Wie der Electro-Musiker Caribou das Vatersein thematisiert

Plötzlich privat

Vom Club ins heimelige Zuhause: Der Electronica-Musiker Daniel Snaith alias Caribou thematisiert auf seinem neuen Album sein Leben als Ehemann und Vater.

Wer sich wegen des neuen Albums von Daniel Victor Snaith noch einmal auf Youtube quer durch die Videos seiner 20jährigen Karriere stößt, stolpert unter Umständen auf eine BBC-Dokumentation aus dem Jahr 2007. Zur Zeit der Dreharbeiten arbeitete der kanadische Musiker gerade an »Andorra«, seinem vierten Studioalbum und dem zweiten, das er unter seinem Künstlernamen Caribou veröffentlichte. »Das Letzte, wonach meine Musik klingen soll, ist dieser Raum«, sagt Snaith da an einer Stelle, während die Kamera wie zur Bestätigung über einen mit Platten, Kartons und Schlagzeugteilen überquellenden Schrank schwenkt. »Ich will nicht, dass sie sich anhört, als sei sie an einem Computer gemacht worden, sondern als wäre sie ihre ganz eigene Welt«, fährt er fort, klickt einen Track an und spielt die ersten Sekunden von »Melody Day« vor. Und wirklich: der Song – immer noch einer der schönsten Albenauftakte der jüngeren Popgeschichte – eröffnet selbst im dünnen Youtube-Sound einen Klangraum, der das klaustrophobisch enge Arbeitszimmer sofort vergessen lässt. Er klingt nach Weite, überbordender Energie und melancholischer Wärme.

»Suddenly« klingt so luftig und erfindungsreich wie eh und je und hält einmal mehr erfolgreich den Spagat zwischen Experimentierfreude und Zugänglichkeit.

Von dieser Spielart jazzig angehauchter Indietronica hat Snaith sich mit seinen Folgealben »Swim« (2010) und »Our Love« (2014) zwar in Richtung eines mehr von House, R & B und Minimal Techno beeinflussten, konzentrierteren Sounds weiterentwickelt, das in der BBC-Reportage angesprochene Verhältnis zwischen eigenem Alltag und mit Hilfe von Popmusik aufgestoßener Fenster in andere Welten verhandelte er aber immer wieder. Während »Andorra« die Zurückgezogenheit eines Künstlers in einem Arbeits- und Wohnraum noch unbedingt negieren sollte, hielten persönliche Inhalte nach und nach Einzug in Snaiths Texte. Auf dem erfolgreichen »Our Love« von 2015 behandelte er erstmals explizit Themen wie Ehe, Familie und Freunde und nannte in Interviews die Geburt seiner ersten Tochter als Grund für die Entwicklung. »Our Love« stand in dieser Hinwendung zum Privaten im Kontrast zum cluborientierten »Swim«, mit dem Caribou 2010 den bis dahin größten kommerziellen Erfolg feierte.

Das neue, Ende Februar veröffentlichte Album »Suddenly« markiert nun den vorläufigen Höhepunkt dieser Entwicklung und Snaith macht aus dem heimeligen Geist der Platte kein Geheimnis. Neben seinen Erfahrungen als Vater und Ehemann inspirieren darauf mit familienbezogenen Themen wie Scheidung und Tod seine Texte. Den Albumtitel borgte Snaith sich von seiner Tochter, die das neu gelernte Wort »suddenly« obsessiv wiederholte, die Mutter des Produzenten taucht als Stimmsample im Eröffnungstrack »Sister« auf. Und im souligen »Home« beantwortet ein Sample der Motown-Sängerin Gloria Barnes die ewige Frage romantisch ein ums andere Mal: »Wohin gehen wir?/Immer nach Hause«. Die Tendenz zur sentimentalen Einigelung wird durch das sanfte Timbre des erstmals auf jedem Track singenden Snaith noch unterstützt. Ansonsten aber klingt »Suddenly« so luftig und erfindungsreich wie eh und je und hält einmal mehr erfolgreich den Spagat zwischen Experimentierfreude und Zugänglichkeit.

