Ein Gespräch mit Daniel Katzenmaier, Gewerkschafter, über die Gründung einer Mietergewerkschaft

»Eine transnationale Kampforganisation gründen«

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Es gibt bereits zahlreiche Mieter­vereinigungen. Weshalb wollen Sie noch eine Mietergewerkschaft gründen?

Grundsätzlich sind wir mit anderen Stadtteilinitiativen und Mietervereinen solidarisch. Sie leisten vor allem indi­viduelle Hilfe für Mieterinnen und Mieter. Das ist eine wichtige Arbeit. Doch wir wollen mit der Mietergewerkschaft eine bundesweite Kampforganisation gründen, die über individuelle Anliegen hinausgeht. In Frankfurt am Main gibt es eine große Unzufriedenheit auch mit den bestehenden Mieterverbänden. Mieter klagen über mangelnde Mitspracherechte, und selbst juristische Kampfformen werden nur beschränkt ausgereizt.

Es haben sich in jüngster Zeit in verschiedenen Städten soziale Netzwerke für Mietangelegenheiten gegründet. Wie unterscheiden sich diese von der geplanten Mietergewerkschaft?

Auch hier besteht das Problem, dass es sich oft um lose Zusammenschlüsse handelt. Das bedeutet, dass bei denjenigen, die sich engagieren, schnell eine Überforderung eintritt. Das hat dazu geführt, dass solche solidarischen Netzwerke in mehreren Städten in der Krise sind, zum Beispiel in Leipzig.

Friedrich Engels ging in seiner Schrift »Zur Wohnungsfrage« auf den Unterschied zwischen Arbeitern und Mietern ein. Warum sollten sich Mieter in einer Gewerkschaft, einer Organisationsform von Arbeitern, engagieren?

Man muss den Text von Engels historisch betrachten. Der Kapitalismus hat sich seit der Entstehung dieser Schrift entscheidend verändert. Die Frontstellung »Arbeit gegen Kapital« reicht nicht mehr aus. Wir beziehen uns auf das Konzept der multiplen Gewerkschaften. Neben dem Feld Kapital und Arbeit sind auch Mieten ein Bereich, in dem es eines kollektiven Zusammenschlusses auf kämpferischer Basis bedarf. Dabei beziehen wir uns auch auf die Geschichte von Gewerkschaften, die sich aus Zusammenschlüssen zur indivi­duellen Beratung zu organisierten Kampforganisationen entwickelten.

Arbeitergewerkschaften verfügen über Produzentenmacht und können streiken. Welche Macht hat eine Mietergewerkschaft?

Das Kampfmittel der Gewerkschaften ist historisch nie nur der Streik ge­wesen. Es gab auch viele andere Protest- und Kampfformen, beispielsweise den Boykott. Ich verweise auch auf die Mietstreikbewegungen, die in der Weimarer Republik wesentlich von Frauen aus der Gewerkschaft initiiert wurden. Wir gehen dabei von einem Gewerkschaftsverständnis aus, das sich nicht auf den DGB beschränkt. So wurde die Mietergewerkschaft in Schweden wesentlich von der dort starken syndikalistischen Gewerkschaft unterstützt.

Halten Sie einen Mietstreik beziehungsweise einen Mietboykott für sinnvoll?

Damit müssen wir sehr sorgfältig umgehen, weil solche Kampfformen schnell zu Kündigungen führen können. Wir müssen zunächst so stark werden, dass wir über solche Kampfformen ernsthaft nachdenken können.

Auf welche Modelle in anderen ­Ländern beziehen Sie sich mit der Mietergewerkschaft?

Es gibt historische Beispiele von Mietergewerkschaften in verschiedenen Ländern, beispielsweise in Schweden, den USA und Spanien. Dabei muss allerdings immer die spezifische Situation in Deutschland gesehen werden, wo über 50 Prozent der Bevölkerung zur Miete wohnen und der Anteil der Immobilienkonzerne am Wohnungsbestand groß ist. In Ländern wie Großbritannien gibt es oft Kleininvestoren, die wenige Wohnungen besitzen. Das hat Auswirkungen auf die Mieteror­ganisierung. Wie die großen Fabriken gute Voraussetzungen für die Gründung von Gewerkschaften schufen, so kann der Besitz vieler Wohnungen durch große Immobilienkonzerne bessere Voraussetzungen für eine Mieter­gewerkschaft schaffen.

