Glen Wood, Banker, im Gespräch über Vaterschaftsurlaub in Japan

»Männer sind Eigentum ihres Unternehmens«

Glen Wood ist Investmentbanker und hat zuletzt in ­Japan bei Mitsubishi UFJ Morgan Stanley gearbeitet. Als sein Sohn vorzeitig geboren wurde und in Lebensgefahr schwebte, stellte er einen Antrag auf Vaterschaftsurlaub. In der Folge verlor er seine Anstellung. Seitdem geht er rechtlich gegen seinen japanischen Arbeitgeber vor. Als einer der ersten setzt er sich öffentlichkeitswirksam gegen »patahara« in Japan ein (von paternity harassment), Schikanen gegen Väter.
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Sie haben Mitsubishi UFJ Morgan Stanley dafür verklagt, Sie schikaniert und aus Ihrer Arbeitsstelle ­gedrängt zu haben, als Sie nach der Geburt Ihres Sohns Vaterschafts­urlaub beantragt haben. Was genau ist passiert?

Mein Sohn kam 2015 vorzeitig zur Welt und befand sich auf der Neugeborenen-Intensivstation. Es ging um Leben und Tod. Ich habe das Unternehmen daher flehentlich gebeten, einen Vaterschaftsurlaub zu genehmigen, ein gesetzlich garantiertes Recht in Japan. Man bewilligte ihn nicht. Ich hatte keine andere Wahl, als ohne Genehmigung zu meinem Kind zu eilen. Eine der Bedingungen war, einen DNA-Test ein­zureichen, der meine Vaterschaft bewies. Damit erhielt ich zwar eine Zusage, doch erfolgte keine Rückdatierung meines Vaterschaftsurlaubs. Die Zeit bis zur Bewilligung wird daher als unentschuldigte Abwesenheit betrachtet. Als ich wieder ins Büro zurückkam, hatte man mir meinen alte Anstellung genommen, schikanierte mich und grenzte mich aus. Das Management hatte meinen Kollegen zuvor angekündigt, dass ich nicht länger vertrauenswürdig sei und nicht in dieselbe Posi­tion zurückkehren würde. Sie haben mich herabgestuft, meine Vergütung ­gekürzt und mich letztlich entlassen – trotz herausragender Evaluationen, trotz meines Status’ als Vollzeitangestellter und obwohl ich ihnen ein ­unglaublich gut laufendes Geschäft aufgebaut habe.

Sind für ausländische Staatsangehörige wie Sie höhere Hürden zu überwinden als für Japaner, die Elternzeit beantragen?

Ja. Japan bleibt eine relativ stark homogene Gesellschaft. Nicht-Japaner bleiben Außenseiter und werden traditionell als rechtlos angesehen. Dies ­ändert sich allmählich, aber die vielen bekannten Fälle von Kindesentführung durch den japanischen Elternteil, von schlechterer und ungleicher Behandlung ausländischer Arbeitnehmer und so weiter verdeutlichen die Tiefe des Problems. In meinem Fall forderte man beispielsweise noch Dokumente an, die unmöglich hätten eingereicht werden können.

Wie haben Ihre Kolleginnen und Kollegen reagiert, als sie auf Ihre ­Situation aufmerksam wurden?

Sie waren schockiert, bestürzt und entmutigt. Aber derartige Schikanen ­haben sie in der Vergangenheit schon oft erlebt.

Wie haben sich diese Geschehnisse auf Sie persönlich ausgewirkt?

Sie haben mein Leben zerstört, meine langjährige Karriere ruiniert und meinen Ruf geschädigt. Am schlimmsten ist, dass sie meiner Familie und ­denen, die ich liebe, unwiderruflichen Schaden zugefügt haben.

Sayaka Osakabe, eine bekannte japanische Frauenrechtlerin, die selbst »matahara« (Schikanen gegen Mütter) ausgesetzt war, schrieb über Sie, dass es mutig sei, »patahara« öffentlich zu problematisieren. Würden Sie sagen, dass das ein Tabu­thema ist?


