Das Konzert von Pisse im Berghain

Feinsinniger Hass

Eine Punkband, die Max Herre als ihr Vorbild nennt? Es gibt sie. Sie heißt Pisse.

Wer von Scheiße nicht reden will, sollte von der Band Pisse schweigen. Es ist nämlich im Prinzip unmöglich, über sie zu schreiben, ohne sich dabei zu blamieren. Die wenigen Popmagazine, die es in Deutschland noch gibt, haben es versucht, und sind krachend gescheitert: Spex, das Ox-Fanzine, das Kaput Mag – sie alle wollten der Band aus Hoyerswerda einen tieferen Sinn abgewinnen oder glaubten gar, ein richtiges Interview mit ihr zu bekommen. Sie alle wurden an der Nase herumgeführt, verirrten sich in peinlichen Deutungen von an Eindeutigkeit kaum zu überbietenden Texten oder erfuhren von angeblichen Bandmitgliedern, die »wirklich alle Ronny« heißen, etwas über Max Herre als ­musikalisches Vorbild und erhielten sensationelle Selbstbeschreibungen wie: »Wir haben kleine Pimmel und können auch sonst nichts.«

Wer das Verhalten von Pisse seltsam findet, sollte sich eher fragen, warum andere »Punk«-Grüppchen so viel Unsinn in jedes Diktiergerät reden, den sie tatsächlich ernst meinen.

Dieses Verhalten ist im besten Sinne asozial. Und wer das Verhalten dieser Band seltsam findet, sollte sich eher fragen, warum andere »Punk«-Grüppchen so viel Unsinn in jedes Diktiergerät reden, den sie tatsächlich ernst meinen. Aber was will man machen? Soll man es einfach ignorieren, dass ein Konzert in der Panorama-Bar im Berliner Berghain der drei bis vier aus einer wirklich unschönen sächsischen Kreisstadt stammenden Typen Monate im ­Voraus ausverkauft war? Will man darüber schweigen, dass für dieses Konzert Tickets zu absurden Preisen auf Ebay verschachert wurden? Für ein Konzert der gleichen Band, die noch vor wenigen Jahren Jugendzentren und Bretterbuden bespielten und dabei wohl den Rekord für das harnlastigste Tour-Line-up (Pisse, Piss, Toylettes) der deutschen Punkgeschichte halten?

Aus Infektionsschutzgründen, die wenig mit Urin zu tun haben, wurde das für Ende März geplante Konzert im Berghain abgesagt. Die neue, simpel »LP« genannte Platte der Band ist trotzdem draußen, sogar schon seit Ende Januar. Und sie bietet den Hörern, was sie gewohnt sind, was sie wollen: Punk, der klingt, als wolle er kein Kind dieser Zeit sein, als sei er geboren, als Otze von der DDR-Punkband Schleimkeim noch lebte.

Das säuselnde Theremin gaukelt Unernst vor, textlich gibt es aber vor allem feinsinnigen Hass, gegen Wohlstandsverwahrlosung (»Die fetten Kinder«), seelenlose Maschinenmenschen (»Duracell«) und neuzeitliche Hippies (»Draußen zuhause«). Den Feinsinn, den muss der Hörer suchen. Das unterscheidet Pisse dann vielleicht doch von den offenkundigen und nicht so offenkun­digen Vorbildern, die zu Zeilen wie »Im Rhythmus der Langeweile, kniend in den Untergang« nicht willens, vielleicht nicht fähig gewesen wären, inklusive Max Herre. Mit »Feind /Fehler« gelingt der Band gar eine treffsichere Ode gegen die Selbstentfremdung, die mit ihrer Kürze von knapp einer Minute ihresgleichen sucht.

Beim Hören der Platte fällt einem ein, wie sehr guter schlechter Ostpunk fehlt, und wie viel Dreck andere Bands auf 30 und mehr Minuten produzieren, während Pisse in 18 Minuten so viel unterbringen. 18 inklu­sive zweieinhalb Minuten Instrumentalmusik, wohlgemerkt. Wer sich den Rummel um diese Band erklären will, sollte vielleicht andersherum denken: Die Musik der anderen ist halt Mist.

Pisse: LP (Phantom Records/Harbinger Sound)