Für die linke Szene ist die Affäre um die Spannervideos ein Schock

Der Me-Too-Moment der Linken

Der Umgang des Organisationsteams des Festivals »Monis Rache« mit der Affäre um die dort heimlich gefilmten Toilettenvideos hat viele potentiell Betroffene empört. Eine breite Öffentlichkeit ist jetzt nötig.

Als die linke Psychologin und Journalistin Bilke Schnibbe »noch vor dem Frühstück« erfuhr, dass sie »möglicherweise beim Pissen, Kacken und Tampon wechseln gefilmt wurde und sich nun irgendwelche Arschlöcher auf diese Aufnahmen einen runterholen«, war sie stinksauer. Sie hätte ihren »Laptop aus dem Fenster schmeißen und alles kurz und klein treten« können, schrieb sie am 14. Januar im Online Magazin-Supernova.

Ähnlich ging es vielen anderen potentiell Betroffenen der heimlich beim Festival »Monis Rache« aufgenommenen Videos. Genau eine Woche zuvor hatte die Plattform »STRG_F« in einer Dokumentation der Journalistin Patrizia Schlosser die Ereignisse erstmals öffentlich gemacht. Seitdem wurde immer mehr darüber bekannt, warum einzelne Personen aus dem Organisationsteam des Festivals, obwohl sie bereits seit September 2019 von den heimlichen Aufnahmen wussten und den Täter kannten, dieses Wissen zunächst für sich behielten. Erst wenige Tage vor dem Erscheinen der Dokumentation informierten sie den Rest der Festivalsorganisation davon.

In der analogen Welt kann es schwer sein, nachzuweisen, dass ein sexueller Übergriff geplant und beabsichtigt, also vorsätzlich war.

Dieser nicht zuletzt auch für die Organisatorinnen und Organisatoren von »Monis Rache« mehr als unglückliche Umgang mit dem Wissen um die Taten hatte Folgen: In der autonomen, postautonomen und gegenkulturellen radikalen Linken war die Empörung groß. Nicht zuletzt wegen der vielfach als intransparent und unzureichend empfundenen Reaktionen der Organisatorinnen und Organisatoren des Festivals füllten sich die Kommentarspalten auf der Facebook-Seite von »Monis Rache« mit wütenden Beiträgen. »Ich finde euren Umgang mit der Sache unglaublich problematisch, gerade Betroffene diese ganze Zeit nicht einzuweihen. Mir ist übel«, steht in einem Posting. Bald bildeten sich Chat-Gruppen auf Messenger-Diensten für potentiell Betroffene, für die alsbald der Republikanische Anwaltsverein auf seiner Website Rechtshilfetipps veröffentlichte.
Nicht nur in linken Kneipen und Wohngemeinschaften ist die Affäre seit Wochen ein ständiges Gesprächsthema, sämtliche linken Zeitungen vom Neuen Deutschland bis zur Taz berich­teten regelmäßig über die neuesten Erkenntnisse und Entwicklungen. Selbst im Spiegel erschien am 10. Februar ein Beitrag, nachdem ein ähnlicher Vorfall auf dem Fusion-Festival publik wurde. Dies alles entspricht nicht unbedingt der üblichen Aufmerksamkeit, die linke Festivals erhalten, zumal »Monis Rache« im Vergleich zum Fusion-Festival relativ klein und wenig bekannt ist.

Erst am 6. Februar, fast genau einen Monat nach Erscheinen von Schlossers Dokumentation, veröffentlichte die Vollversammlung des Organisations­teams von »Monis Rache« eine Stellungnahme. Merkbar um Transparenz nach außen und Sensibilität gegenüber den Betroffenen bemüht, wird darin ausführlich eine Mischung aus misslichen Umständen, Vertuschung seitens Einzelner sowie umständlichen gruppeninternen Entscheidungsprozessen beschrieben. Wer genau von den Videoaufnahmen betroffen war, wird, so die Stellungnahme, wohl nicht mehr in vollem Umfang rekonstruierbar sein. Zwischen September 2019 und Januar 2020 seien Beweise vernichtet worden.

Mit der Debatte erlebt ein Teil der Linken in Deutschland nun ihren Me-Too-Moment. Als 2017 die Me-Too-Bewegung in den USA einsetzte, war das Thema gerade unter Linken nicht neu. Diskussionen über Sexismus und sexuelle Gewalt haben in der Linken eine lange Tradition. Doch dass konkrete Fälle sexueller Übergriffe öffentlich diskutiert werden, kommt vergleichsweise selten vor.

