Proteste gegen die Braunkohleförderung in der Lausitz

»Kein ruhiges Hinterland für die Kohle«

Das Bündnis »Ende Gelände« will wieder Kohlegruben blockieren. Nachdem es im Juni den Betrieb mehrerer Kohlebahnen und Tagebaue in Nordrhein-Westfalen gestört hat, geht es kommenden Freitag in die Lausitz. Sina Reisch, die Pressesprecherin von »Ende Gelände«, hat mit der Jungle World gesprochen.
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Warum hat »Ende Gelände« die Lausitz gewählt?
Die Aktion findet dieses Jahr sowohl in der Lausitz als auch im Leipziger Revier statt. Hier stehen vier der zehn dreckigsten CO2-Schleudern Europas! Die Entscheidung kam zustande, um ein altes Versprechen einzulösen. Schon 2016 haben wir eine Aktion in der Lausitz gemacht. Der schwedische Staatskonzern Vattenfall wollte seine Tagebaue und Kraftwerke verkaufen, um sich mit hundertprozentiger Nachhaltigkeit zu schmücken. Für das Klima hat dieses Greenwashing allerdings nichts verändert. Sie hätten die Kohlesparte nicht einfach verkaufen dürfen, sondern die Tagebaue still legen müssen. Also haben wir sie 2016 blockiert und gesagt: »Wir sind das Investitionsrisiko!« Leider hat das den Verkauf an die EPH (»Energetický a Průmyslový Holding«, ein tschechisches Energieunternehmen, Anm. d. Red.) nicht verhindert, aber jetzt kommen wir wieder. Auch in den ostdeutschen Revieren muss die Kohle sofort abgeschaltet werden. 

In einem Brief an die Menschen in der Lausitz schreiben Sie, dass sich Ihr Protest nicht gegen die Beschäftigen in der Kohleindustrie richte. Richtet sich der Ausstieg aus der Kohle aber nicht zwangsläufig auch gegen Kohlearbeiter?
Wir wollen einen Systemwandel hin zu einer klimagerechten Welt und einem guten Leben für alle. Das schließt auch die Menschen mit ein, die derzeit noch in der Kohleindustrie arbeiten. Der deutsche Kohlekumpel ist mir nicht weniger wichtig als die indonesische Reisbäuerin, die ihre Lebensgrundlage verliert, weil der Meeresspiegel steigt und ihre Felder versalzen. Wir brauchen eine Welt, in der unsere Industrie nicht auf Kosten anderer Menschen arbeitet. Aus dem Blickwinkel der globalen Gerechtigkeit können wir die Kohlejobs nicht erhalten. Klar ist aber auch, dass wir einen guten Strukturwandel brauchen. Ich habe größtes Verständnis, dass der Strukturbruch Anfang der neunziger Jahre eine schreckliche kollektive Erfahrung war. Da wurde viel falsch gemacht und die Fehler dürfen sich nicht wiederholen. Wir bemühen uns sehr um Gespräche mit Arbeitern und Gewerkschaften vor Ort. Aber die Menschen, die in der Kohleindustrie arbeiten, dürfen sich nicht verarschen lassen. Die AfD lügt die Leute an, wenn sie sagt, dass alles so bleiben könne wie es ist, weil es keinen Klimawandel gebe. Noch ist die Klimafrage aber eine, in der wir die Hegemonie im Diskurs haben. Das kann uns helfen, die AfD zu delegitimieren und in die Offensive zu gehen. Es gibt kein ruhiges Hinterland, nicht für Nazis und auch nicht für die Kohle. Wir müssen klarmachen, dass die Tagebaue nicht weiter existieren können. Die Veränderung wird kommen, die Frage ist nur, wann und wie. Wir sagen: möglichst früh und möglichst gerecht.

Hat »Ende Gelände« Konsequenzen aus dem Aufkommen der neuen Klimabewegung gezogen?
Das Feld hat sich komplett verschoben. Als »Ende Gelände« 2015 die erste Aktion gemacht hat, war unsere Aufgabe, agenda setting zu betreiben und klarzumachen, dass das Klima wichtig und die Kohle schlimm ist. Das richtete sich einerseits an die gesamte Gesellschaft, andererseits speziell an die radikale Linke. Viele radikale Linke haben das Klimathema lange ignoriert, was politkulturelle Gründe hatte. Unsere Aufgabe war es, ihr klarzumachen, dass die Klimafrage ein guter Weg ist, um aufzuzeigen, dass wir den Kapitalismus überwinden müssen. Seit der Protest im Hambacher Forst große Wellen geschlagen hat und »Fridays for Future« losging, brauchen wir niemandem mehr zu erklären, dass die Klimakrise wichtig ist. Jetzt ist es unsere Rolle, die linksradikale Stimme der Bewegung zu sein und stärker zu betonen, dass es sich um eine Systemfrage handelt; dass die Regierung nicht handelt, weil für sie Wirtschaftsinteressen im Vordergrund stehen. Wir wollen auch Leuten, die sich nicht als linksradikal bezeichnen würden, Systemkritik vermitteln. Eine unserer Stärken ist es, dass wir mehr auf Gemeinsamkeiten als auf Unterschiede gucken und versuchen zu kooperieren. In linken Gruppen ist man ja oft eher auf Abgrenzung aus. Mit ständiger Spaltung haben wir aber nichts gerissen in den ­vergangenen Jahrzehnten. Wenn wir das System verändern wollen, müssen wir uns besser organisieren und miteinander arbeiten statt gegeneinander. Wir üben trotzdem Kritik, aber solidarisch. 

Werden Sie weiterhin Kohlegruben blockieren oder sich auch thematisch erweitern?
Am 1. Mai haben wir in Erfurt den AfD-Parteitag mitblockiert. In München und Wien hatten wir mit »Ende Geländewagen« Blockaden für die Mobilitätswende. Die Themenerweiterung ist da, aber die Kohlekraftwerke werden wir nicht in Ruhe lassen bis sie stillgelegt sind.