Ein neuer Online-Katalog erleichtert die Recherche über Nazis

Antifa heißt Archiv

Wer zur extremen Rechten recherchieren will, hat es seit kurzem ein wenig leichter: Mehrere antifaschistische Archive bieten mittlerweile in einem Online-Katalog einen Überblick über ihre Bestände.

Gruppen kommen und gehen, Archive bleiben bestehen. Im antifaschistischen Bereich sind Archive ein zentraler Bestandteil der Infrastruktur. Sie sammeln und bewahren Material, ohne welches es oft nicht möglich wäre, Entwicklungen der extremen Rechten fundiert zu bewerten.

Von großem Nutzen ist es entsprechend, dass der Zugang zu diesem Material leichter geworden ist. Seit Ende April präsentieren sechs antifaschistische Archive und Dokumentationsprojekte unter bibliothek.antifa-archiv.org ihre Bücher- und Broschürenbestände in einem gemeinsamen Online-Katalog. So können Interessierte auch aus der Ferne in den Bibliotheken der Antifaschistischen Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München (Aida), des Antifaschistischen Bildungszentrums und Archivs Göttingen e. V. (Abag), des Düsseldorfer Antifa-Archivs, der Zeitgeschichtlichen Dokumenta­tionsstelle Marburg, des Antifaschistischen Pressearchivs und Bildungszentrums Berlin (Apabiz), des im Apabiz angesiedelten Archivs zum ehemaligen Jugend-KZ und Vernichtungsort Uckermark und des Bielefelder Vereins »Argumente und Kultur gegen rechts« nach Material suchen.

Dieser Verbundkatalog ist aus der Zusammenarbeit der meist schon lange existierenden Archive entstanden. Das Apabiz stellte 2011 einen Katalog seines eigenen Bibliotheksbestands ins Internet. Daraus entwickelte sich im Laufe der Zeit die Idee, einen gemeinsamen Katalog antifaschistischer Archive zu erstellen, zum einen um Interessierte auch auf andere, möglicherweise näher gelegene Archive hinzuweisen, zum anderen um technische Strukturen gemeinsam nutzen zu können. »Als großes, relativ gut ausgestattetes Archiv wollten wir Ressourcen und Infrastruktur auch mit anderen Projekten teilen, die das allein vielleicht so nicht hätten stemmen können«, sagte Patrick Schwarz, ein Mitarbeiter des Apabiz, im Gespräch mit der Jungle World. Es seien jedoch Zeit und viele unbezahlte Arbeitsstunden nötig gewesen, um das auf einer Open-Source-Software für Bibliotheken beruhende Projekt zu verwirklichen. Denn es sei den Archiven wichtig gewesen, den digitalen Katalog auf einer Datenbasis zu entwickeln, die internationalen bibliothekarischen Standards entspricht, auch um in einem sich rasch verändernden technischen Umfeld die Nutzung für die Zukunft gewährleisten zu können.

Der Schwerpunkt der mehr als 20 000 zurzeit über den Verbundkatalog recherchierbaren Bücher und ­Broschüren liegt auf Publikationen zur deutschen extremen Rechten, vor allem auch auf deren eigenen Veröffentlichungen. »Uns war es explizit auch wichtig, Leuten, die sich kritisch mit rechter Literatur auseinandersetzen wollen, zu zeigen, was wir davon im Bestand haben«, so Schwarz. Denn daran, ergänzt Felix Hansen, der ebenfalls beim Apabiz tätig ist, bestehe ein Interesse, das hauptsächlich die antifaschistischen Archive bedienen könnten: »In jüngster Zeit wenden sich auch vermehrt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an uns, auf der Suche nach Material, das es in anderen Bibliotheken so nicht gibt.« Universitäts­bibliotheken oder staatliche Archive sammelten diese Veröffentlichungen nicht in solcher Breite. Sowohl die Zeit des Nationalsozialismus wie auch die deutsche Rechte nach 1945, vom Rechtskonservatismus über die Vertriebenenverbände und Landsmannschaften bis hin zum militanten Neofaschismus, seien erfasst.

»In jüngster Zeit wenden sich auch vermehrt Wissenschaftler an uns, auf der Suche nach Material, das es in anderen Bibliotheken so nicht gibt.« Felix Hansen, Apabiz

Neben Büchern und sogenannter graue Literatur, also in der Regel nicht über den Buchhandel vertriebenen, oft nur in kleiner Stückzahl gedruckten Publikationen, finden sich in den ­antifaschistischen Archiven auch Zeitschriften, Zeitungen, Flugblätter und Plakate. Diese sind jedoch nicht über den Online-Katalog recherchierbar, sondern können nur direkt in den Archiven erfragt werden. Um Interes­senten den Einstieg ins Thema zu erleichtern, werden mit dem Verbund­katalog auch Literaturlisten zu häufig nachgefragten Themen bereitgestellt, bisher zu den Themen DDR und Rechtsextremismus, Aussteigerinnen und Aussteiger, Neue Rechte / Konservatismus, Nationalso­zialistischer Untergrund (NSU) und rechtsextreme Frauen. Mit diesen Listen versuchen die Archivarinnen und Archivare auch den Aufwand für die Betreuung Interessierter zu reduzieren. Denn um die im Katalog erfassten Schriften einsehen zu können, muss man weiterhin die Archive aufsuchen, die als reine Präsenzbibliotheken funktionieren. Neben dem Schutz des archivierten Materials ist es so auch möglich, im Blick zu behalten, wer sich aus welchen Gründen ­dafür interessiert. Die Betreuung recherchierender Studierender oder Promovierender erfordert viel Zeit, die der oft überschaubare Kreis der in den Archiven ehrenamtlich tätigen Personen nur begrenzt aufbringen kann.

Das gestiegene Interesse an den Sammlungen der Archive rührt nicht zuletzt daher, dass die Geschichte der extremen Rechten nach 1945 in den vergangenen Jahren zu einem eigenen akademischen Forschungsgebiet geworden ist. Die Archivare des Apabiz begrüßen die wachsende Aufmerksamkeit, auch wenn diese Entwicklung durchaus ambivalent sei. »Grundsätzlich«, so Hansen, »freut uns dieses Interesse natürlich, wir sammeln ja nicht zum Selbstzweck, sondern wollen, dass mit dem Material gearbeitet wird. Wir wünschen uns aber auch, dass die Zusammenarbeit mit uns auf Augen­höhe stattfindet und auf Wertschätzung beruht, wenn wir hier eine Aufgabe für die Forschung wahrnehmen.« Da viele, die sich im akademischen Bereich mit der Geschichte der extremen Rechten auseinandersetzten, schon länger dazu arbeiteten, gebe es hier auch gute Erfahrungen.

Auch wenn die beteiligten Archive durch den Verbundkatalog vor allem als Sammlungen von Material und ­Publikationen zur deutschen Rechten erscheinen, stellt dies nur einen ihrer Schwerpunkte dar, wie Schwarz betont: »Anti­fa-Archive sind auch Archive einer sozialen Bewegung. Wir bemühen uns deswegen darum, Materialien von Gruppen oder Aktivistinnen und Aktivisten zu bewahren, und darum, dass deren Sammlungen nicht irgendwann auf dem Müll landen, sondern bei uns oder in einem anderen entsprechenden Archiv.« So schaffen die Archive neben einer Infrastruktur für Forschung und Recherche auch die Voraussetzung für die historische Selbstreflexion der Antifa als politischer Bewegung.