In Italien protestiert die »Sardinen«-Bewegung gegen die politische Rechte

Sardinen gegen Pinguine

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Vielleicht hat die Bewegung der »Sardinen« aber auch eine neue politische Qualität: Anders als noch im Frühjahr beschränkt sich der Protest nicht mehr auf das Aufhängen von Leintüchern mit Botschaften gegen Salvini an Fenster- und Balkonsimsen. Stattdessen treffen sich jeden Abend Tausende Menschen auf öffentlichen Plätzen. Allein mit ihrer Präsenz haben sie die mediale Vorherrschaft Salvinis vorerst gebrochen. Das »Manifest der 6 000 Sardinen« richtet sich jedoch nicht nur ­gegen die Lega, es erteilt auch der ressentimentgeladenen Politik der Regierungspartei Movimento 5 Stelle (M5S) eine Absage, deren politischer Aufstieg 2007 auf der Piazza Maggiore in Bologna mit dem »Vaffa-Day«, einem »Leck mich« in Richtung der etablierten Parteien, begann. Die »Sardinen« lehnen eine generelle Abwertung des politischen Establishments ab. In ihren Forderungen sind vielmehr Anklänge an die Schüler­bewegung »Fridays for Future«, mehr noch an die »Commons«-Bewegung in Italien zu erkennen. Auch das Singen des Partisanenlieds »Bella ciao« lässt sich durchaus dahingehend deuten, dass es in Italien eine Bewegung gibt, die eine neue ­linke Politik anstrebt.

In diesem Sinne interpretierte der gemeinsam mit der M5S regierende Partito Democratico (PD), der einen Tag nach dem Auftauchen der »Sardinen« in Bologna zu einer Parteikonferenz geladen hatte, die neue soziale Bewegung als Herausforderung. Unter dem Motto »Eine ganz andere Geschichte« versuchte die sozialdemokratische Partei, auch mit der organisatorischen Öffnung zu Gewerkschaften, Verbänden und Gruppierungen links des PD, eine programmatische Neuausrichtung einzuleiten. In seiner Rede versprach der Parteivorsitzende Nicola Zingaretti, dass der PD in der Regierungskoalition künftig ein klares ­linkes Profil zeigen werde. Man werde sich für die Abschaffung der »Sicherheitsdekrete«, mit denen die Vorgängerregierung aus Lega und M5S das Asylrecht verschärft und die Seenotrettung kriminalisiert hatte, und damit für eine andere Immigrationspolitik einsetzen. Außerdem werde der PD für die Einführung eines neuen Einbür­gerungsrechts, genannt »ius culturae«, kämpfen, das Kindern und Jugend­lichen, die in Italien einen Schulabschluss gemacht haben, den Zugang zur italienischen Staatsbürgerschaft erleichtern soll.

Der Sprecher des M5S, Luigi Di Maio, wies die Vorhaben des Koalitionspartners umgehend zurück und betonte, die Regierung habe angesichts der wirtschaftlichen Misere und der Hochwasserkrisen dringendere Probleme. Die größten Probleme hat jedoch Di Maio selbst. Seinen Vorschlag, der M5S solle wegen der jüngsten schlechten Wahlergebnisse zu den anstehenden Regionalwahlen nicht antreten, lehnten die M5S-Mitglieder vergangene Woche in einer Online-Abstimmung mit deutlicher Mehrheit ab. Allerdings beteiligte sich nur ein Fünftel der Abstimmungsberechtigten und darüber hinaus ließ die Formulierung der Frage offen, ob sich der M5S alleine oder im Bündnis mit dem PD an den Regionalwahlen betei­ligen sollte. 

Am Wochenende mahnte der M5S-Gründer Beppe Grillo die Bewegung einmal mehr, sich mit dem PD auf ein gemeinsames, zukunftsweisendes Programm zu einigen. Dies scheint auch die politische Forderung der »Sardinen« zu sein. Sollten sie über den Jahreswechsel hinaus auf den italienischen Plätzen präsent bleiben, dürfte sich der Wahlkampf bis Ende Januar weiter zuspitzen. Zwischen Salvinis rechtem Bündnis und einem von Zingaretti für zivilgesellschaftliche und ­linke Gruppen geöffneten PD dürfte dann für einen M5S, der weiterhin »weder rechts noch links« sein will, kein Platz mehr sein.