Ein Gespräch über Finanzkooperativen und kollektives Geldverwalten

»Wir sind in unseren politischen Kämpfen freier«

Norman* ist Mitglied einer Finanzkooperative und einer der Autorinnen und Autoren des Buchs »Finanzcoop oder Revolution in Zeitlupe. Von Menschen, die ihr Geld miteinander teilen«, das im März im Büchner-Verlag erschienen ist. Im November stellten sie ihr Buch in Berlin vor.

Geld teilen – das hört sich erstmal harmlos an. Wieso braucht es bei dem Thema Finanzcoop ein Pseudonym, Brille und Perücke?

Nicht all unsere Familienangehörigen wissen von dieser Finanzcoop. Bei manchen von uns ist das eine Art von Outing-Prozess, denn manche Biofamilien reagieren sehr empfindlich darauf. Ich finde auch, dass das meine Studierenden oder Kolleginnen und Kollegen nicht alle wissen müssen.

Geld bleibt also ein Tabuthema?

Nein. Wir sprechen in der Finanzcoop ganz viel über Geld, auch mit anderen. Und es würde sich lohnen, gesellschaftlich mehr über Geld zu reden. Das würde klar machen, wie Privilegien verteilt sind und welche Ungerechtigkeiten es in der Bezahlung gibt.

Diese Ungerechtigkeit wollten Sie mit der Finanzcoop aufheben. Wie ist es dazu gekommen?

»Es würde sich lohnen, gesellschaftlich mehr über Geld zu reden.«

Wir fanden es doof, dass einige von uns viel Geld und andere weniger hatten. Das hat uns daran gehindert, einen gemeinsamen Ausflug in eine Frankfurter Kunsthalle zu machen. Diese Ungleichheiten wollten wir abschaffen. Es gab aber auch Ungleichheiten im Zugang zur Kunst überhaupt. Manche konnten etwas damit anfangen, andere nicht.

Frei nach Bourdieu: Es ging um die Unterschiede von kulturellem, sozialem und ökonomischem Kapital?

Ja, auch wenn wir es damals nicht so formulierten. Das war vor mittlerweile 22 Jahren. Am Anfang waren wir eine ganze Weile zu sechst. Nach Phasen der Zu- und Abgänge haben wir uns seit 2012 auf sieben Mitglieder eingependelt.

Sie schreiben in Ihrem Buch »Finanzcoop oder Revolution in Zeitlupe. Von Menschen, die ihr Geld miteinander teilen«, dass die Finanzcoop eine ähnliche Funktion wie eine Familie erfüllt.

Ich finde, der Begriff Familie ist nur eine Notlösung. Ich benutze ihn gar nicht. Für mich ist die Finanzcoop ein soziales Netz, ein Kollektiv. Aber es gibt darin etwas Besonderes. Man könnte sagen, wir sind ein sehr vertrautes Emo-Kollektiv.

Neue Mitglieder müssen Ihr Vertrauen gewinnen, um mitzumachen?

Wir wollen gar nicht mehr wachsen. Aber ein potentielles neues Mitglied müsste aus unserem Umfeld kommen und wir müssten uns gut kennen. Das ist unser soziales Ausschlussmoment. Ganz offensichtlich sind wir auch eine deutsche weiße Gruppe. Wir würden das mittlerweile anders machen.

Und wie?

Unsere sozialen und politischen Umfelder sind diverser geworden. Es geht viel mehr um die Beziehung, Freundschaft und Arbeit mit Geflüchteten. Zum Beispiel sind Geflüchtete Teil eines unserer Bioladenkollektive. Außerdem spenden wir einen festen Betrag unserer Einkünfte für diverse intersektionale Projekte.

Was wird bei Ihnen alles geteilt?

Gehälter, geschenktes Geld oder Hartz IV. Das kommt alles auf ein Konto. Erbschaften werden nicht unbedingt kollektiviert. Wir entscheiden aber zusammen, in welchen Projekten diese angelegt werden können. Die Gewinne werden dann geteilt.

Wie verdienen die Einzelnen das Geld?

Es gibt zwei Personen in verschiedenen Städten, die beide Bioläden mit Mitgliedskonzepten haben. Dann gibt es zwei Ärztinnen, einen freiberuflichen Booking-Agenten, eine Journalistin und mich als wissenschaftlichen Mitarbeiter. Und vier Kinder.

Ist Lohnarbeit also eine Voraussetzung?

Ich habe lange Sozialhilfe bekommen. Insofern ist eigenes Geld mitzubringen keine Voraussetzung. Bei Stress mit dem Jobcenter ist die Finanzcoop eine Entlastung, weil wir Sozialleistungsrepressalien abfedern können.

Sie wohnen in unterschiedlichen Städten. Wie organisieren Sie sich?

Alle sieben bis neun Wochen treffen wir uns für ein Wochenende in einer dieser Städte. Unsere Treffen sind so strukturiert, dass wir zuerst eine Emo-Runde machen. In der geht es darum, wie es den Einzelnen geht und was sie beschäftigt. Dann sammeln wir Themen: Jobwechsel, Auszeit, Auto- oder Hauskauf und Ähnliches. Zusätzlich gibt es noch die Kohle-Runde. Das ist eine Runde, in der wir Ausgaben über 100 Euro ankündigen und danach einen Überschlag über unsere verbleibenden Finanzen machen. Jemand braucht ­einen Laptop, 800 Euro. Jemand anderes neue Schuhe, Jacke und Hose, 200 Euro, und so weiter. Wenn gerade drei Leute einen neuen Laptop brauchen, dann geht vielleicht mal nur einer. Aber ein Kaufverbot gab es in den 20 Jahren nur einmal.

Bei was?