Ja. Die Männer sind Eigentum ihres Unternehmens. Eine Auszeit für die ­Familie zu nehmen, ist Hochverrat.

Das spiegelt sich in Zahlen des japanischen Ministeriums für Gesundheit, Arbeit und Soziales wider: Nur sechs Prozent aller Väter nehmen einen kurzen Vaterschaftsurlaub. 30 Prozent aller weiblichen Beschäftigten kündigen, ­sobald sie schwanger sind und das Kind haben wollen. Von den restlichen 70 Prozent nehmen hingegen 80 Prozent Mutterschaftsurlaub in Anspruch. Welchen Erwartungen sollen Frauen in Japan gerecht werden, wenn es um Kindererziehung und Berufsleben geht?

»Von den sechs Prozent, die Vaterschaftsurlaub nehmen, werden 60 Prozent gemobbt und dann gefeuert. Von Frauen wird immer noch erwartet, dass sie ihre Arbeit opfern.«

Die Forschung hat gezeigt, dass von den sechs Prozent, die Vaterschaftsurlaub nehmen, 60 Prozent gemobbt und dann gefeuert werden. Von Frauen wird immer noch erwartet, dass sie ihre Arbeit opfern. Diese Erwartungshaltung hat sich aber in den vergangenen 30 Jahren, in denen ich hier bin, leicht verschoben. Es war früher so, dass Frauen keiner Lohnarbeit nachgingen – Punkt. Dann wurde es so, dass Frauen arbeiten konnten, bis sie heirateten. Nach der Heirat mussten sie ihren Job kündigen. Dann verlagerte es sich auf das Kündigen im Falle einer Schwangerschaft. Wir befinden uns derzeit in einer Art Übergangsphase, aber Frauen können nach wie vor nicht Kinder bekommen und ihre Karriere fortsetzen. Mütter versuchen oft, wieder im Berufsleben Fuß zu fassen, werden aber sehr oft mit Mobbing und Ausgrenzung begrüßt – bis sie aufgeben oder zusammenbrechen. Die traditionellen Geschlechterrollen werden hier in Japan sehr stark forciert – vor allem von den männlichen Führungskräften im Alter von 40, 50, 60 Jahren.

Gibt es keine Unterstützungsstrukturen wie staatliche Kinderkrippen und Kindergärten, die es den Eltern ermöglichen, Kinderbetreuung und Arbeit miteinander in Einklang zu bringen?

Es gibt nicht genug, um die Nachfrage zu befriedigen. Dies ist ein ständiger Spannungspunkt in der Gesellschaft. Und oft sind die Einrichtungen weit weg von der Arbeitsstelle, was berufstätige Eltern sehr belastet. Auch die ­gesellschaftliche Wahrnehmung von Müttern, die ihre Kinder weggeben, ist sehr negativ. Die Manager sehen auf diese Mütter herab, weshalb sie Schikanen und Degradierungen ausgesetzt sind. Der einzige sozial verträgliche Weg ist, dass eine Mutter ihre Arbeit aufgibt und Hausfrau wird. Und wenn es einen alleinerziehenden Elternteil oder einen Vater gibt, der versucht, die ­Familie zu unterstützen, werden sie sofort ausgegrenzt, gemobbt und entlassen.

Der japanische Umweltminister Shinjiro Koizumi löste einen ­konservativen Aufschrei aus, als er bekanntgab, dass er vielleicht ­Vaterschaftsurlaub nehmen würde, wenn er Vater wird. Als Reaktion auf die Kritik nannte er Japan »altmodisch« und »dickköpfig«. Was muss Ihrer Meinung nach getan werden?

In Anbetracht dessen, wie tief verwurzelt Mobbing in der japanischen Unternehmenskultur ist, ist möglicherweise die beste Idee, Elternzeit zur Pflicht zu machen.

Um das Bewusstsein für das Problem »patahara« zu schärfen, führen Sie seit Beginn des Gerichtsprozesses eine Kampagne. Wie haben Öffentlichkeit und Medien reagiert?

