Covid-19 fordert in deutschen Altenheimen besonders viele Opfer

Der Lebensabend ist zappenduster

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Selbst wenn sich die Letztgenannten in überdurchschnittlichem Maß an der Auszahlung der Prämien beteiligen müssten – selbst dann herrschen für Arbeitgeber im Pflegesektor paradiesische Bedingungen. 2017 erwirtschafteten drei Viertel der Heime Überschüsse. Unternehmen wie Korian haben sich auf den Betrieb von Pflegeeinrichtungen spezialisiert und versprechen ihren Aktionären Gewinne.

Wie der im vergangenen Jahr im ZDF ausgestrahlten Dokumentation »Der Pflegestillstand« von Valerie Henschel zu entnehmen ist, wäre es ein Irrtum, zu glauben, in Pflegeeinrichtungen unter öffent­licher oder kirchlicher Trägerschaft habe im Gegensatz zu privaten das Wohl alter Menschen oberste Priorität. Henschel berichtet in ihrer ausführlichen Recherche unter anderem über verwahrloste Pflegebedürftige und halbierte Essensrationen in einem Heim der katholischen Caritas. Da Heimleitungen Kontrollen juristisch unterbinden oder zumindest stark behindern könnten, fänden diese auch nicht statt, so die Journalistin.

Bis Anfang der neunziger Jahre hatten die Kommunen für ambulante und stationäre Pflege zu sorgen. Danach erfolgte die Privatisierung der Pflege unter der Leitung des damaligen Sozialministers Norbert Blüm (CDU). Die katastrophalen Folgen dieser Politik werden auch aus den aktuellen Zahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI) ersichtlich. So machten bis zum 19. April Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeeinrichtungen mehr als ein Drittel der an Covid-19 Verstorbenen aus. Das RKI geht von einer hohen Dunkelziffer aus. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz merkte zudem an, dass all jene Fälle nicht mitgezählt worden seien, in denen Altenheimbewohner in Krankenhäusern gestorben seien.

Insgesamt stirbt dem RKI zufolge fast jeder fünfte der erkrankten Heimbewohner. Auch beim Personal sei sowohl die Zahl der Infizierten als auch der Verstorbenen hoch. Nicht genannt werden die strukturellen Ursachen, die der fast ungehemmten Verbreitung des Coronavirus in den Heimen den Weg bereiten und zu den hohen Opferzahlen führen: die Konzentration von alten, unter Vorerkrankungen leidenden Menschen auf engem Raum, zu wenig Personal und zu wenig Schutzkleidung.

Die soziale Isolation der Seniorinnen und Senioren wurde in der Pandemie noch verstärkt. Um deren Verbreitung wenigstens zu verlangsamen, wurden Besuchsverbote erteilt, den Bewohnern wurde untersagt, die Heime zu verlassen. Alte Menschen wurden pauschal zur Risikogruppe erklärt. Deutsche Ärzte forderten in den vergangenen Wochen dazu auf, genau zu prüfen, ob im Falle einer Erkrankung die Aufnahme ins Krankenhaus notwendig sei. Der Tübinger Bürgermeister Boris Palmer (Grüne) forderte einen »neuen Generationenvertrag«, der die Isolation von Menschen über 65 Jahren ermögliche, damit Jüngere ungestört eine sogenannte Herdenimmunität ausbilden und die wirtschaftlichen Aktivitäten weiterlaufen könnten.

Johannes Pantl, Professor für Altersmedizin, sagte vor einigen Wochen in einem Interview mit dem Spiegel, er habe »Kenntnis von einem Entwurf aus der Politik«, dem zufolge »man Ältere aus dem öffentlichen Raum entfernen möchte, um die Jüngeren wieder auf die Straße lassen zu können«. Es handele sich um einen Vorschlag, der »vorläufig ist und so hoffentlich nie umgesetzt wird«.

Es ist verständlich, dass einige alte und kranke Menschen den Tod einem Lebensende im Pflegeheim unter diesen Bedingungen vorziehen. Die entsprechende Dienstleistung kann in Zukunft leichter in Anspruch genommen werden: Für diese Menschen hat der Bundesgerichtshof gerade noch rechtzeitig am 26. Februar den Zugang zum assistierten Suizid erleichtert. Die Richter betonten in ihrer Urteilsbegründung, jeder Bürger habe »ein Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben«. Von einem selbstbestimmten ­Leben war nicht die Rede.