Jolly Goods im Gespräch über neue Einflüsse und zu viel Arbeit

»Eine gewisse Fuck-You-Attitüde«

Das Berliner Duo Jolly Goods wirbt auf seinem dritten Album »Slowlife« für einen entschleunigten Alltag. Warum es auch ohne Selbst­optimierung, Dirk von Lowtzow und typisches Rock-Schlagzeug nicht langweilig wird, erklären Tanno Pippi und Angy Lord
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Euer Album heißt »Slowlife«. Was meint Ihr mit dem Titel?

Tanno Pippi: Slowlife ist viel mehr Utopie als Programm. Wir unterliegen Zwängen, die es uns schwer machen, tatsächlich so etwas wie ein »Slowlife« zu leben. Alle neigen immer mehr dazu sich zu organisieren, selbst zu optimieren, selbst zu finden, fleißig und flink zu sein. Zu funktionieren, und zwar immer besser und schneller, ist aber auch langweilig und angepasst. Der ständige Druck von außen ist so hoch, dass er verinnerlicht wird. Musik sollte ein Gegenentwurf zu den gesellschaftlichen Verhältnissen sein, eine gewisse Fuck-You-Attitüde. Wir rennen hinter so vielem hinterher, aber am Ende sterben wir alle nur. Vieles davon ist nicht unbedingt notwendig.

Angy Lord: Wir alle sind dazu angehalten, auf welche Weise auch immer, Geld einzusammeln oder zu erarbeiten. Wie schön wäre es, wenn wir als Menschen mehr leben dürften? Viel Arbeit, die geleistet wird, ist unnötig.

Welche musikalischen Einflüsse waren für das Album entscheidend?

Tanno Pippi: Ich habe in den letzten Jahren viel Kate Bush gehört. Ihre Musik ist vielschichtig und eigenwillig und trägt eine gewisse Verweigerung in sich. Sie trat 35 Jahre nicht live auf, weil es ihr keinen Spaß machte. Ihr tolles Album »The Dreaming« produzierte sie komplett selbst. PJ Harvey ist auch eine Inspiration, wie sie sich für jedes Album neu erfindet und einen konzeptuellen Ansatz hat.

Angy Lord: Mir war es wichtig, mich von einem typischen Rock-Schlagzeug wegzubewegen. Die Drum-Parts wurden teilweise von Drum-Patterns alter Keyboards beeinflusst. Es gibt ab und zu jazzige Einwürfe.

Seit Eurem letzten Album »Walrus« von 2011 ist eine Weile vergangen. Wie ist das neue entstanden?

Tanno Pippi: Das Konzept bei diesem Album war, die Vision, die ich von einem Song im Kopf habe, bis zum Ende durchzuziehen. Nur Angy bekam die Songs zu hören, bevor sie hundertprozentig fertig waren. Früher war ich oft unzufrieden mit Aufnahmen, aber andere sagten dann etwa: »Das ist doch super so«. Dieses Mal wollte ich diesen Input von außen nicht.

Wie hast du das musikalisch umgesetzt?

Tanno Pippi: Viereinhalb Jahre saß ich im Studiokeller oder bei mir zu Hause, um an den Songs zu arbeiten und sie aufzunehmen. Ich habe zweite und dritte Gitarren, Klavierparts, Synths, Bläserparts und auch Bass geschrieben, ein Instrument, dass bei Jolly Goods bisher nicht so vorkam, und in das ich mich Hals über Kopf verliebt habe. In den zehn Songs steckt viel Detailverliebtheit – und auch ein bisschen Wahnsinn. Es ist fast so, als hätte ich mit jedem einzelnen dieser Instrumente eine inten­sive Liebesbeziehung gehabt.

Ihr habt das Album selbst produziert und aufgenommen. Was war dadurch anders?

Tanno Pippi: Bei den vorherigen Alben haben unsere Co-Produzenten nicht viel gemacht, Dirk von Lowtzow hatte sich damals gar als unser Praktikant bezeichnet. Ich hatte zu dem Zeitpunkt noch nicht das Selbstvertrauen, alles alleine zu machen und aufzunehmen. Aber es war schon immer ein Traum von mir. Irgendwann habe mich in dieses Meer gestürzt. Die Birne war reif. Bei künstlerischen Arbeiten ist es nicht immerzu vorteilhaft, alle möglichen Meinungen zu hören. Nur ich verstehe, was ich damit will, oder was dieser Haufen Chaos eigentlich sein soll. So lange das nicht ausdefiniert ist, lesen Leute es eventuell in andere ungute Richtungen. Wir haben auch die Musikvideos und Promofotos für dieses Album selbst gemacht. Wir haben uns visuell und auditiv selbst bestimmt und definiert.

Ihr agiert immer in einem feministischen Kontext. Wie bewertet Ihr die Situation für weibliche Bands?

Tanno Pippi: Leider hat sich nicht so viel verändert, wie es wünschenswert wäre. Auf allen richtig großen Festivals spielen immer noch zu rund 90 Prozent männliche Musiker. Als Mann wäre es mir peinlich, dort aufzutreten. Mich interessieren die meisten dieser Veranstaltungen als Konzertbesucherin dann einfach nicht. Es ist und bleibt wichtig, subkulturelle Räume für FLTIQ zu haben.


Jolly Goods: Slowlife (Siluh Records)