In Italien protestiert die »Sardinen«-Bewegung gegen die politische Rechte

Sardinen gegen Pinguine

In Italien stellt sich die neue Bewegung der »Sardinen« der Rechten entgegen. Vielen radikalen Linken gehen die Forderungen der »Sardinen« nicht weit genug. Der regierende Partito Democratico bemüht sich hingegen um eine Annäherung.

Alles begann mit einer Idee am WG-Küchentisch. Ende Januar 2020 finden in der norditalienischen Region Emilia-Romagna Regionalwahlen statt; zum Wahlkampfauftakt hatte der Vorsitzende der rechtsextremen Partei Lega, Matteo Salvini, für den 14. November in Bologna eine Halle angemietet, in der 5 570 Gäste Platz finden. Vier zusammensitzenden WG-Bewohnern kam der Einfall, für denselben Abend mehr als 5 570 Menschen zu einem Flashmob zu versammeln, aus Protest gegen den Aufstieg der extremen Rechten. Es entstand der Facebook-Aufruf »6 000 Sardinen«. Denn würden sich alle wie Sardinen eng genug aneinanderreihen, könnte sich auf der zentralen Piazza Maggiore in Bologna die erhoffte Menge einfinden.

Die Ankündigung rechter Facebook-Gruppen, sich in Sardinen fressende »Pinguine« zu verwandeln, ist als Gewaltandrohung nicht zu unter­schätzen.

Zur Überraschung der Initiatoren lockte der Aufruf unter dem Motto »Bologna beißt nicht an« einen Schwarm von mehr als doppelt so vielen »Sardinen« auf die Piazza. Binnen Stunden versammelten sich »Sardinen« in weiteren Städten der Emilia-Romagna, bald nahmen sich Menschen in allen Regionen des Landes ein Beispiel an der Gruppe aus dem nördlichen Mittel­italien.

Als Symbol der Bewegung lädt der kleine Fisch Anhänger wie Gegner zu allerlei Wortspielen ein. In dem inzwischen publizierten und von einem der Initiatoren, Mattia Santori, in ­Radio- und Fernsehsendungen bekannt gemachten »Manifest der 6 000 Sardinen« heißt es: »Liebe Populisten, das Fest ist zu Ende. Viel zu lange haben wir euch gewähren lassen.« Viel zu lange habe man sich von Lügen und Hassreden, von Pöbeleien und leerem Geschrei dumm machen lassen, habe es zugelassen, dass ernsthafte Argumente verlacht worden und Diskussionen durch Parteienquerelen verhindert worden seien. Man sei aufgewacht und ­trete ein für eine Politik, die die persönlichen Interessen dem Gemeinwohl unterordne. Die Stummheit des Symboltiers Sardine dürfe nicht als sprach­lose Fassungslosigkeit gedeutet werden, der Fisch stehe für eine bewusste Abgrenzung von der simplen Kommunikation der populistischen Wortführer. Abschließend heißt es mit einem Vers des 2012 verstorbenen Liedermachers Lucio Dalla: »Wer denkt, ist stumm wie ein Fisch.«

Die Verfasser des »Manifests« verzichten auf eine explizite Solidarisierung mit denjenigen, die die rechts­extreme, rassistische Abschottungspolitik nie geduldet und trotz staatlicher Repression auf den Rettungsbooten und in den Häfen bekämpft oder in Stadtteilprojekten für Geflüchtete Unterstützung und Integration organisiert haben. So versuchten parallel zum ersten Flashmob der »Sardinen« mehr als 2 000 Personen aus dem Umfeld der linken centri sociali, zur Wahlkampfveranstaltung der Lega vorzudringen, doch die Demonstration wurde von ­einem großen Polizeiaufgebot mit Wasserwerfern zurückgedrängt. Vorbehalte der radikalen Linken gegen die Bewegung der »Sardinen« speisen sich auch aus den Erfahrungen der Vergangenheit. Die verbreitete Ablehnung des früheren Ministerpräsidenten Berlusconi hatte immer wieder zivilgesellschaftlichen Protest hervorgerufen, der kurzfristig mediale Aufmerksamkeit erzeugen, aber keine dauerhafte politische Wirkung entfalten konnte. Die gegenwärtige Faschisierung der italienischen Gesellschaft erlaubt allerdings keine weitere Fragmentierung der ­Opposition. Die Ankündigung rechter Facebook-Gruppen, sich in Sardinen fressende »Pinguine« zu verwandeln, ist als Gewaltandrohung nicht zu ­unterschätzen.