Wie sieht Ihre bisherige Arbeit aus?

Wir haben zunächst den Verein gegründet und eintragen lassen, zurzeit bereiten wir den Aufbau vor. Seit drei Monaten konzentrieren wir uns auf einige Stadtteile, in denen der Immobi­lienkonzern Vonovia Wohnungen besitzt. Wir gehen von Tür zur Tür, machen Informationsstände und laden zu Mieterversammlungen ein. Es gab bisher drei dieser Versammlungen. Von etwa 150 Mietern waren ungefähr 60 anwesend, was ein gutes Ergebnis ist. Es ging dabei um sehr konkrete Fragen, die die Mieter dort bewegten, zum Beispiel Legionellenbefall in den Wasserleitungen.

Gelingt es über konkrete Fällen hinaus, die Mieter zum Engagement zu motivieren?

Wir haben erst vor drei Monaten mit unserer Arbeit begonnen und können daher nur auf einen begrenzen Erfahrungsschatz zurückgreifen. Wir haben aber schon mitbekommen, dass das Wort Gewerkschaft einen positiven Klang bei den ­Bewohnern hat. Viele kennen Gewerkschaften aus der Arbeitswelt und sind eher bereit, sich in Gewerkschaften als in Parteien zu engagieren, zu denen sie oft das Vertrauen verloren haben. Wir wissen, dass es unterschiedliche Arten des Engagements gibt. Die Mieterversammlungen wählen aktive Mieter aus dem Stadtteil zu Vertrauenspersonen, mit denen wir eine langfristige Zusammenarbeit in der Mietergewerkschaft anstreben.

Gibt es Mietergewerkschaften auch in anderen Städten?

Wir haben in Frankfurt am Main begonnen und wollen dort die Gewerkschaft aufbauen. Aber selbstverständlich haben wir den Anspruch, eine bundesweite und wenn möglich sogar eine transnationale Kampforganisation zu gründen. Nur so können wir auch Druck auf die Vermieter ausüben. Wir sind daher bereit, auch in andere Städte zu reisen und dort unser Konzept vorzustellen. In Berlin hat sich mittlerweile eine Vorbereitungsgruppe für den Aufbau einer Mietergewerkschaft gegründet.

In Frankfurt am Main gab es eine Initiative für niedrige Mieten. Wie stehen Sie dazu?

Als Mietergewerkschaft haben wir nichts dagegen. Aber wir setzen nicht auf Forderungen an die Politik, sondern auf die eigene Kraft.

Beteiligen Sie sich am europäischen Mietenprotesttag am 28. März?

Einige von uns werden dort die Mietergewerkschaft vorstellen. Doch wir wollen insgesamt wegkommen von einer Kampagnenpolitik, die in bestimmten Abständen Aktionstage und Demonstrationen vorbereitet. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich dann oft diejenigen Linken treffen, die wir auch bei vielen anderen Aktionen sehen. Dagegen fehlen oft die betroffenen Mieterinnen und Mieter. Viel wichtiger ist für uns die Organisierung in den Stadtteilen. Wenn es uns gelingt, einige Tausend Mitglieder für die Mietergewerkschaft zu gewinnen, haben wir eine ­andere Grundlage, um zu Demonstrationen und Protesten aufzurufen.

Zur jüngsten Europawahl ist auch eine Mieterpartei angetreten. Ist eine solche Parteipolitik sinnvoll?

Bei uns sind Mitglieder verschiedener Parteien, aber noch mehr Parteilose aktiv. Ich halte deshalb wenig davon, noch eine weitere Partei zu gründen. In der Regel spaltet die Parteifrage.

Welche Kontakte haben Sie als Mietergewerkschaft zu den verschiedenen anderen Gewerkschaften?

Wir treffen uns in Räumen der Gewerkschaften und haben viele Mitglieder aus DGB-Gewerkschaften und auch der FAU. Ich habe Erfahrungen in der Hochschulgewerkschaft Unterbau gesammelt, in der ich seit langem aktiv bin. Ein weiterer Kontakt zu all diesen Gewerkschaften ist uns wichtig. Doch auch hier wollen wir uns auf den eigenen Aufbau konzentrieren. Denn nur wenn wir Mitglieder gewinnen, werden wir von den anderen Gewerkschaften auch als Partner wahrgenommen.