An der Nordgrenze Mexikos tobt der Machtkampf der Drogenkartelle

Mormonen und Mafia

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Die Sierra de Chihuahua liegt im »goldenen Dreieck« zwischen Durango, Sinaloa und Chihuahua, wo Marihuana und Schlafmohn angebaut werden. Durch sie verläuft auch die Drogenroute in die 1,3 Milli­onen Einwohner zählende Grenzstadt Ciudad Juárez und weiter in die USA. Infolge der Suche nach den Schuldigen für das Massaker an den LeBarons kostete ­Anfang November in Ciudad Juárez eine Welle von Gewaltverbrechen innerhalb von vier Tagen 28 Menschenleben; auf den Hauptverkehrs­wegen wurden 35 Personaltransporte, Nahverkehrsbusse und Autos angezündet und angegriffen, manche davon mit Insassen. Dazu gab es zahlreiche Bombendrohungen in großen Supermärkten und an öffentlichen Plätzen – auch in der Nähe des US-amerikanischen Konsulats. An der Technischen Universität zogen Bewaffnete auf, an öffentlichen Schulen gab es Bekanntmachungen, es würden »soziale Säuberungen« gegen Kleinkriminelle und Dealer vorgenommen und die Bevölkerung solle nach 22 Uhr zu Hause bleiben. Bürgermeister Armando Cabada teilte auf einer Pressekonferenz mit, dies sei ein Rachefeldzug der Kartelle wegen einer Verlegung von Häftlingen und die Bevölkerung solle »ganz normal ihr Leben führen«.

Die Verlegung der Häftlinge geschah im Rahmen der Übernahme des ­Gefängnisses durch die von Präsident Andrés Manuel López Obrador geschaffenen Nationalgarde. Versucht wurde, die Macht der Anführer der Kartelle dort zu brechen und, unter dem Druck der USA, schnell Schuldige zu finden. Doch die Kartellmitglieder wehrten sich dagegen, indem sie versuchten, eine zuvor in Culiacán in ­Sinaloa erfolgreich angewandte Taktik nachzuahmen. Dort war Mitte Oktober kurzzeitig Ovidio Guzmán López, ein Sohn des ehemaligen Anführers des Sinaloa-Kartells, Joaquín »El Chapo« Guzmán, festgenommen worden. Daraufhin hatten die Mitglieder des Sinaloa-Kartells gedroht, in Culiacán ein Blutbad anzurichten. Präsident Andrés Manuel López Obrador hatte daher die Freilassung von Guzmán López angeordnet.

»Der Kampf der Kartelle um Ciudad Juárez wird aus dem Gefängnis heraus kontrolliert«, bestätigt der ehemalige Insasse Antonio Pérez*. Im vormals städtisch und heutzutage bundesstaatlich betriebenen Gefängnis herrschen die Aztecas, die wie die Gang La Línea dem Juárez-Kartell unterstellt sind. Aber auch die verfeindeten Banden der Artistas Asesinos (AA) und Mexicles, die dem Sinaloa-Kartell angehören, sind dort präsent. Der sogenannte Krieg ­gegen die Drogen in Mexiko hatte vor seinem Ausbruch auf den Straßen der Grenzmetropole seinen Anfang im »Zentrum für soziale Wiedereingliederung«, dem Gefängnis Cereso 3, ­genommen. Zwischen 2008 und 2010 galt Ciudad Juárez als die gefähr­lichste Stadt der Welt und kam auf über 3 000 Getötete im Jahr.