Das neue Album der britischen Band Porridge Radio

Egal, wie man es dreht und wendet

Die britische Band Porridge Radio haucht dem Indierock neues Leben ein.

Als Dana Margolin im Januar über das neue Album ihrer Band Porridge Radio sprach, da sagte sie etwas, das jetzt, wenige Wochen später, geradezu weitsichtig klingt. »Was ich mag, ist die Idee, dass ein einziger Satz hundert verschiedene Dinge bedeuten kann und man ihn auf hundert verschiedene Arten und Weisen interpretieren kann, die alle ihre Berechtigung haben«, sagte die britische Sängerin und Gitarristin dem Online-Musikmagazin Stereogum. »Das gilt auch für meine Texte«, fügte sie an: »Ihre Gestalt kann sich ändern, je nachdem, was für eine Person du bist oder wo du den Song hörst. Somit sind sie unfertig, weil sie das Potential haben, neu betrachtet, neu verstanden und neu missverstanden zu werden.«

In der Tat: Eine maßgebliche Qualität der Band aus Brighton sind ihre bedeutungsoffenen Songtexte, die nie ins Beliebige abdriften und in gesellschaftlich existentiellen Krisen wie der derzeitigen eine noch stärkere Wirkung entfalten können. Ein Stück wie »Lilac« etwa, das Porridge Radio als erste Single des neuen Albums »Every Bad« im Dezember veröffentlichten, bekommt in Zeiten des Coronavirus eine ganz andere Note: »I’m stuck/I’m stuck/I’m stuck/I’m stuck«, singt Margolin darin in Endlosschleife, zum Schluss wiederholt sie zu plätschernden Indie-Gitarren gebetsmühlenartig die Verse: »I don’t want to get bitter/I want us to get better/I want us to be kinder/To ourselves and to each other.« Neigt man nunmehr dazu, diese Zeilen fast als Solidaritätsadresse zu lesen – nach dem Motto: Passt gut aufeinander auf –, hätte man zunächst vermuten können, hier spiele eine Band in unangenehmer Weise mit Kitsch.

Die elf Songs auf »Every Bad« beschönigen nichts, ihnen ist die Krisenhaftigkeit eingeschrieben, gerade in unwirklich erscheinenden Zeiten des Ausnahmezustands.

Damit aber läge man weit daneben. Porridge Radio gehen als Indierockerinnen mit ordentlichem Punkeinschlag durch, so bricht das großartige »Lilac« auch mit einem Wutausbruch und einigen Loops abrupt ab. Sängerin Margolin erinnert in ihrem Auftreten an Penelope Houston zu Zeiten der Avengers, die 26jährige ist die treibende Kraft der Band und hat ein ungeheures Gespür für die Hookline, den Refrain, die einzelne Zeile. Und dazu noch für Visuelles: Im Clip zu dem Song sieht man die Sängerin mit ihren kurzen blonden Haaren in knallrotem Hemd und ebenfalls roter Hose an der südenglischen Felsküste auf und ab schlendern, bis sie irgendwann in der Dämmerung am Strand steht wie der Leuchtturm von Brighton. Auch eine gewisse Riot-Grrrl-Attitüde zeichnet Porridge Radio aus: Zu Beginn des Videoclips zu »Sweet« sieht man Margolin in einer Close-up-Aufnahme, als sie sich eigenhändig auf dem Kopf einige Streifen Haare wegrasiert und bitterernst in die Kamera blickt. »Sweet« ist ein klassischer Song des Aufbegehrens, des Aufruhrs, des Aufbruchs. Von der Erzählerin wird erwartet, »charming« und eben »sweet« zu sein, derweil ihre Mutter ihr vorwirft, sie sei ein nervöses, Fingernagel kauendes Wrack (»My mum says that I look like a nervous wreck because I bite my nails right down to the flesh«).

Porridge Radio sind bislang außerhalb der britischen Szene kaum in Erscheinung getreten. Mit dem Mitte März erschienenen Album sollte sich das eigentlich ändern, allerdings sind die Bedingungen dafür – wegen der Coronakrise abgesagte Shows und vielerorts geschlossene Plattenläden – nicht eben einfacher geworden. Begonnen hat Porridge Radio als Soloprojekt von Margolin. Ihre ersten Aufnahmen, die sie in ihren eigenen vier Wänden machte, stammen aus dem Jahr 2012. In London aufgewachsen, zog die Sängerin und Gitarristin zum Studieren ins britische Küstenidyll, wo sie sich mit Keyboarder Georgie Stott, Bassist Maddie Ryall und Drummer Sam Yardley 2015 zu einer Band zusammenfand.