Seit über zehn Jahren wird im Umfeld des Fusion-Festivals über Awareness-Konzepte und antisexistische ­Beratungsangebote diskutiert. Seit sechs Jahren stellt das Festival ein eigenes Awarenessteam. »Monis Rache« war in diesen Fragen anscheinend noch stärker darum bemüht, mit Hilfe von Regulierungen ein antisexistisches Klima zu schaffen. Der Veranstalter der Fusion, der Kulturkosmos Müritz e. V., sprach sich beispielsweise in einem Newsletter von 2019 gegen »No shirt, no service«-Schilder an Tresen aus. Stattdessen will er, »dass alle sich frei fühlen können, unabhängig von ihrem Geschlecht, auf der Fusion so nackt rumzulaufen, wie sie sich wohlfühlen«. In einem offenen Brief hatte dies im April 2019 der fe­ministische Infoladen FAQ aus Berlin kritisiert. Auf »Monis Rache« war es hingegen bereits 2018 Männern verboten, sich mit freiem Oberkörper auf dem Festival-Gelände zu bewegen.

Was die Vorfälle bei »Monis Rache« und dem Fusion-Festival von anderen Auseinandersetzungen über sexuelle Übergriffe unterscheidet, sind zum einen die ungewöhnlich hohe Zahl potentiell Betroffener, zum anderen die dank des Internets eindeutig dokumentierten Taten. In Fällen von analoger sexueller Gewalt sind auch in linken Kreisen in der Regel einzelne Personen betroffen – fast immer Frauen. Diese sind, nicht anders als im Rest der Gesellschaft, häufig damit konfrontiert, dass ihre Glaubwürdigkeit in Frage gestellt oder ihnen eine Mitverantwortung für die Taten gegeben wird. Da es zumeist keine weiteren Zeugen für einen sexuellen Übergriff gibt, steht häufig Aussage gegen Aussage. Wenn auch noch Alkohol oder andere Drogen im Spiel waren, ist die Position der Betroffenen noch schwieriger.

Doch im Fall der heimlich gemachten Aufnahmen auf »Monis Rache« und deren Verkauf und Verbreitung auf Pornoplattformen im Internet ist so manches, was sich in anderen Fällen sexueller Gewalt kaum beweisen lässt, ausnahmsweise hinreichend klar belegt. Es ist unbestritten, dass die Betroffenen nichts von den Aufnahmen wussten. Ob sie betrunken oder berauscht waren, spielt keine Rolle, der Täter kann sich darauf nicht berufen. Dass dieser seine Opfer allein aufgrund sexistischer Kriterien und zu sexistischen Zwecken aussuchte, ist auch offensichtlich. Es sind in diesem Fall keine Missverständnisse denkbar, die als Entschuldigung angeführt werden oder die Taten relativieren könnten. Es war auch keine spontane Handlung, sondern ein von langer Hand geplantes kriminelles ­Unterfangen.

In der analogen Welt kann es außerordentlich schwer sein, nachzuweisen, dass ein sexueller Übergriff in ähnlicher Weise geplant und beabsichtigt, also vorsätzlich war. Der Täter handelte, indem er die Betroffenen heimlich filmte, nicht nur in strafbarer Weise. Seine Tat wiegt auch deshalb schwer, weil er sich an seinem Handeln obendrein bereicherte. Später versuchte er, die Taten im Gespräch mit der Journalistin Schlosser auf eine denkbar unbeholfene Art abzustreiten und zu vertuschen. Diese Versuche sind nun Teil eines Dokumentarfilms, der im Internet frei ­zugänglich ist.
Feministinnen weisen schon lange darauf hin, dass Zweifel über den Tat­hergang eines sexuellen Übergriffs immer zu Lasten der Betroffenen ausgelegt werden und viele Frauen sich deshalb scheuen, Übergriffe öffentlich zu machen und anzuzeigen. Im Falle der Spannervideos gibt es diese Zweifel nicht. Diesen Vorteil sollten feministische Linke nutzen, um eine breite Öffentlichkeit für das Thema zu schaffen. Selten war die Gelegenheit so günstig.