Im Mordfall Walter Lübcke sind noch viel Fragen offen

Revolver, Rohrbomben und Erddepots

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Seine Pläne waren zumindest so weit vorangeschritten, dass er zu mehr als 60 Personen und Objekten Informationen zusammengetragen hatte, darunter Adressen und Autokennzeichen. Seine erste terroristische Tat hatte E. bereits 1993 als 20jähriger begangen. Damals deponierte er eine selbstgebaute Rohrbombe in einem Auto neben einer Flüchtlingsunterkunft. Nur durch Glück kam damals niemand zu Schaden.

Die rechtsextreme Szene in Hessen ist überschaubar und gut vernetzt. Dass der »NPD-Stephan«, wie E. von einem V-Mann des hessischen Verfassungsschutzes bezeichnet wurde, zumindest Kontakte zu dem in den neunziger Jahren zeitweise im nur 40 Kilometer entfernten Frielendorf wohnenden Naumann hatte, konnte zwar noch nicht bewiesen werden. Indizien sprechen aber dafür.

Naumann, ein ehemaliger stellvertretender Vorsitzender des NPD-Kreisverbands Wiesbaden, war Ende der neunziger Jahre häufig Gast auf den Wahlkampfveranstaltungen der Partei. Ähnlich wie Stephan E. agierte Naumann dabei häufig als Saalschützer – zumindest, wenn er nicht selbst als Redner fungierte.

Der von Naumann 1985 gegründete »Völkische Bund« opponierte gegen die legalistische Linie der damaligen NPD-Führung unter dem Vorsitzenden Martin Mußgnug. Unterstützung bekam Naumann vom damaligen Landesvorsitzenden der hessischen NPD, Hans Schmidt. Seine terroristische Aktivitäten – unter anderem sprengte Naumann 1979 gemeinsam mit einem Komplizen zwei Fernsehsendemasten, um die bevorstehende Ausstrahlung der Fernsehserie »Holocaust« zu verhindern – führte er auch in den Neunzigern fort. So fand die Polizei 1995 an zwei hessischen Wohnsitzen Naumanns zwei Rohrbomben, bevor er das BKA kurz darauf zu den beschriebenen Depots führte.

In dieser Zeit wurden Anleitungen zum Bau solcher Bomben zumeist mündlich oder schriftlich weiterverbreitet, das Internet spielte noch keine große Rolle. Woher hatte also Stephan E. das Wissen zum Bau der Rohrbombe, die er 1993 verwendete? Entweder stand er bereits damals in Kontakt zu lokalen rechtsterroristischen Strukturen oder es kursierten schon in den neunziger Jahren solche Anleitungen im rechtsextremen Milieu.

Schon länger bekannt ist, dass E. in den nuller Jahren über Mitglieder von »Blood&Honour« beziehungsweise »Combat 18« zumindest indirekt Kontakt zum rechtsterroristischen »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) hatte. Bekanntlich geschah ein NSU-Mord in Kassel: 2006 wurde Halit Yozgat in seinem Internetcafé erschossen; am Tatort war auch der damalige VS-Beamte Andreas Temme, der von dem Mord nichts mitbekommen haben will. Experten sind sich sicher, dass der NSU in Kassel Helfer gehabt haben muss.