Linke Proteste sorgten für die Absage einer Lesung von Thilo Sarrazin in Bremen

Sarrazins Schweinebucht

Thilo Sarrazin ist in Bremen kein gerngesehener Gast. Eine in der Stadt geplante Lesung aus seinem neuesten Buch wurde abgesagt, nachdem Fußball-Ultras, die Verdi-Jugend sowie antirassistische und antifaschistische Gruppen protestiert hatten.
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Die »Havanna Lounge Bremen« hatte für Dienstag vergangener Woche Thilo Sarrazin zu einer Lesung aus seinem 2018 erschienenen Buch »Feindliche Übernahme« eingeladen. Nach heftigen Protesten wurde die Veranstaltung kurzfristig abgesagt. Dennoch demonstrierten an dem Tag etwa 500 Menschen »gegen Rassismus und Klassenkampf von oben«.
Die Havanna Lounge ist ihrer Selbstbezeichnung zufolge ein »Wirtschafts- und Gesellschaftsclub« in unmittelbarer Umgebung des Hauses der Bürgerschaft. Über 700 Mitglieder, »Entscheider aus Bremen und der Nordwest­region«, zahlen einen Jahresbeitrag bis zu 1 000 Euro. Nach Angaben des Clubs waren 90 Tickets zum Preis von je 75 Euro verkauft worden, ehe die Veranstaltung abgesagt wurde. Zu den Mitgliedern der Lounge gehören Rechtsanwälte, Notare, Vertreter der Hafenwirtschaft, der Weltraumin­dustrie, von Werder Bremen, Vorstandsmitglieder der Bremer Sparkasse und viele andere.

Sarrazin, ehemaliger Finanzsenator der SPD in Berlin und späteres Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank, postulierte in seinem 2010 erschienenen Buch »Deutschland schafft sich ab« unter anderem einen Zusammenhang zwischen »Erbfaktoren und dem Versagen von Teilen der türkischen Bevölkerung im Bildungssystem«, wobei er sich auf rassistische Biologen und Eugeniker des frühen 20. Jahrhunderts bezog. Auch in seinen vier folgenden Büchern »Europa braucht den Euro nicht« (2012), »Der neue Tugendterror« (2014), »Wunschdenken« (2016) und »Feindliche Übernahme« (2018) lieferte Sar­razin die intellektuelle Rechtfertigung für Forderungen der extremen Rechten. Den Grundsätzen seiner früheren Tätigkeit als Finanzsenator blieb er dabei treu, insofern er Menschen nach einer strikt ökonomischen Kosten-Nutzen-Rechnung kategorisierte und folgerichtig immer wieder den Ausschluss sogenannter Leistungsunwilliger und Leistungsunfähiger von der Teilhabe an Rechten und Ressourcen forderte.

In seinem jüngsten Buch geriert sich Sarrazin als Islamexperte und versucht, mit Statistiken das Ideologem vom Großen Bevölkerungsaustausch zu belegen.

Dabei scheut er auch nicht die Zusammenarbeit mit extrem rechten Führungsfiguren wie Jürgen Elsässer. So redete er unter anderem 2013 auf ­einer Konferenz des verschwörungsideologischen Magazins Compact in Leipzig; Anfang 2018 gehörte er zu den Erstunterzeichnern der »Gemeinsamen Erklärung 2018«, die vor einer »Beschädigung Deutschlands durch Masseneinwanderung« warnte. In seinem jüngsten Buch geriert sich Sarrazin als Islamexperte und versucht, mit Statistiken das Ideologem vom Großen Bevölkerungsaustausch zu belegen.

Ende November lud die Havanna Lounge Sarrazin wieder aus, nachdem sie nach Angaben ihres Geschäftsführers »unter beispiellosen Druck« geraten war. Wenige Tage zuvor hatten Bremer Ultragruppen beim Heimspiel des SV Werder gegen Schalke 04 Spruchbänder im Fanblock gezeigt, auf denen sie den Verein aufforderten, die Loge der Havanna Lounge im Weserstadion zu kündigen. Bereits zuvor hatte die Kampagne »Nationalismus ist keine Alternative« unter dem Slogan »Sarrazin, halt’s Maul! Gegen Rassismus und Klassenkampf von oben« dazu aufgerufen, die Havanna Lounge zu schließen, und eine Demonstration angekündigt. Der Bremer Erwerbslosenverband, die Interventionistische Linke, die Gruppe »Together we are Bremen«, die Verdi-Jugend und »Solidarity City Bremen« unterstützten den Aufruf.

Libuše Černá, die Vorsitzende des Rats für Integration, teilte der Jungle World mit: »Die Thesen von Thilo ­Sarrazin möchte ich nicht kommentieren.« Sie besuche zwar gelegentlich Veranstaltungen der Havanna Lounge, sei aber kein Mitglied. Über das Programm werde sie nicht vorab informiert.

Die Landesvorsitzende der SPD, ­Sascha Aulepp, sagte dem Weser-Kurier: »Leute wie Thilo Sarrazin verdienen keine öffentliche Aufmerksamkeit.« Sarrazin sei ein »verwirrter Rassist« und habe in der SPD nichts verloren. Bremens Bürgermeister Andreas ­Bovenschulte (SPD) sagte der Zeitung, er kenne Sarrazin nicht persönlich; was dieser schreibe, sei »rassistischer Unfug«.

2010 und 2011 waren zwei Versuche gescheitert, Sarrazin aus der SPD ­auszuschließen. Mitte 2019 gab eine Schiedskommission der Partei dem Antrag des Parteivorstands statt, Sarrazin auszuschließen. Dieser hat jedoch angekündigt, gegen die Entscheidung juristisch vorzugehen, »notfalls bis zum Bundesverfassungsgericht«. Bis dahin könnten noch Jahre vergehen. Bis zur abschließenden Entscheidung bleibt Sarrazin Mitglied der SPD.