Die auf »Swim« und »Our Love« noch anklingende Dancefloor-Stimmung wird passend zur thematischen Hinwendung zum Gefühlsleben auf »Suddenly« weitestgehend ausgespart. Snaiths Herkommen aus der Clubszene lässt sich eher auf seinen unter dem Künstlernamen Daphni veröffentlichten Alben nachhören. Nicht zuletzt wegen des omnipräsenten Gesangs steht das neue Caribou-Album zwischen den von Psychedelia und Kraut beeinflussten früheren Releases und den späteren housigen Platten. Hinzu kommen aktuelle, wie nebenbei verbaute Einflüsse wie Cloudrap und Trap.

»Suddenly« setzt mit einem typischen Sound à la Caribou ein. Subtil verstimmte Synthesizer, Snaiths introvertiertes Falsett und kleine Klang­ereignisse an den Rändern bestimmen »Sister«, eine berührende und schüchterne Ode an Veränderung und persönliche Entwicklung. »Brother, you’re the one who must make changes / no one else can do it if you don’t«, singt Snaith, woraufhin das Lied auch schon sanft auszuklingen beginnt. Die überraschende Kürze des Stücks ist eine der vielen kleinen Irritationen, die »Suddenly« bereithält und das Album zum bisher eklektischsten der Diskographie des Musikers macht. Leider haftet den kürzeren der zwölf Tracks bei aller virtuosen Sample- und Beatbastelei eine Unentschlossenheit an, die Snaiths Talent, aus unzähligen Ideen und Skizzen kohärente Songs zusammenzupuzzeln, nicht zur Geltung kommen lässt. Das verspult-jazzige »Sunny’s Time« etwa kommt gerade erst richtig in Schwung, wenn man schon wieder aus dem Mitwippen gerissen wird, während »Filtered Grand Piano« als Klangexperiment zwischen dem Festivalstampfer »Never Come Back« und dem Electronica-Popsong »Like I Loved You« schlicht untergeht. »Lime« bricht einfach ab und wird von einem mystischen Chor abgelöst, der leider auch nur Entwurf bleibt, aber interessant genug für einen eigenen Song wäre. Überraschend klingt das alles immer wieder – nur als Gesamtkonzept nicht immer nachvollziehbar.

Aber natürlich (dafür kreiert Dan Snaith viel zu gute Hooks und Melodien) ist nicht alles Bruch und Hakenschlagen. Dass sich Caribou noch immer großartig ins Rauschhafte steigern kann, führt er auf »Cloud Song« vor. Zwei Minuten lang wirkt das Stück wie eine auf Synthesizer-Arpeggios und traurigen Gesang reduzierte Ballade (»If you love me come hold me now / Come tell me what to do«). Dann lässt es alle Brav- und Kontrolliertheit hinter sich und das Stück entwickelt sich zu einer munteren Electronica-Komposition, die schließlich in einem an frühere Caribou-Alben erinnernden psychedelischen Überschwang kulminiert. Hier klingt der promovierte Mathematiker wieder nach Flucht aus dem engen Zimmer und hinein in einen ureigenen Soundkosmos, der von der Lust am Suchen und Finden von Klängen geprägt ist und sich alle Zeit dafür nimmt.

Das zentrale Stück auf »Suddenly« ist die bereits im Dezember veröffentlichte Single »You and I«, die die verschiedenen Elemente des Albums überzeugend in sich vereint. Der Text handelt vom Tod eines Angehörigen von Snaiths Ehefrau und verdichtet die immer wieder besungenen Themen Familie, Zusammenhalt und Liebe in schlichte, direkte Worte: »I will find a way to get it on down here / Just as long as you are near / We can only make it if we try«. Wenn die schunkelige Musik plötzlich in einen zappeligen, mit gepitchten Vocals versetzten Trap-Beat kippt, wird klar, wie wirksam die titelgebende Plötzlichkeit funktionieren kann. Zumindest »You and I« schafft es, zugleich vielschichtig und mitreißend zu klingen und macht die ins Leere laufenden Nebengeleise anderer Albumtracks wett. In seiner Gesamtheit jedoch ist »Suddenly« weniger stringent als seine Vorgänger. Nicht im Sinne musikalischer Sperrigkeit, sondern – um das Bild des überquellenden Schranks noch einmal zu bemühen – weil es so vollgestellt ist, bleibt es bei aller Gefühligkeit distanziert. Zugleich enthält das Album viele Details zum Entdecken und reizt nicht zuletzt dazu, sich noch einmal ebenso hakenschlagend durch die Diskographie von Caribou zu hören.

Caribou: Suddenly (Merge Records)