eines interdisziplinären Verständnisses von Fotografie. In den Bildern ihrer Küchenserie ist malerisches Gespür für Farbe zu erkennen. Für Stillleben, die sie in den neunziger Jahren anfertigte, ­arbeitete sie mit Mehrfachbelichtungen, was die Farbe stärker hervortreten ließ. Bereits 1977 zerlegte sie in einer Arbeit, in der sie eine ame­rikanische Reihen­haussiedlung fotografierte, die menschengemachte Umgebung in einzelne Farbfelder wie Wände oder Grasflächen. Zugleich ist in ihren Arbeiten eine gewisse Affinität zur derzeitigen Objektfotografie zu erkennen, die mit den Mitteln eines offenen Illusionismus die Bedingungen der Fotografie offenlegt. Die Reihe der zurzeit angesagten Fotografinnen und Fotografen, in deren Werk Groovers bildnerische Grundlagen eine Rolle spielen, reicht von Ricarda Roggan über Shirana Shahbazi bis hin zu Christopher Williams. Schon vor 40 Jahren nahm Groover so heutige Strömungen in der künstlerischen Fotografie vorweg.

Bereits in ihren ersten künstlerischen Fotografien finden sich entsprechende konzeptuelle Ansätze. 1971 fotografierte sie Kühe auf der Weide und Flugzeuge am Himmel. In ihren kleinen, schwarzweißen Abzügen stellte sie neben die vollständigen Fotografien solche mit Aussparungen. Wo die Kuh war, ist dann nur noch ein weißes Rechteck zu sehen. Es bleibt eine Umgebung, in der fehlt, worauf beim Fotografieren der Fokus gelegt wurde. Kommt ein zweites Rechteck hinzu, weiß man nicht einmal mehr, wo die Kuh gewesen sein könnte. Oder der Gegenstand bleibt, und die strukturgebende Umgebung wechselt: In einer Arbeit aus demselben Jahr komplettieren zwei Fotografien einen Kaffee- becher. Die Umgebung wiederum – längs und quer laufende Holzdielen – verrät, dass es sich ursprünglich um zwei unterschiedliche Objekte handeln muss.

Eine Besonderheit in Groovers Werk ist das stetige Experiment mit den technischen Mitteln der analogen Fotografie. Seit den frühen Achtzigern arbeitete sie an einer Reihe surrealistisch anmutender Stadtaufnahmen. Hierfür bediente sie sich des im späten 19. Jahrhunert entwickelten Platin-Palladium-Verfahrens, das bei Schwarzweißbildern einen großen Tonwertumfang ermöglicht. Groovers entlegene Straßen und Fabrikanlagen scheinen auf den Bildern in der Sonne förmlich zu zerschmelzen. Die Schatten beginnen, sich zu biegen, und die ganze Szenerie wird unwirklich. Die historischen Lieblingsujets sowohl eines harten Dokumentarismus als auch narrativer Fotografie werden auf diese Weise nahezu irreal. Groovers Fotografien müssen deshalb, als sie auftauchten, das herrschende Verständnis dieses Mediums ordentlich durcheinandergebracht haben.

Die Ausstellung »Jan Groover: Laboratory of Forms« ist noch bis zum 5. Januar im Musée de l’Elysée in Lausanne zu sehen. Zur Ausstellung erschien ein umfangreicher Katalog.