Homestory #21

Man hat gerade gefrühstückt, jetzt möchte man mit dem Ressortkollegen eine Telefonkonferenz abhalten und fragt auf Telegram an, ob es passt. Ja, aber bitte schnell, schreibt der Kollege zurück, er stehe nämlich gleich am Herd und bereite ein Hühnchen zu. Wie bitte? Herd, Hühnchen, ist das jetzt ein Fall von Retraditionalisierung im Homeoffice? Bisher kannte man den Kollegen als jemanden, der mittags einen Krapfen aus der Bäckertüte zog oder am Schreibtisch eine Pizzaschachtel aufklappte.

Auch ein anderer Kollege entwickelt im Homeoffice neue Rituale der Bürgerlichkeit. »Wir gehen jetzt mit Honey raus«, meldet er auf Telegram eine Arbeitsunterbrechung an. Honey? Früher verbrachte der Kollege seine Pausen rauchend im Kreuzberger Hinterhof. Jetzt geht er samt Freundin in seiner Pause mit dem Dackel des Nachbarn Gassi und füttert den kurzbeinigen Herzensbrecher mit Fasanenpaste.

Weitere Recherchen zur Retraditionalisierung im Homeoffice ergeben ein uneindeutiges Bild. Die Kolleginnen und Kollegen, die alleine wohnen, berichten, es habe sich nicht viel geändert. Alleine wohnen wird von einer Kollegin sogar als Strategie gegen Retraditionalisierung empfohlen. Eine Kollegin mit Kind meint, dass die WG helfen kann, die Doppelbelastung von Beruf und Care-Arbeit zu bewältigen – wenn man mit Leuten zusammenwohnt, die den täglichen Reprokram mitmachen. In der Coronakrise muss sie dennoch ihre Arbeitszeit reduzieren. Solidarität, Baby: In der Pandemie hat der Lektor sein Patenkind häufiger gesittet, würde das aber noch nicht als Strategie gegen Retraditionalisierung bezeichnen. Der Administrator sieht die Dinge dialektisch: »Durch die Einrichtung eines zuvor nicht vorhandenen Heimarbeitsplatzes widersetze ich mich der traditionellen Trennung von Ausbeutungs- und Reproduktionssphäre.« Ständig zu Hause sein, bedeutet aber auch, sehr viel Zeit mit Haushaltskram verbringen zu müssen. Man muss heizen, um es warm zu haben, was für Kollegen, die in Wohnungen mit Ofenheizung arbeiten, zu den nervigsten Tätigkeiten zählt. Und man isst jetzt ständig zu Hause und muss sich andauernd Gedanken ums Essenkochen machen. Der Politikredakteur rät, den Pizzaservice in Anspruch zu nehmen, damit es im Pärchenhaushalt keinen Stress gibt. Ob und was solche Rezepte taugen, lesen Sie am besten auf den Themenseiten dieser Ausgabe nach.

Kreuzworträtsel
»Ich bin schwul – und das ist auch gut so«, sagte Klaus Wowereit in einer Rede auf dem SPD-Sonderparteitag am 10. Juni 2001, der ihn als Regierenden Bürgermeister von Berlin nominierte. Jungle World Nr. 20, Dschungel-Seiten 12/13