28.05.2020
Die Bundesregierung will die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie verbessern

Schlachten unter Lebensgefahr

Seit längerem werden Arbeitsmigranten in der deutschen Fleisch­industrie ausgebeutet. Wegen der hohen Zahlen an Infektionen mit Sars-CoV-2 bei den in den Betrieben Beschäftigten will die Bundes­regierung gesetzlich einschreiten.

Ulm, Bogen, Bad Bramstedt, Dissen, Birkenfeld, Coesfeld – in den vergangenen Wochen haben sich Standorte der deutschen Fleischindustrie zu Infektionsherden entwickelt. Aus Schlachthöfen werden Ansteckungen mit Sars-CoV-2 zuhauf berichtet, in manchen Betrieben ist mehr als die Hälfte der Belegschaft infiziert. Allein im Schlachthof im westfälischen Coesfeld waren bis zu Beginn vergangener Woche 279 Fälle dokumentiert, der Betrieb musste vorübergehend schließen.

In der vergangenen Woche verabschiedete das Bundeskabinett deshalb das »Arbeitsschutzprogramm für die Fleischwirtschaft«, um die Arbeitsbedingungen und die Unterbringung der Beschäftigten zu verbessern. Grund für die schnelle Verbreitung des Virus in der Fleischindustrie ist nach Angaben der Beratungsstelle »Faire Mobilität« des DGB, die Arbeitsmigranten berät und unterstützt, vor allem die katastrophale Unterbringung der meist osteuropäischen Wanderarbeiter, die inzwischen das Gros der Belegschaft in der Branche ausmachen. Die Beschäftigten wohnen meist in Gemeinschaftsunterkünften. In ehemaligen Kasernen und Gaststätten oder in Containern unweit des Fabrikgeländes leben sie auf engstem Raum und teilen sich Schlaf- und Waschgelegenheiten – auch während der Pandemie.

Auch die Löhne und Arbeitsbedingungen sind katastrophal. In den vergangenen Jahren hat die deutsche Fleischindustrie ein in Europa einzigartiges System zur Billigproduktion geschaffen, in dem prekäre Wanderarbeiter eine Schlüsselrolle einnehmen. Über osteuropäische Subunternehmen holen Großunternehmen wie Tönnies, Danish Crown und Vion für einen begrenzten Zeitraum Arbeitskräfte nach Deutschland, die mit Arbeitsverträgen nach ausländischem Recht ausgestattet und in ihren Herkunftsländern sozialversichert sind. Die Arbeiterinnen und Arbeiter sind zwar in Deutschland beschäftigt, für sie gilt jedoch das nachteilige Arbeitsrecht ihrer Herkunftsländer. So wird die Ausbeutung durch Unternehmen in Deutschland ermöglicht: 14-Stunden-Tage sind eher die Regel als die Ausnahme. Das Produktionstempo ist kontinuierlich sehr hoch. Wer krank ist, wird in sein Herkunftsland zurückgeschickt. Systematischer Lohnbetrug gehört zum Alltag.

Der deutsche Billigexport von Fleisch verschärft das Ungleichgewicht in Europa. In den Nachbarländern müssen viele Schlachthöfe schließen.

Die große Mehrzahl der Aufgaben in der Fleischproduktion wurde inzwischen über Werkverträge ausgegliedert, die Schlachtung und Weiterverarbeitung ebenso wie die Verpackung, Kommissionierung und der Transport. Zwei Drittel der Beschäftigten in den vier größten Schlachtkonzernen sind nach Schätzung der zuständigen Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) Werkvertragsnehmer, meist aus Rumänien. Zugleich wurde die Zahl der tariflich gebundenen Arbeitsplätze erheblich abgebaut.

Auch dank dieser miserablen Bedingungen verzeichnet die deutsche Fleischindustrie Rekordgewinne. Die Betriebe sind riesige Produktionsanlagen, in denen täglich 1,9 Millionen Tiere geschlachtet werden. Allein die zehn größten deutschen Unternehmen setzen jährlich etwa 20 Milliarden Euro um. Wegen der prekären Lohn- und Arbeitsbedingungen in der Branche ist deutsches Fleisch so billig, dass etwa 14 Prozent der Produktion exportiert werden, unter anderem nach Osteuropa. Die Gesamtkosten für die Schlachtung eines Schweins betragen hierzulande nur 1,50 Euro, wenn dafür Subunternehmen mit Werkverträgen engagiert werden, wie aus einer Kleinen Anfrage der Linkspartei im Bundestag im vergangenen Jahr hervorging.

Der deutsche Billigexport von Fleisch verschärft das Ungleichgewicht in Europa. In den Nachbarländern müssen viele Schlachthöfe schließen. Während die wenigen tarifgebundenen Beschäftigten in deutschen Schlachthöfen zwölf bis 13 Euro in der Stunde verdienen, sind es in Italien 23 Euro und in Dänemark 25 bis 27 Euro. Da es in Dänemark grundsätzlich nur tarifgebundene Beschäftigte in den Fleischindustrie gibt, kann die Branche mit der deutschen Konkurrenz nicht mithalten. »Von den 20 000 dänischen Arbeitsplätzen sind 10 000 verloren gegangen«, sagte Jim Jensen, der Vorstand der dänischen Lebensmittelgewerkschaft NNF, auf einer Veranstaltung des DGB Nordwest im Jahr 2018. In Italien sorgte der deutsche Konkurrenzdruck dafür, dass dortige Produzenten vermehrt Wanderarbeiter aus Nordafrika beschäftigen.