Die Pandemiemaßnahmen bescheren abhängig Beschäftigten Lohneinbußen und arbeitsrechtliche Nachteile

Arbeiten in der Pandemie

Lohneinbußen, Abbau von Arbeitnehmerrechten – für abhängig Beschäftigte bringt die Pandemie nicht nur das Infektionsrisiko.

Wie kommt die exportorientierte deutsche Wirtschaft unbeschadet durch die Coronakrise? Während große Bereiche des öffentlichen Lebens lahmgelegt sind, dreht sich die mediale und politische Debatte vor allem um diese Frage. Kürzlich verabschiedete der Bundestag ein milliardenschweres Hilfsprogramm zum Schutz von Unternehmen. Das Ziel ist klar und wird von allen Parteien unterstützt: Wie schon nach der Finanz- und Wirtschaftskrise der Jahre ab 2008 soll es um den »Standort Deutschland« nach der derzeitigen Krise noch besser stehen – was nichts anderes bedeutet, als anderen Staaten in der internationalen Konkurrenz Marktanteile abzuluchsen.

Für Rolf Mützenich, den Vorsitzenden der SPD- Bundestagsfraktion, wird »unser Gemeinwesen« zwar »auf die härteste Probe seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gestellt«. Er ist jedoch überzeugt, »dass wir letztlich gestärkt daraus hervorgehen werden«. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) teilt diese Einschätzung: »Wenn wir jetzt richtig und besonnen handeln, werden wir auch wirtschaftlich stärker aus dieser Krise hervorgehen, als wir in diese Krise hineingegangen sind.«

Während das Grundgesetz umgangen wird, um die Zwangsverpflichtung von Personal zu ermöglichen, sieht es mit dem Schutz derer, die bereits in Kliniken arbeiten, schlecht aus.

Den angestrebten Erfolg Deutschlands in der Staatenkonkurrenz sollen vor allem die abhängig Beschäftigten ermöglichen. Das zeigt unter anderem die im Bundestag beschlossene Neuregelung zum Kurzarbeitergeld. Musste in der Vergangenheit mindestens ein Drittel der Beschäftigten vom Arbeitsausfall betroffen sein, damit ein Betrieb Kurzarbeit anmelden konnte, wurde diese Schwelle auf zehn Prozent gesenkt. Die Kurzarbeit wird so zum leicht anwendbaren Instrument der Unternehmen. Die Bundesregierung rechnet mit etwa 2,15 Millionen Beschäftigten in Kurzarbeit. Selbst im öffentlichen Dienst wurden erstmals flächendeckende Regelungen zur Kurzarbeit ausgehandelt.

Die Kurzarbeit bietet zahlreiche Vorteile für die Unternehmen. Diese können ihre ausgebildeten Mitarbeiter weiter beschäftigen und müssen sich, wenn die Produktion wieder in großem Umfang anläuft, nicht erst auf die Suche nach Fachkräften machen. Während der Kurzarbeit erhalten die Beschäftigten, sofern keine tariflichen Vereinbarungen zur Aufstockung des Kurzarbeitergelds durch den Arbeitgeber greifen, nur 60 Prozent ihres Nettolohns, Beschäftigte mit Kindern 67 Prozent – jedoch nicht vom Arbeitgeber, sondern aus Mitteln der Bundesagentur für Arbeit. Die Weiterbeschäftigung wird also faktisch von den Lohnabhängigen selbst finanziert, aus den vorher von ihnen eingezahlten Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung. Durch die Neuregelung der Bundesregierung werden Unternehmen für die Zeit der Kurzarbeit außerdem sämtliche Sozialabgaben erstattet.

Während die Arbeitgeber also vollständig von den Lohnkosten befreit werden, müssen Beschäftigte im schlimmsten Fall mit 40 Prozent weniger Lohn auskommen. Das ist für viele nicht genug, um Miete und Lebensunterhalt zu bestreiten. Eine gewerkschaftliche Kampagne zur Erhöhung des Kurzarbeitergelds scheiterte bisher am Widerstand der Unionsparteien. Diese wollen die Not und die frei gewordene Arbeitskraft der Betroffenen stattdessen effektiv nutzen.

Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) forderte Kurzarbeiter auf, sich als Erntehelfer in der Landwirtschaft etwas hinzuzuverdienen, also zu Niedriglöhnen und unter unregulierten Arbeitsbedingungen. Eigens zu diesem Zweck änderte die Bundesregierung die Regelungen zum Nebenverdienst während der Kurzarbeit. Wer in Supermärkten Regale befüllt oder Hopfen erntet, dem wird dies nicht auf das Kurzarbeitergeld angerechnet. Für den landwirtschaftlichen Sektor wurde zudem die Leiharbeit weiter dereguliert. Anträge im Bundestag zur vorübergehenden Erhöhung des Hartz-IV-Satzes und der Erhöhung niedriger Renten um 200 Euro fanden hingegen keine Mehrheit, ebenso wie die von den Gewerkschaften erhobene Forderung nach monatlichen Zuschlägen von 500 Euro für Beschäftigte in sogenannten systemrelevanten Branchen.