 

Vielleicht hat die Bewegung der »Sardinen« aber auch eine neue politische Qualität: Anders als noch im Frühjahr beschränkt sich der Protest nicht mehr auf das Aufhängen von Leintüchern mit Botschaften gegen Salvini an Fenster- und Balkonsimsen. Stattdessen treffen sich jeden Abend Tausende Menschen auf öffentlichen Plätzen. Allein mit ihrer Präsenz haben sie die mediale Vorherrschaft Salvinis vorerst gebrochen. Das »Manifest der 6 000 Sardinen« richtet sich jedoch nicht nur ­gegen die Lega, es erteilt auch der ressentimentgeladenen Politik der Regierungspartei Movimento 5 Stelle (M5S) eine Absage, deren politischer Aufstieg 2007 auf der Piazza Maggiore in Bologna mit dem »Vaffa-Day«, einem »Leck mich« in Richtung der etablierten Parteien, begann. Die »Sardinen« lehnen eine generelle Abwertung des politischen Establishments ab. In ihren Forderungen sind vielmehr Anklänge an die Schüler­bewegung »Fridays for Future«, mehr noch an die »Commons«-Bewegung in Italien zu erkennen. Auch das Singen des Partisanenlieds »Bella ciao« lässt sich durchaus dahingehend deuten, dass es in Italien eine Bewegung gibt, die eine neue ­linke Politik anstrebt.

In diesem Sinne interpretierte der gemeinsam mit der M5S regierende Partito Democratico (PD), der einen Tag nach dem Auftauchen der »Sardinen« in Bologna zu einer Parteikonferenz geladen hatte, die neue soziale Bewegung als Herausforderung. Unter dem Motto »Eine ganz andere Geschichte« versuchte die sozialdemokratische Partei, auch mit der organisatorischen Öffnung zu Gewerkschaften, Verbänden und Gruppierungen links des PD, eine programmatische Neuausrichtung einzuleiten. In seiner Rede versprach der Parteivorsitzende Nicola Zingaretti, dass der PD in der Regierungskoalition künftig ein klares ­linkes Profil zeigen werde. Man werde sich für die Abschaffung der »Sicherheitsdekrete«, mit denen die Vorgängerregierung aus Lega und M5S das Asylrecht verschärft und die Seenotrettung kriminalisiert hatte, und damit für eine andere Immigrationspolitik einsetzen. Außerdem werde der PD für die Einführung eines neuen Einbür­gerungsrechts, genannt »ius culturae«, kämpfen, das Kindern und Jugend­lichen, die in Italien einen Schulabschluss gemacht haben, den Zugang zur italienischen Staatsbürgerschaft erleichtern soll.

Der Sprecher des M5S, Luigi Di Maio, wies die Vorhaben des Koalitionspartners umgehend zurück und betonte, die Regierung habe angesichts der wirtschaftlichen Misere und der Hochwasserkrisen dringendere Probleme. Die größten Probleme hat jedoch Di Maio selbst. Seinen Vorschlag, der M5S solle wegen der jüngsten schlechten Wahlergebnisse zu den anstehenden Regionalwahlen nicht antreten, lehnten die M5S-Mitglieder vergangene Woche in einer Online-Abstimmung mit deutlicher Mehrheit ab. Allerdings beteiligte sich nur ein Fünftel der Abstimmungsberechtigten und darüber hinaus ließ die Formulierung der Frage offen, ob sich der M5S alleine oder im Bündnis mit dem PD an den Regionalwahlen betei­ligen sollte. 

Am Wochenende mahnte der M5S-Gründer Beppe Grillo die Bewegung einmal mehr, sich mit dem PD auf ein gemeinsames, zukunftsweisendes Programm zu einigen. Dies scheint auch die politische Forderung der »Sardinen« zu sein. Sollten sie über den Jahreswechsel hinaus auf den italienischen Plätzen präsent bleiben, dürfte sich der Wahlkampf bis Ende Januar weiter zuspitzen. Zwischen Salvinis rechtem Bündnis und einem von Zingaretti für zivilgesellschaftliche und ­linke Gruppen geöffneten PD dürfte dann für einen M5S, der weiterhin »weder rechts noch links« sein will, kein Platz mehr sein.