Bei einem antiken Ofen. Das fanden wir alle unnötig.

Der Titel Ihres Buches beschreibt die Finanzcoop als »Revolution in Zeitlupe«. Warum?

Weil wir davon ausgehen, dass die Welt eine bessere wäre, wenn mehr Menschen sich ein solidarisches ökonomisches System ausdenken würden. Wir sind aber nicht so glücklich mit dem Buchtitel, weil wir unsere Finanzcoop nicht revolutionär finden. Wir verändern damit nicht die Gesellschaft – aber etwas Grundlegendes für uns sieben, die vier Kinder und vielleicht noch für ein paar Menschen um uns herum.

Sie investieren in Projekte, von ­denen Sie sich langfristig einen finanziellen Vorteil erhoffen. Sie ­lassen das Geld für sich arbeiten?

Ja, kann man so sagen. Das ist ein ganz großes Dilemma, weil es sehr schwierig ist, Geldanlagen zu finden, die nicht in diesem kapitalistischen Anhäufungssystem verankert sind. Andererseits wissen wir nicht, wie wir die Finanzcoop finanzieren sollen, wenn wir einmal alt sind und nicht mehr arbeiten. Bei vielen reicht das, was sie jetzt in die Rentenversicherung einzahlen, nicht aus. Wir haben nur wenige gute Ideen, wie wir daran arbeiten können. Deshalb achten wir darauf, dass wir in faire Bio-Projekte investieren. Daneben haben wir noch den beiden Kollektiv-Bioläden und einem Bio-Großbauern Geld geliehen.

Also agieren Sie wie eine kleine autonome Bank?

Das klingt ein bisschen so, aber nein, wir sind keine Bank. Wir sind eine Gruppe von Individuen, die gemeinsam entscheiden, wie sie ihr Geld anlegen und wen sie damit unterstützen.

Im Nachwort zu Ihrem Buch schreibt Bini Adamczak, dass Sie als Finanzcoop folgenden kommunistischen Grundsatz erfüllen: Jede nach ihren Fähigkeiten, jede nach ihren Bedürfnissen.

Ich habe nicht so viel Ahnung vom Kommunismus, aber demnach sind wir wohl hochkommunistisch. Wir alle wünschen uns die Abschaffung des kapitalistischen Ausbeutungssystems. Durch die Finanzcoop sind wir erstens in unseren politischen Kämpfen freier. Wir bewegen uns alle mit Mitte 40 noch in der radikalen Linken. Und zweitens diskutieren wir nur wenig frontal ideologisch.

Das heißt?

Das heißt, dass unsere einzige De­batte, die ideologisch frontal geführt wurde, eine über das Fliegen war. Da haben wir uns gefragt: Sollen wir überhaupt fliegen?

Was hat diese klimapolitische Diskussion ergeben?

Wir haben uns professionelle Hilfe geholt, einen Moderator. Als Lösung hat er uns folgendes Punktesystem vorgeschlagen: Wir haben sechs Punkte in zwei Jahren, die wir verfliegen können. Ein Europaflug kostet jeweils einen und Fernreisen kosten 1,5 Punkte. Darauf konnten wir uns einigen.

Bleibt bei dem ganzen Diskutieren nicht Ihre Privatsphäre auf der Strecke? Man möchte vielleicht nicht alles teilen, wenn es ums Geld geht.

Das Private ist politisch. (lacht) Es bleibt mir überlassen, was ich erzähle. Und dennoch finden wir den Austausch über Bedürfnisse, Geld und Arbeit bereichernd.

Welche Ausgaben- und Einnahmekontrollen haben Sie?

Keine, die wir als Struktur festgelegt haben, außer die Kohle-Runde. Da geht es aber mehr um Transparenz. Ansonsten gibt es das Konto, und wenn ich Geld brauche, hole ich mir welches und gebe es aus.

Welche Rolle spielen die deutlichen Einkommensunterschiede?

Wir versuchen, sie auszugleichen. Manchmal fällt trotzdem auf, dass es der Person aus reichem Elternhaus leichter fällt, mal schnell irgendwas Teures anzuschaffen oder teuer zu wohnen.

Führt das zu Missgunst?

Selten. Es kann aber Konflikte geben.

Wie gehen Sie mit juristischen ­Ansprüchen auf Ihr gemeinsames Geld um? Beispielsweise nach einer Heirat?

Es gibt Leute in der Finanzcoop, die mit ihren Liebespartnerinnen oder -partnern und mit den Kindern zusammenleben. Aber keine Heirat. Es sind welche als Lebenspartnerschaft eingetragen, um ein Kind in einer lesbischen Beziehung adoptieren zu können. Außerdem haben wir alle intern Patientenverfügungen und Testamente geschrieben, in denen wir uns gegenseitig eingetragen haben.

Sind Sie gut versorgt?

Ich finde es schwierig, das zu kalkulieren. Unsere Einnahmen liegen mit größeren Schwankungen bei etwa 16 000 Euro im Monat. Wenn jemand eine Arbeitsauszeit nimmt, rutschen wir auch mal in den Dispo oder zapfen Ersparnisse an. In unseren Anfangsjahren hatten wir sehr viel weniger Geld. Da ging es noch viel mehr darum, Dinge zu teilen, auszutauschen oder gemeinsam Containern zu gehen.

In Teilen liest sich Ihr Buch wie ein Ratgeber für alternative Familienkonzepte.

Das finde ich ein bisschen gemein. In einer anderen Kritik stand, und das fand ich sehr schön, dass sich unser Buch ein bisschen wie eine wohlwollende antikapitalistische Gruppentherapie liest.

Interview: Torben Becker

 

 

*Name von der Redaktion geändert.