Klaus Theweleits Theoriecollage »Männerphantasien« wird neu aufgelegt

»Frauen fließen, Männer schießen«

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Einhellig war die Begeisterung hingegen in den Hauspostillen des linksliberalen Bürgertums von Frankfurter Rundschau bis Spiegel: Indiz wohl auch dafür, dass die Beschäftigung mit dem Innenleben der zuvor vorherrschenden klassischen Sozialkritik den Rang abzulaufen begann; der »Psychoboom«, wie ihn schon Zeitgenossen nannten, folgte auf den zu Ende gehenden Wirtschaftsboom und legte die Grundlage für das seither expandierende Geschäft mit Glück und Gesundheit. Im Spiegel (50/1977) jedenfalls erschien eine achtseitige Rezension von Rudolf Augstein höchstpersönlich: Der Herausgeber wünschte sich von Theweleit unter dem Titel »Frauen fließen, Männer schießen« am liebsten gleich noch ein therapeutisches Patentrezept, wie man die Welt von den »kranken Männerphantasien« heilen könne.

»Kranke Männerphantasien« als Ursache allen Weltenübels anzusehen, das mutet geradezu hochaktuell an. Das Bedürfnis, gesellschaftliche Krisen nach einem geschlechtlichen Raster zu pathologisieren, ist in den über 40 Jahren, die vergangen sind, seit Augstein seine Lobeshymne auf Theweleits Buch verfasste, eher stärker geworden. Schon in dieser Hinsicht können die »Männerphantasien« als epochal gelten – im Sinne der Prägung des Denkens und Sprechens kommender Jahrzehnte –, weil sie sich gut benutzen ließen, um das Signalwort »Mann« als jedem spezifisch sozialgeschichtlichen Kontext enthobene quasi psycho-onto­logische Erklärung von allerlei Missliebigem zu etablieren und damit auch gleich – für den ehemaligen SS-Mann Augstein auch persönlich nicht unwichtig – den Faschismus als rein therapeutisch-pädagogisch zu behandelnde Fehlentwicklung und Reifungsstörung zu universalisieren und somit zu entsorgen.

Solcherlei wurde in die »Männerphantasien« keineswegs bloß hineininterpretiert, die Tendenz liegt in der Eigenart des Werkes selbst. The­weleits Durchforsten seines Quellensammelsuriums nach Begriffen, die die Körper- und damit Weltvorstellung des »soldatischen Mannes« ausmachen – aus dessen Sicht negativ als zu Bannendes, ja Auszumerzendes: Feuchtigkeit, Schlamm, Schleim, Brei, Fließendes, und positiv: Härte, Geradlinigkeit, Leere, Reinheit, Ordnung –, ist durchaus fruchtbar als psychohistorische Studie darüber, wie Männer verzweifelt und mit buchstäblich aller Gewalt gegen sich und vor allem andere versuchen, die ersehnte nichtambivalente, nicht mit »Weiblichkeit« verunreinigte »Männlichkeit« herzustellen. Wofür das Buch so dankbar aufgenommen wurde von den Augsteins, als neuartige Faschismusanalyse nämlich, darin aber versagt es. Denn warum der »soldatische Mann« deutscher Bauart Konzentrationslager baute, sein alliiertes Pendant sie aber befreite, bleibt völlig offen; warum und wie der Nationalsozialismus auf unvergleichliche Weise jene »inneren Zustände in riesige äußere Monumente« verwandelt, wie Theweleit es an sich treffend charakterisiert, bleibt ebenso unklar. Die Faschisten, von denen Theweleit spricht, sind nebulös, die historische Kategorie verschwindet hinter einer Art überzeitlichem Archetyp der Misogynie und Gewaltneigung.