Klaus Theweleits Theoriecollage »Männerphantasien« wird neu aufgelegt

»Frauen fließen, Männer schießen«

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Unter theoretischen Gesichtspunkten entspringt diese bemerkens­werte Ort- und Zeitlosigkeit von Theweleits »Faschismus« der Verabsolutierung der »Wunschmaschine«, die Gilles Deleuze und Félix Guattari in ihrem 1974 auf Deutsch erschienen »Anti-Ödipus« konzipiert hatten, eine Vorstellung vom Unbewussten, bei der dessen Wünsche sich jeglicher Sublimierung entzögen und sich mit maschineller Unerbittlichkeit quasi seriell immer aufs Neue und immer gleich wieder herstellten. Den Antrieb dieser Maschine findet Theweleit wiederum bei der US-amerikanischen Psychoanalytikerin Margaret Mahler, die die aggressiven »Erhaltungsmechanismen« präödipaler Vorstellungen bei psychotischen Kindern erforscht hatte, mit der diese ihre Individuation, insbesondere die Ablösung von der Mutter zu verhindern suchen: Theweleit nennt das, was bei Mahler als Ich-Werdung bezeichnet werden könnte, als »Zu-Ende-geboren-Werden«; der soldatisch-­faschistische Mann, der sich nur mit Gewalttaten gegen die bedrohliche Weiblichkeit, das Versinken im »Schlamm« der Sexualität zu wehren vermag, sei demnach »noch nicht zu Ende geboren«, verharre sozusagen im »präödipalen Orbit«, wie es Jessica Benjamin in einem Text zur US-Ausgabe der »Male Fantasies« (1987/1989) ausdrückte.

Epochal – im Sinne von stilbegründend – war Theweleit also auch insofern, als er für Deutschland den Sieg der Semiotik über die Soziologie, letztlich den linguistic turn der Gesellschaftswissenschaften methodisch vorwegnahm, ohne ihn jedoch programmatisch zu postulieren. Dennoch bleiben die »Männerphantasien« im positiven Sinne zwiespältig, sind zwar Vorreiter des rechtsrheinischen Postmodernismus und widersprechen ihm doch zugleich auf eine merkwürdige, nachgerade freudianische Weise. Denn die Körper haben bei Theweleit wirklich Gewicht, er schreibt Körpergeschichte: Die »Männerphantasien« benennen die somatisch-sexuelle Quelle der analysierten Vorstellungen; die »Männerphantasien« betonen auf nahezu schmerzhafte, monoton-eindringliche Weise die pathologische Konsequenz, die es zeitigt, wenn Körper zu bloßen Trägern einer abgeschlossen Vorstellungswelt, einer idée fixe, eines Diskurses, wie man heute sagt, erniedrigt werden. Auf gruselige Weise gemahnen so diverse »kontrasexuelle« Manifeste der Gegenwart an die Zwangsvorstellungen des solda­ischen Mannes von der gereinigten, desexualisierten Welt.

Der heftige Widerstand des Körpers gegen seine Befriedung, die Verweigerung der Sublimierung des »unerhellten Triebs« (Adorno) zugunsten seines blutigen Ausagierens in Straforgien, die Theweleit analysiert, zwingen eben auch dazu, diese Antriebe ernst zu nehmen – und sich zu erinnern, welch fragile Konstruktion und gewaltige individuelle wie gesellschaftliche Aufgabe es ist, Libido und Zivilität miteinander, so gut es eben geht, ins Benehmen zu setzen. Die Angst vor der Lust und die Lust an der Angst gehören heute wieder sehr eng zusammen, scheint es: ein trauriger guter Grund, sich diesem Buch wieder zu überlassen, denn lesen im herkömmlichen Sinn des Wortes lässt es sich schwerlich.

Klaus Theweleit: Männerphantasien. Matthes & Seitz, Berlin 2019, 1 278 Seiten, 42 Euro