Der letzte linke Kleingärtner, Teil 61: Wieder greift der Habicht an

Böser Habicht

Krauts und Rüben – der letzte linke Kleingärtner, Teil 61
Kolumne Von

Kaum zurück aus dem Berliner Metropolenzirkus der Wichtigkeiten und von der politisch etwas monotonen Öko-Demo für eine nachhaltigere Landwirtschaft landete ich unsanft im wirklichen Leben. Ein Habicht verschaffte sich Zutritt zu meinem Hühnergehege. Wobei »Zutritt« nicht ganz stimmt, Sturzflug wäre angebrachter. Zweimal, im vergangenen und vorvergangenen Jahr, war der Angriff gelungen und zwei Hühner waren gerissen worden. Doch so einfach war es dieses Mal nicht. Es gab großes Geschrei, heftige Gegenwehr und am Ende konnte der Kleingärtner die gefiederten Zweibeiner retten. Ein Huhn musste zwar ordentlich Federn lassen, überlebte aber.
Dabei behaupten die recht gut alimentierten Gegner der Windenergie doch seit Jahren, dass die bösen Windräder nicht nur die schöne deutsche Natur zerstörten, sondern auch zahlreiche Greifvögel schredderten. Mit viel romantischem Bezug zur vermeintlich unberührten Natur dient ihnen dies als eines ihrer besten, weil emotionalsten Argumente gegen die monströsen Windräder, mit denen verglichen die Straßen, Flughäfen, Eisenbahngleise, Häuser, Hotels oder Touristenburgen wohl lediglich Spielzeug sind.

Ich wünschte mir aus tiefstem Herzen, diese vermeintlichen Beschützer der unberührten Natur hätten recht. Während auf die Ökos Verlass ist mit ihrem steten monotonen Gemurmel von Nachhaltigkeit und Klimaschutz, einschließlich dem Fehlen jedweder politischen Analyse, kann man die Windradgegner mit ihren fake news glatt in der Pfeife rauchen.

Eigentlich wollte ich mich bis Mitte Februar erholen. Doch ich muss mir wieder Schutzvorrichtungen für meine fünf Hühner überlegen. Ich bin selbst überrascht, welche Gewaltphantasien ich gegen hühnermordende Greifvögel entwickle. Vollkommen reflexhaft laufen sie in meinem Kopfkino ab, und gedanklich zerlege und rupfe ich stundenlang Feder für Feder des flügelschlagenden Raubtiers. Und wenn ich es erledigt habe, fange ich wieder von vorne an. Immer und immer wieder, damit nichts übrig bleibt und meine Hühner endlich Ruhe haben. Und ja, vielleicht sollte man die Windräder zukünftig mit Hühnerköpfen und Hühnerfedern versehen, damit sie wirklich viele Greifvögel anlocken. Das gäbe ein Schredderfest! Um die Windräder herum würde ich ein Gehege für Hühner anlegen. Als fleischfressende Zweibeiner, die sie nun einmal sind, würden sie sich triumphierend die geschredderten Greifvögel schmecken lassen, bis deren Knochen blitzblank wären. Das wäre irgendwie ökologisch und gleichsam Teil einer perfiden Kreislaufwirtschaft. Nichts ginge verloren und nichts geht über wohlschmeckende Frühstückseier von den Hühnern aus meinem Garten.

Ich erschrecke selbst ob dieser Bilder voller Blut und zertrümmerter Knochen. Früher wollte ich die Welt mal pazifistisch retten. Das hat nicht funktioniert, also musste ich ganz pragmatisch umdenken. Als Kleingärtner bin ich ebenfalls nicht der Dümmste und schmeiße Pflanzen aus dem Programm, die bei mir nicht gut wachsen. An meinem Pragmatismus sollte sich die Welt orientieren.

Jedenfalls kommt ein Ärgernis selten allein. Während ich meinen Kampf gegen die Greifvögel führe, fällt mir noch ein Übeltäter ein: »die Raiffeisen«. So nennt man umgangssprachlich manche ­lokalen Märkte für landwirtschaftsnahe Produkte. Dahinter verbirgt sich ein weltweites Imperium aus 330 000 Unternehmen inklusive Banken, die allesamt recht marktbeherrschend in der Landwirtschaft und im Agrarhandel tätig sind. Was habe ich in den vergangenen Jahren über diesen Monopolisten geflucht und gelästert und doch dort eingekauft, weil es so bequem war, da es in meiner direkten Nachbarschaft zwei dieser Märkte gab.

Die sind nun Vergangenheit. Die ordnende Hand des Marktes – also das, was bei mir im Garten ich selbst bin – hat im vergangenen Jahr jede Menge lokale Raiffeisenmärkte von heute auf morgen ­geschlossen. Die Mitarbeiter waren so überrascht wie die ungläubig dreinblickenden Kunden. Vielleicht habe ich doch zu viel geflucht, wenn sie wieder nur bestimmte Kartoffelsorten hatten – die hochgelobte Sorte Linda konnte ich dort nie kaufen – oder meist nur genverändertes Hühnerfutter. Zurzeit könnte ich die Unsympathen von der Raiffeisen mal brauchen und schon gibt es sie nicht mehr. Aus und vorbei. Restrukturierung, Marktbereinigung, zu unwirtschaftlich und welche Wortbildungen das neoliberale Geschwurbel noch produziert. Ist ja gut. Wenigstens einen der beiden Läden ­hätten sie geöffnet halten können. An mein Fluchen hatte ich mich so gewöhnt.

Dann müssen eben die monoton daherkommenden Ökos und die hühnertötenden Greifvögel als Zielscheibe herhalten. Ohne Fluchen gibt es keinen linken Kleingärtner. Neben Wasser ist Fluchen eine der großen Quellen des Wachstums.