Millionen Menschen haben sich meine Videos angesehen und Zehntausende haben mir ihre Unterstützung ausgesprochen und mich ermutigt. Viele ­haben dasselbe erlebt, sind in einer ähnlichen Situation, konnten aber nicht darüber sprechen. Sie fordern mich auf, weiterhin einzuschreiten und das Problem zu benennen. Ich habe mich ursprünglich auf Anraten meiner Anwälte an die Medien gewandt. Sie glaubten, es gäbe keinen anderen Weg, als die Firma sich weigerte, zuzuhören.

Ihr jüngster Gerichtstermin war am 9. Oktober 2019. Ein Urteil ist noch nicht gefallen. Mitsubishi UFJ Morgan Stanley weist alle Ihre Anschuldigungen zurück und behauptet zugleich, ein elternfreundliches Unternehmen zu sein. Was sind Ihre ­Erwartungen für den nächsten Verhandlungstag?

Das geht schon seit vier Jahren so. Mein Sohn ist jetzt vier Jahre alt. Wir haben uns fast monatlich mit dem Gericht getroffen. Diese Treffen sind geschlossene Sitzungen, um das Unternehmen zu »schützen«. Es gab eine öffentliche Gerichtssitzung, in der Zeugen sprachen. Es war sehr klar, was passiert war. Der Richter versuchte, Mitsubishi Morgan Stanley zum Verhandeln zu bewegen, aber das Unternehmen weigerte sich, mit uns ins Gespräch zu kommen. Die Urteilsverkündung ist jetzt auf den 3. April 2020 gelegt worden. Danach wird es wahrscheinlich zu einem Berufungsverfahren kommen und dann würden wir zum Obersten Gerichtshof ziehen.

Ein Mitarbeiter von Asics hat gerade eine Klage gegen das Unternehmen wegen Diskriminierung aufgrund seiner Inanspruchnahme des Vaterschaftsurlaubs eingereicht. Ihr und sein Fall scheinen tief verwurzelte problematische Aspekte der Geschlechterrollenverteilung in der japanischen Unternehmenskultur aufzuzeigen. Glauben Sie, dass mehrere Gerichtsbeschlüsse zugunsten von Vätern einen echten Unterschied machen werden?

Ich denke, dass wirklicher Wandel in ­Japan nur sehr langsam vonstatten geht und ein äußerst beschwerlicher Prozess sein kann. Wir sehen das in der Geschichte. Die herrschende Klasse Japans hat trotz solcher Dinge wie der außergewöhnlich hohen Erbschaftssteuer seit vielen Generationen ihre ­Position gehalten. Das Kaisersystem besteht seit etwa 600 v. Chr. – die älteste noch existierende Erbmonarchie der Welt. Gleichwohl sind die Vaterschafts- und Mutterschaftsurlaubsgesetze vor bald 30 Jahren aus einem bestimmten Grund beschlossen worden: Die Menschen können unter dem heutigen, auf Mobbing basierenden Management keine Kinder mehr kriegen; Gesellschaft, Kultur und Wirtschaft sind durch den Bevölkerungsrückgang bedroht.

Indem ich zum Handeln gezwungen wurde, hat Mitsubishi Morgan Stanley uns in eine Position gebracht, durch die wir hoffentlich etwas bewegen können. Gerichtsurteile, Verfahren und Präzedenzfälle werden sicherlich einen Unterschied machen. Außerdem habe ich ein Buch geschrieben, das auf Englisch und Japanisch erscheinen soll. Es wird die angesprochenen Problempunkte, das Gerichtsverfahren und die schockierende Behandlung von Mitarbeitern besprechen. Mein Team und ich beraten auch Unternehmen zu den Risiken von Mobbing. Zudem haben wir eine Online-Petition erstellt, die zum Handeln aufruft. Ferner wurden wir von einem Online-Streaming-Giganten angesprochen, der eine Dokumen­tation über meinen Fall produzieren möchte. Damit kommen wir voran.