Argentinien ist faktisch zahlungsunfähig, doch die privaten Gläubiger verweigern eine Umschichtung der Staatsschulden

Bezahlt wird vorerst nicht

Die argentinische Regierung verhandelt mit den internationalen Gläubigern über die Staatsschulden des faktisch zahlungsunfähigen Landes. Diese lehnten ein Angebot zur Restrukturierung der Schulden zu Wochenbeginn ab.

Seit dem 20. März gilt in Argentinien eine Ausgangssperre, die das öffentliche Leben und wirtschaftliche Aktivitäten weitgehend lahmlegt. »Niemand weiß, wann dieses Martyrium endet«, rechtfertigte Präsident Alberto Fernández Anfang April eine Verlängerung bis vorerst 26. April. Die Einschränkungen sind ähnlich streng wie in Frankreich oder Italien und wurden verhängt, als es noch relativ wenige Infektionen mit Sars-CoV-2 gab. Am Freitag voriger Woche zählte die südamerikanische Republik 2 669 Infizierte und 122 Tote. Die Zahl der Infizierten steigt inzwischen langsamer, sie verdoppelt sich nicht mehr in etwa drei, sondern in neun Tagen. Die Dunkelziffer dürfte wegen der geringen Anzahl von Tests hoch sein, dennoch blieb eine Über­lastung des öffentlichen Gesundheitssystems bisher aus.

Argentinien kann die sozialen Hilfsprogramme nicht durch Kredite finanzieren. Die dafür veranschlagten zehn Milliarden Euro müssen also aus der Notenpresse kommen, was die Inflationsrate weiter erhöhen dürfte.

Während die Ausgangssperre und ein vergleichsweise solides öffentliches Gesundheitswesen die Ausbreitung der Pandemie gebremst haben, sind die ­sozialen und ökonomischen Folgen fatal. Seit 2018 in einer Wirtschaftskrise samt Rezession, Inflation und Wäh­rungs­verfall steckend, fürchtet das Land seit Ende 2019 die Zahlungsunfähig­keit (Jungle World 9/2020).

Zum Kampf gegen die Ausbreitung des Virus gehörten von Beginn an auch wirtschaftliche und soziale Maßnahmen, die sich zu den seit Fernández’ Amtsantritt im Dezember beschlos­senen Hilfsprogrammen gesellen. Ende März untersagte die Regierung privatwirtschaftlichen Firmen für mindestens 60 Tage, Lohnabhängigen wegen »mangelnden Bedarfs an Arbeitskräften oder höherer Gewalt« zu kündigen. Vorangegangen war eine Auseinandersetzung des Präsidenten mit einigen der wichtigsten Kapitalistinnen und Kapitalisten im Land. »Einige Elende vergessen diejenigen, die für sie arbeiten, und entlassen sie in der Krise«, hatte Fernández getwittert. Die harten Worte brachten dem Präsidenten Schelte ein, doch die Haltung des Peronisten ist klar: »Ein Prozent Einbuße am Bruttoinlandsprodukt kann man wiedergutmachen, ein Menschenleben nicht.«

Kritisiert wird die Regierung aus sehr verschiedenen Gründen. Linken geht das Entlassungsverbot nicht weit genug, da es nicht rückwirkend gilt und somit all jene, die bereits im März entlassen wurden, nicht schützt. Außerdem helfe es nicht den fünf Millionen Menschen, die im informellen Sektor arbeiten und mit ihrer Arbeit oft die Existenzgrundlage verlieren. Die Rechte protestiert gegen die Eingriffe des Staats in die unternehmerische Freiheit.

Damit weder die Pandemie noch die verstärkte Rezession allzu viele Menschenleben fordert, stützt die Regierung zugleich die Wirtschaft. Vor allem kleine und mittlere Unternehmen sollen davon profitieren, dass der Staat Lohnzahlungen übernimmt und den Arbeitgebern im April 95 Prozent der Bei­träge zu den Sozialversicherungen erlässt. Um gleichzeitig die Konsumentinnen und Konsumenten zu entlasten, dekretierte die Bundesregierung Preis­obergrenzen für Produkte des täglichen Bedarfs. Wer dagegen verstößt, dem drohen hohe Bußgelder sowie eine Geschäftsschließung für maximal zwei Jahre.