Dieser Sektor umfasst Millionen Beschäftigte – von der gesamten Lebensmittelproduktion über die Transport- und Logistikbranche bis hin zu weiten Bereichen des öffentlichen Dienstes. Der Bundestag ebnete Ende März den Weg für die Landesregierungen, in diesen Branchen Arbeitnehmerrechte und Arbeitsschutzbestimmungen weitgehend auszuhebeln. So wurden in zahlreichen Bundesländern die Ladenöffnungszeiten ausgeweitet, das Verbot der Sonntags- und Feiertagsarbeit wurde außer Kraft gesetzt, unter anderem in Baden-Württemberg, wo die Landesregierung die Öffnung selbst an Karfreitag und Ostermontag gestattete. »Ministerpräsident Kretschmann rät den Menschen, Ostern möglichst zu Hause zu bleiben. Jetzt will er sie angeblich in die Supermärkte schicken und den Verkäuferinnen ihre mehr als verdiente Osterpause rauben«, kritisierte der DGB-Landesvorsitzende Martin Kunzmann die Entscheidung.

In vielen Bundesländern wurden zudem Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes außer Kraft gesetzt. So wurden die gesetzlichen Pausen bei einer Arbeitszeit von sechs bis neun Stunden halbiert und bei einer Arbeitszeit von mehr als neun Stunden auf 30 Minuten reduziert. Zudem wurde die gesetzlich vorgeschriebene Ruhezeit zwischen zwei Arbeitstagen um zwei Stunden verkürzt. Die Beschränkung der täglichen Höchstarbeitszeit auf grundsätzlich acht beziehungsweise in Ausnahmefällen maximal zehn Stunden wurde ebenfalls ausgesetzt. Die Änderungen des Arbeitszeitgesetzes wurden vorläufig bis zum 30. Juni befristet und gelten damit wesentlich länger als andere Maßnahmen.

Manche Bundesländer wollen auch das grundgesetzlich verankerte Verbot aushebeln, Bürger zu bestimmten Arbeiten zu verpflichten. Das von der nordrhein-westfälischen Landesregierung aus CDU und FDP geplante Epidemiegesetz sieht unter anderem vor, Ärzte, Pfleger und Angehörige anderer Gesundheitsberufe zum Dienst in Krankenhäusern und anderen Einrichtungen zu verpflichten. Weigerungen sollen Geldbußen bis zu 500 000 Euro nach sich ziehen. Der Gesetzentwurf sorgt für kontroverse Debatten, wird damit doch das Recht auf freie Berufswahl ebenso eingeschränkt wie das Recht auf körperliche Unversehrtheit.

Während in Nordrhein-Westfalen noch diskutiert wird, gilt die Dienstpflicht in Bayern bereits. Dort wurde ein ähnlicher Passus im neu verabschiedeten Infektionsschutzgesetz parteiübergreifend beschlossen, demzufolge die Behörden »von jeder geeigneten Person die Erbringung von Dienst-, Sach- und Werkleistungen« verlangen können, wenn es »zur Bewältigung des Gesundheitsnotstands erforderlich ist«.

Während also das Grundgesetz umgangen wird, um die Zwangsverpflichtung von Klinikpersonal zu ermöglichen, sieht es mit dem Schutz derer, die bereits in Krankenhäusern arbeiten, und auch anderer Lohnabhängigen schlecht aus. Vielerorts ruht die Produktion keineswegs. Noch immer stehen Tausende dichtgedrängt in vollen Hallen an Fließbändern. Selbst in Betrieben, in denen Mitarbeiter bereits an Covid-19 erkrankt sind, wie beim Rüstungskonzern Rheinmetall, geht die Fertigung unbeirrt weiter. Betriebsräte ­berichten von absurden Situationen. So müssen die Beschäftigten zwar ihre Pausen wegen des empfohlenen Mindestabstands an unterschiedlichen Tischen verbringen, arbeiten danach jedoch wieder Schulter an Schulter in schlecht belüfteten Hallen.

In manchen Betrieben gelang es betrieblichen Interessenvertretungen und Gewerkschaften immerhin, bessere Schutzmaßnahmen wie die regelmäßige Desinfektion der Arbeitsplätze oder die Ausgabe von FFP2-Atemmasken an die Beschäftigten durchzusetzen. An solchen Atemmasken mangelt es jedoch in der Pflege, wo sie besonders benötigt werden, bereits jetzt. »Es fehlt an allen Ecken und Enden an der nötigen Schutzausrüstung. Es besteht deshalb die große Gefahr, dass Pflege- und Betreuungskräfte sich selbst mit dem Coronavirus infizieren und ihn weitertragen«, sagte Sylvia Bühler, die im Verdi-Bundesvorstand für das Gesundheits- und Sozialwesen zuständig ist, Ende März.

Die logische Konsequenz wäre es, die nicht dringend notwendige Produktion einzustellen, was bereits einige Belegschaften gefordert haben. Bei führenden Politikern werden sie dafür allerdings keine Unterstützung finden, denn wenn es um die Aufrechterhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft geht, spielt die Ansteckungsgefahr keine Rolle.