Ihre Stücke veröffentlichten Porridge Radio zunächst in Do-it-yourself-Manier auf den Plattformen Bandcamp, Soundcloud oder auch auf Kassette – es gab auch ein Split-Tape mit der US-Undergroundband West America. Das Debütalbum »Rice, Pasta and Other Fillers« erschien 2016 bei einem kleinen Brightoner Label, der Schrammelpop klang seinerzeit noch viel mehr nach Lo-Fi. Zwischendurch veröffentlichte Margolin, die offenbar ständig Stücke schreibt, immer wieder ganze Alben mit Songskizzen aus dem Schlafzimmer auf Kassette und als Download, meist nur aufgenommen mit Synthesizer und Gitarre und in extrem experimenteller Manier (etwa »Bad Breath«, 2017).

Nun hatte die Band dank eines Plattendeals beim großen US-Indielabel Secretly Canadian ganz andere finanzielle Möglichkeiten, insofern stellt sich mit »Every Bad« auch die Frage, ob die wuchtigere Produktion dem Ansatz von Porridge Radio nicht seinen Charme nimmt. Und es lässt sich denn auch nicht bestreiten, dass Songs wie das genannte »Sweet« mit seinen Gitarrenausbrüchen und dem Wechsel zwischen cleanem und verzerrten Sound auch auf ihre Single-Tauglichkeit hin produziert wurden – hier folgt die Band einer ziemlich bewährten Rezeptur britischer Hits aus den Neunzigern. Insgesamt aber fällt das nicht weiter ins Gewicht, denn es gibt auf dem Album genug Störelemente, die unter der typischen Indie-Oberfläche brodeln. In »Don’t Ask Twice« mischt sich ein fieses Gitarrenquietschen unter den Chorus, das von einem Punkrock-Interlude abgelöst wird, und gegen Ende des tollen Eröffnungsstücks »Born Confused« wiederholt Margolin so oft die Verse »Thank you for making me happy«, bis ihre Stimme brüchig und heiser ist. Wiederholung ist in den Texten ohnehin ein beliebtes Stilmittel, am deutlichsten in »Homecoming«, wo sie singt: »I’m a sinking ship/There’s nothing inside/There’s nothing inside/There’s nothing inside …« Für sie eine Art künstlerischer Exorzismus, wie sie im eingangs zitierten Interview sagt: »Das immer und immer wieder zu singen, fühlt sich an, wie die inneren Dämonen herauszulassen. Ein kathartisches Gefühl.« Dass Wiederholungen so übermäßig eingesetzt werden, erscheint hier als Teil des Albumkonzeptes, durch das der Stillstand, das Auf-der-Stelle-Treten und die Schleifen, in denen man feststeckt, lyrisch verstärkt werden.

Porridge Radio darf man mit diesem Album zweifelsohne in die Reihe der Bands stellen, die dem Wachkoma-Patienten Indierock wieder etwas Leben einhauchen; insbesondere die weiblichen (britischen) Bands haben daran in den vergangenen Jahren großen Anteil gehabt. Porridge Radio, zu drei Vierteln weiblich, folgen Gruppen wie Goat Girl, Dream Wife und Honeyblood, die zuletzt hörenswerte Alben veröffentlicht haben – während bei den Genannten allerdings klassischer Rock und Punkrock dominieren, gleitet die Band um Dana Margolin auch des Öfteren in Richtung Dreampop und Shoegaze.

Wer ein Album sucht, das für die Quarantäne taugt, der ist mit »Every Bad« gut beraten. Denn die elf Songs beschönigen nichts, ihnen ist die Krisenhaftigkeit eingeschrieben, gerade in unwirklich erscheinenden Zeiten des Ausnahmezustands findet man sich gut in ihnen wieder. Und wenn Margolin in »Cycling« singt: »Nothing is wrong / Every­thing’s fine / We’re all okay / All of the time«, dann merkt man: Irgendetwas stimmt nicht mit diesen Sätzen. Ganz egal, wie man sie auch dreht und wendet.

Porridge Radio: Every Bad (Secretly Canadian/Cargo)