Ein Gespräch mit Jean-Philipp Baeck über das von ihm herausgegebene Buch »Egoshooter«

»Vorbild für sie alle ist im Grunde Anders Breivik«

Der Journalist Jean-Philipp Baeck ist einer der Herausgeber des Sammelbands »Rechte Egoshooter. Von der virtuellen Hetze zum Livestream-Attentat«. Obwohl viele rechte Attentäter aus der Gaming-Szene kommen und sich die Ästhetik von Spielen zu eigen gemacht haben, hält er einen kausalen Zusammenhang nicht zwangsläufig für gegeben.
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Sie haben gemeinsam mit Andreas Speit den Sammelband »Rechte Egoshooter« veröffentlicht. Nun ist bereits eine Menge zum neuen rechten Terror geschrieben worden. Was sticht in ihrem Buch besonders heraus?

Einige rechte Terroranschläge in jüngster Zeit teilen sich gemeinsame Aspekte und Bezüge. Diese betrachten die Autorinnen und Autoren in unserem Buch intensiver. Beispielsweise die Incel-Szene, in der sich frauenhassende Männer organisieren, die Radikalisierung im Netz, die Geschichte des rechten Terrors und die politische Ignoranz ihm ­gegenüber, das Zusammenspiel von Antisemitismus und Antifeminismus sowie die Gamer-Szene, zu der die Attentäter einen Bezug hatten.

»Das Netz zieht nicht nur Rechte an. Aber es ermöglicht gewissen Menschen das Ausleben von Wahnideen in virtuellen Räumen, was ihnen in der realen Welt so nicht möglich wäre.«

Wie würden Sie den neuen Tätertypus beschreiben?

Es sind Männer, die sich an Leute richten, die ihren sozialen Austausch vor allem online pflegen, die ihre ­Taten auf sogenannten Imageboards ankündigen und per Livestream zu übertragen versuchen. Adressiert wird eine Community aus Gleichgesinnten. Es handelt sich um Rechts­terroristen, die sich nicht in Kameradschaften vor Ort organisieren, sondern online. Vorbild für sie alle ist im Grunde Anders Breivik.

Worauf zielen Sie mit der Bezeichnung »Egoshooter« für diesen Tätertypus ab?

Zum einen beschreibt der Begriff »rechte Egoshooter«, dass diese bei ihrer Tat alleine unterwegs sein ­mögen, aber keine Einzeltäter sind, und dass sie ein Problem mit ihrem Selbstbewusstsein haben, so dass sich ihr Selbsthass nach außen kehrt. Zum anderen zielen wir auf den Bezug der Täter zu Egoshooter-Spielen und der Gaming-Kultur ab, wobei die Anschläge nicht in direktem kausalem Zusammenhang damit stehen.

Erleichtert das Internet rechte Agitation?

Ich würde sagen, es beschleunigt die Agitation. Das Internet bietet eine Fülle an Kommunikationswegen, und wenn man auf Englisch publiziert, kann man die wenigen Gleichgesinnten auf der ganzen Welt erreichen. Zudem kommt man mit Menschen zusammen, mit denen man sonst nichts zu tun hätte.

Simone Rafael beschreibt in ihrem Beitrag, dass auch eine technische Seite hinzukommt, weil soziale Netzwerke darauf abzielen, ihre Nutzer bei der Stange zu halten, indem sie immer krassere Videos anbieten. Und das betrifft auch eben die politischen Inhalte: Auf rechtspopulistische Videos folgen dann neonazistische.

Das Internet ist also nicht nur ein Medium für Rechtsextreme, sondern die Funktionsweise selbst trägt zur Radikalisierung bei?

Ja, es beschleunigt die Radikalisierung, aber man muss an dieser Stelle aufpassen. Ich würde dem Medium selbst nicht die Schuld an den Inhalten geben. Grundsätzlich bietet das Internet kreative Möglichkeiten in verschiedene Richtungen – auch Möglichkeiten der weltweiten Solidarität.

Was im Internet wirkt auf autoritäre Menschen so anziehend?

Unmoderierte Foren wirken wie ein großer digitaler Stammtisch. Es wird unreflektiert vom Leder gezogen und das paart sich mit dem wahnhaften Gedanken, dass man hier frei über angeblich unterdrückte Wahrheiten und versteckte Machenschaften sprechen könne, was sonst von einer höheren Macht untersagt werde. Das ist der Tendenz nach ja bereits eine rechte Idee auf verschwörungsgläubiger Grundlage.

