Der britische Premierminister Johnson bringt loyale Minister in sein Kabinett

Mehr Kontrolle, weniger Demokratie

Bei einer Kabinettsumbildung hat der britische Premierminister Boris Johnson einige hochrangige Minister ersetzt. Die Nachfolger gelten als loyale Unterstützer Johnsons.

Gerade einmal zwei Wochen nach dem EU-Austritt hat der konservative britische Premierminister Boris Johnson die Kabinettsbesetzung geändert und mehrere neue Ministerinnen und Minister berufen. Kritiker werfen Johnson vor, dass er allein von Machtinteressen geleitet werde – Loyalität sei ihm wichtiger als Kompetenz. Tatsächlich spricht die Zusammensetzung des neuen Kabinetts dafür, dass die Regierung unter Johnson eine stärkere Kontrolle von Institutionen plant und mögliche administrative Hürden be­seitigen will. Erfahrene Politiker und Vertraute seiner Vorgängerin Theresa May ersetzte Johnson vergangene Woche mit Hardlinern und Neulingen, die entweder mit seiner Vorstellung eines »Post-Brexit«-Großbritanniens übereinstimmen oder sich dieser widerstandslos anpassen.

Dazu gehört eine stärkere Kontrolle der Staatskasse durch den Premierminister. Bereits vor der Kabinettsumbildung soll Johnson Finanzminister Sajid Javid, vormals Manager der Deutschen Bank, aufgefordert haben, seine eigenen Berater zu entlassen und dafür Mit­glieder aus Johnsons Beraterteam einzustellen. Javid empfand dies als unzumutbar und trat zurück. An seine Stelle tritt der in Oxford ausgebildete ehemalige Hedgefonds-Manager Rishi Sunak, der seit 2015 Mitglied des Unterhauses ist. Sunak hatte unter Johnson eine steile Karriere in der Schatzkanzlei gemacht. Widerworte gegen Johnsons Pläne, die Arbeit des Finanzministeriums stärker zu kontrollieren, werden von ihm nicht erwartet.

Johnsons Neubesetzung des Wirtschaftsministeriums zeigt, dass er auch die ökonomische Umsetzung des EU-Austritts direkter kontrollieren will. Er entließ Andrea Leadsom, die unter May bereits mehrere Regierungsämter innehatte und eine zentrale Rolle im Kabinett spielte, aber als Wirtschaftsministerin unter Johnson keine Zukunft mehr hatte. Ihr Amt übernimmt der ehemalige Wirtschaftsprüfer Alok Sharma, der seit 2017 verschiedene Kabinettsposten innehatte und vom EU-Austrittsgegner zum Befürworter wurde. Von ihm wird nicht erwartet, dass er sich Johnsons Vorgaben widersetzt.

Aber Johnson geht es nicht nur darum, die aus seiner Sicht richtigen Personen für die erfolgreiche Umsetzung des EU-Austritts einzustellen. Er will auch bestimmte demokratische Prozesse ändern, die in seinen Augen die Effektivität der Arbeit des Premierministers einschränken. Die Neubesetzung des Amtes des Generalstaatsanwalts spricht für diese Annahme. Hier fiel Johnsons Wahl auf die in Cambridge ausgebildete Juristin Suella Braverman, eine entschiedene Befürworterin des EU-Austritts, deren Spezialgebiet Verfahrensrecht sowie das Einwanderungsrecht sind. Ihre Expertise fügt sich gut in Johnsons Vorhaben ein, Teile des Justizwesens einer Überprüfung zu unterziehen. Dazu zählen etwa die gerichtliche Auseinandersetzung über die Rechtmäßigkeit der vom Premier­minister erzwungenen Parlamentspause oder die Abschiebungen in Groß­britannien geborener Straftäter nach Jamaika.

Auch das Kultusministerium möchte Johnson offenbar stärker beeinflussen, was zu seiner intransparenten Kommunikationsstrategie und seinem feind­seligen Umgang mit der Presse passt. Der neue Kultursekretär und Cambridge-Alumni Oliver Dowden ist Politik- und PR-Stratege und seit 2015 Mitglied des Unterhauses. Er wird höchstwahrscheinlich damit beauftragt, das Gebührenmodell des öffentlichen Senders BBC zu revidieren, dessen Berichterstattung Johnson und sein Team als zu kritisch empfinden.

Dass Johnson Loyalität und Fügsamkeit höher bewertet als Effektivität, ist an seiner Entscheidung abzulesen, Julian Smith als Minister für Nordirland abzusetzen. Smith war erst im Juli 2019 ernannt worden, konnte aber in kurzer Zeit einige Erfolge erzielen. Beispielsweise spielte er eine zentrale Rolle bei der Bildung der Regierung in Nordirland im Januar 2020 nach einem dreijährigen politischen Stillstand. Auf sein Konto geht auch die Verabschiedung eines Gesetzes über Entschädigungszahlungen für Opfer von Missbrauch in kirchlichen Einrichtungen. Smith war in Nordirland populär, aber Johnson schien irritiert von dem ehemaligen Vertrauten Mays und Kritiker seiner Austrittsstrategie.

Zudem hatte Smith versucht, im Alleingang die Amnestie für Angehörige der Streitkräfte während des bürgerkriegsartigen Konflikts in Nordirland (1969 bis 1998) aufzuheben, die für viele in Nordirland ein wunder Punkt ist. Johnson zeigte sich gleichgültig und setzte für Nordirland Brandon Lewis ein, der bereits verschiedene Kabinettsposten innehatte, zuletzt als Minister für Sicherheit und stellvertretender Minister für den EU-Austritt, und von dem ein größerer Anpassungswille zu erwarten ist.

Der Premierminister ernannte außerdem George Eustice zum neuen Umweltminister, Anne-Marie Trevelyan zur neuen Ministerin für Internatio­nale Entwicklung und Stephen Barclay zum Leiter des Schatzamtes; überdies entließ er die Ministerin für Wohnen, Esther McVey, die durch Christopher Pincher ersetzt wurde. Johnsons enge Vertraute Amanda Milling, seit 2015 Mitglied des Unterhauses und ehemalige Marktforscherin, ist die neue Vor­sitzende der Konservativen Partei. Während noch offen ist, welche Auswir­kungen diese Änderungen haben werden, scheint hinter ihnen der Plan zu stehen, der Regierung mehr Kontrolle zu verschaffen.