Ein grundlegendes Problem der Krisenbekämpfung ist so trivial wie schwerwiegend: Ein faktisch zahlungsunfähiges Land kann Hilfsprogramme nicht durch Kredite finanzieren. Die veranschlagten 700 Milliarden Argen­tinischen Peso (umgerechnet zehn Milliarden Euro) müssen also aus der ­Notenpresse kommen, wodurch die seit Jahren hohe Inflationsrate nochmals steigern dürfte. Zugleich bereitet die Fraktion des regierenden Frente de ­Todos im Abgeordnetenhaus ein Gesetz vor, um eine Sondersteuer auf ­besonders große Privatvermögen zu erheben. Wer mehr als drei Millionen US-Dollar besitzt, soll zwischen zwei und 3,5 Prozent davon an den Staat abtreten, was diesem zwischen drei und vier Milliarden US-Dollar einbringen soll.

Zudem bekräftigte die Regierung erneut, was seit Anfang des Jahres klar war: Argentinien wird seine Staatsschulden, die sich auf über 300 Milliarden US-Dollar belaufen, vorerst nicht begleichen. Am 16. April traten der Präsident und sein Wirtschaftsminister Martín Guzmán vor die Presse, zusammen mit den teils aus der Ferne zugeschalteten Gouverneuren der Provinzen, sowohl denen aus Fernández’ Lager wie auch denen der Opposition. Die Botschaft war deutlich: Den internationalen Gläubigern steht die Republik geeint gegenüber. »Es ist klar, dass Argen­tinien im Moment gar nichts bezahlen kann«, sagte Guzmán, das Land werde bis 2023 keine Rückzahlungen leisten. Die Zinsen sollen von durchschnittlich zehn auf 2,3 Prozent gesenkt werden, was eine Ersparnis von 37,9 Milliarden Dollar beziehungsweise einen Ver­zicht auf 62 Prozent der Zinsen bedeuten würde. Diese hohen Ausfälle sollen den Gläubigern durch einen kleineren Schnitt bei den Rückzahlungsbeträgen schmackhaft gemacht werden. Insgesamt sollen Schulden von 68,8 Milli­arden Dollar umgeschichtet werden; sie sollen dabei um 5,4 Prozent gekürzt werden, was etwa 3,6 Milliarden Dollar entspricht.

Der Vorschlag fiel weniger weitgehend aus, als einige Gläubigern befürchtet hatten. Die Regierung weiß dabei eine wichtige Institution ausnahmsweise auf ihrer Seite: Nach der Landesvisite einer Arbeitsgruppe im Februar hatte der Internationale Währungsfonds (IWF) festgestellt, dass die Staatsschulden nicht zu bewältigen seien, und die Gläubiger aufgefordert, einem Schuldenschnitt zuzustimmen. Der IWF selbst hatte 2018 der Vorgängerregierung unter Mauricio Macri seinen ­bisher umfangreichsten Kredit in Höhe von 57 Milliarden US-Dollar gewährt und muss auf die Rückzahlungen warten; einen Schuldenerlass verbieten ihm allerdings seine Statuten. Doch der Ausschuss der privaten Gläubiger ­argentinischer Staatsschulden (ACC) lehnte zu Beginn der Woche das An­gebot der argentinischen Regierung zur Restrukturierung der Schulden ab. Das Angebot liege weit unter den Erwartungen, hieß es. Nun soll weiter verhandelt werden.

Nicht nur für Argentinien bedeutet die Pandemie eine große ökonomische Gefahr. Der Internationalen Arbeitsorganisation zufolge hat die Krise in Lateinamerika und der Karibik 14 Millionen Arbeitsplätze vernichtet. Die UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (Cepal) prognostiziert der Region eine Rezession von 1,8 bis vier Prozent im laufenden Jahr. Die Armut könnte im Vergleich zum Vorjahr um 3,5 und die extreme Armut um 2,3 Prozent steigen. Insgesamt würde das 277 Millionen Menschen in Existenznot bringen.

Die Auswirkungen werden von Land zu Land sehr unterschiedlich sein. Während in Gegenden, die stark vom Tourismus abhängig sind, wie beispielsweise Costa Rica, der Einbruch härter sein dürfte, können Länder mit Industrie oder Exportwirtschaft wie Mexiko, Argentinien oder Brasilien auf eine raschere Erholung nach dem Ende der Pandemie hoffen. Diese trifft andere Länder wesentlich härter als Argentinien. Der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro hat nichts Besseres zu tun, als seinen Gesundheitsminister zu entlassen, weil dieser für strengere Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie eintrat, während das Land in eine Katastrophe schlittert. Die offiziellen Zahlen dürften kaum verlässlich sein. In Ecuador, das je nach Zählung zwischen 400 und etwa 1 000 Covid-19-Toten zu beklagen hat, wurden zwei Wochen Staatstrauer ausgerufen. Die ecuadorianische Stadt Guayaquil ist eine der am stärksten betroffenen in Lateinamerika.