Nun zieht das Netz nicht nur Rechte an. Aber es ermöglicht gewissen Menschen, Wahnideen gruppenweise in virtuellen Räumen auszuleben, was ihnen in der realen Welt so nicht möglich wäre, wodurch nicht zuletzt reaktionäre Gemeinschafts- und Identitätsbildungen stattfinden.

Die Anschläge haben auch die Gaming-Szene in Verruf gebracht. Bundesinnenminister Horst Seehofer fordert, sie stärker in den Blick zu nehmen, während die Szene selbst die Vermutung einer Verstrickung mit rechten Milieus von sich weist. Was stimmt?

Ich würde sagen, dass hier die Wahrheit in der Mitte liegt. Es wäre falsch, einen direkten Zusammenhang zwischen Gamern, Egoshootern und realer Gewalt herzustellen. Der Zusammenhang ist durchaus komplexer. Und Computerspielen die Schuld an Terror zu geben, ist albern. Gleichzeitig muss man Games als Kulturprodukt ernst nehmen und konstatieren, dass es in der Gamer-Szene eine starke Präsenz von Neonazis gibt und dass diese sich über Gaming-Plattformen organisieren.

Was sind die Anknüpfungspunkte, die die Gaming-Szene Rechtsextremen bietet?

Die Gaming-Szene ist vor allem in ihren Umgangsformen von männlichem Dominanzverhalten geprägt. Innerhalb des Spiels ist der Konkurrenzgedanke sehr stark, man ist ständig dabei, sich mit anderen zu vergleichen. Aber ich wäre vorsichtig damit, dem Gaming bestimmte Eigenschaften zuzuschreiben, die autoritäres Denken prinzipiell begünstigen. Das müsste man sich genau anschauen.

Man kann andersherum festhalten: Beim Anschlag in Halle hat man ge­sehen, dass es hier eine Inszenierung der realen Gewalt gegeben hat, die sich an Egoshooter-Spielen orientierte. Der Attentäter nimmt sich selbst aus der Ich-Perspektive auf und geht mit der Waffe durch die Straßen. Das ist die Ästhetik eines Computerspiels. Zudem hat er in seinen Dokumenten sogenannte achievements formuliert – eine Liste von Bonuserfolgen, wie man sie aus Videospielen kennt. Der Täter in Halle formulierte beispielsweise als Bonuserfolg, Juden auf bestimmte Weise zu töten.

So scheint die Ästhetik von Videospielen einen Einfluss auf die Anschläge zu haben?

Das wäre meiner Meinung nach ein zu kausaler Zusammenhang. Differenzierter wird das in einem Beitrag in unserem Buch behandelt, der auf das Beispiel der Amokläufe in den USA und die anschließenden Debatten über Heavy Metal verweist, die einen ablenkenden Charakter hatten. Anstatt über schärfere Waffengesetze zu diskutieren, spricht man dann über die Gefahr, die angeblich von einem Musikstil ausgeht.

Man sollte bei der »Killerspieldebatte« einen Schritt zurückgehen. Was es in der Gamer-Szene braucht, ist Reflexion und stärkeren Widerstand gegen neonazistische Spieler, die die Gaming-Plattformen für Propaganda nutzen und sich dort auch organisieren.

Lässt sich aber nicht dennoch sagen, auch ohne einen Kausalzusammenhang zu postulieren, dass die Ästhetik der Egoshooter-Spiele autoritäre Charaktere besonders reizt, nämlich die Inszenierung eines handlungsmächtigen und über Menschen richtenden Ichs?

Man kann zumindest sagen, dass Egoshooter mit so etwas korrespondieren wie dem anarchistischen Konzept der »Propaganda der Tat«, bei der mit gezielten Aktionen die Gesellschaft aufgerüttelt werden soll.

Ist es nicht auch ein Problem, sich in der Debatte über die Ursachen des Rechtsterrorismus zu stark auf Internet und Gaming zu konzentrieren?

In der Tat. Dieser Blickwinkel ist zwar nötig, aber nicht ausreichend. Schaut man sich zum Beispiel Aussagen der Mutter des Attentäters von Halle an, dann offenbaren die ein wohl ebenso antisemitisches Weltbild. Die Präsenz solcher Ideen in der Familie spielt bei der Radikalisierung eben auch eine Rolle. Soziale, ökonomische und psychologische Faktoren wirken zusammen. Sowieso sind Antisemitismus, Rassismus und Antifeminismus ja keine Ressentiments, die online entstanden sind.

Andreas Speit, Jean-Philipp Baeck (Hrsg.): Rechte Egoshooter. Von der virtuellen Hetze zum Livestream-Attentat. Ch. Links, Berlin 2020, 208 Seiten, 18 Euro