Das Ermittlungsergebnis im Mordfall Olof Palme überzeugt nicht alle Schweden

Ermittlungen abgeschlossen

Im Mordfall Olof Palme präsentierten die Ermittler mit Stig Engström einen mutmaßlichen Täter, gegen den keine neuen Indizien vorliegen.

Eine große Überraschung brachte die Präsentation des mutmaßlichen Täters im Mordfall Olof Palme nicht. Bereits im Februar hatte Oberstaatsanwalt Krister Petersson in einer Fernsehsendung gesagt, der Fall werde noch vor dem Sommer abgeschlossen. Ein paar Tage später betonte er in der Boulevardzeitung Expressen, seiner Meinung nach stehe bereits fest, wer der Täter gewesen sei. Insider berichteten damals, dass gegen den im Jahr 2000 verstorbenen Stig Engström ermittelt werde.

Darüber, wer den schwedischen Ministerpräsidenten am Abend des 28. Fe­bruar 1986 erschossen hatte, war viele Jahre lang ausgiebig spekuliert worden. Zu den sehr bald nach der Tat Verdächtigten gehörten unter anderem die PKK (Mörder ohne Motiv), die Geheimdienste diverser Länder, ein schwerkranker Alkoholiker und Nazi-Polizisten.

 Es spricht einiges dafür, dass die Ermittler im Mordfall Palme Anfang des Jahres glaubten, im Juni eine lückenlose Beweiskette gegen Engström präsentieren zu können.

Und Stig Engström: 1991 hatte die kommunistische Zeitschrift Proletären einen langen Artikel veröffentlicht, in dem über eine Täterschaft Engströms spekuliert worden war. Einer der Gründe, warum ihn der Autor Olle Minell verdächtigte, Palme im Auftrag rechter Kreise ermordet zu haben, war, dass sein Arbeitsplatz, das Skandia-Haus, in der Nähe des Tatorts lag. Dort hatte auch der schwedische Jurist Alvar Lindencrona ein Büro gehabt, der bis zur Pensio­nierung 1978 im Regierungsauftrag eine Stay-behind-Organisation betrieb. Solche geheimen, unter Federführung von Nato und Geheimdiensten agierenden und parlamentarisch nicht kontrollierten paramilitärischen Operationen gab es europaweit, im eigentlich neutralen Schweden wurde die Organisation auf Betreiben von Tage Erlander gegründet, der von 1946 bis 1969 Ministerpräsident und Vorsitzender der sozialdemokratischen Partei war.

Eine direkte Verstrickung Lindencronas in den Palme-Mord ist jedoch unwahrscheinlich, er starb am 12. Dezember 1981, rund fünf Jahre vor dem Attentat.

Der dänische Autor Paul Smith, unter anderem Pressesprecher der anarchoiden Spaßpartei »Sammenslutningen af Bevidst Arbejdssky Elementer« (Zusammenschluss bewusst arbeitsscheuer Elemente), nannte Olle Minell in seinem 2010 erschienenen Buch »Mordet på Olof Palme« jedoch einen Verschwörungstheoretiker. Smith machte sich darin über Minell lustig, weil er in Talkshows unverdrossen besonders verwickelte Theorien über den Tathergang und Engströms Täterschaft präsentierte.

Nun also soll Stig Engström der Täter gewesen sein. Er kam 1934 in Bombay zur Welt, wo sein Vater, ein Maschinenbauer, im Auftrag des Industriellen Ivar Kreuger eine Streichholzfabrik aufzog. Mit zwölf Jahren wurde der Junge zu Verwandten nach Schweden geschickt, nach der Schulzeit absolvierte er eine Graphikerausbildung. Ende der sechziger Jahre trat er eine Stelle als Werbeberater beim Versicherungskonzern Skandia an. Politisch engagierte er sich bei den liberalkonservativen Moderaterna, in den achtziger Jahren verließ er die Partei im Streit über geplante Schulschließungen.

Engström hat immer gesagt, dass er die Tat beobachtet habe – die Ermittler glaubten ihm jedoch lange nicht. Gegen seine Anwesenheit am Tatort während des Mordes sprach ihrer Meinung nach unter anderem, dass keiner der anderen Zeugen ihn dort gesehen hatte. Andererseits wurde keine der Zeugenaussagen als völlig verlässlich eingestuft. Auch die von Engström nicht, der in verschiedenen Varianten geschildert hatte, wie die Polizei am Tatort seiner Erinnerung zufolge gehandelt habe, was allerdings auch bei allen anderen Zeugen der Fall gewesen war. Engström, der dem schwedischen Fernsehsender SVT sogar ein Interview über seine Beobachtungen gegeben hatte, galt den damaligen Ermittlern rasch als unzuverlässig, weswegen er von der Tatrekonstruktion ausgeschlossen wurde.

Es spricht einiges dafür, dass die Ermittler Anfang des Jahres glaubten, im Juni eine lückenlose Beweiskette gegen Engström präsentieren zu können. Große Hoffnungen hatten sie unter anderem in einen Brief gesetzt, in dem ein anonymer Schreiber vor einer nicht genannten Anzahl von Jahren geschrieben hatte, dass er in den Mord an Palme verwickelt gewesen sei. DNA-Vergleiche mit Angehörigen Engströms führten jedoch nicht zum erhofften Resultat.

Auch die ballistischen Untersuchungen von insgesamt 788 Waffen, die größtenteils einem als Waffensammler bekannten, mittlerweile verstorbenen Freund Engströms gehört haben sollen, brachten kein eindeutiges Resultat. Neun Tage vor der angesetzten Pressekonferenz erlebten die Ermittler einen schweren Rückschlag: Die Testergebnisse einer Smith&Wesson, von der sie fast sicher annahmen, dass sie die Tatwaffe sei, waren uneindeutig. Der renommierte schwedische Kriminaltechniker Sonny Björk sagte Anfang der Woche, die wahrscheinlichste Erklärung dafür, dass die richtige Waffe in den Tests nicht gefunden wurde, sei, dass sie nicht getestet wurde.

Sehr beeindruckt zeigte sich die schwedische Öffentlichkeit von der nun präsentierten Lösung des Falls Olof Palme nicht. Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Kantar Sifo zufolge halten 19 Prozent Engström für den Täter, weitere 19 Prozent glauben nicht, dass er den Ministerpräsidenten ermordete. 62 Prozent gaben an, dass sie sich nicht sicher seien. Gleichzeitig sind viele Schweden empört darüber, dass Stig Engström lediglich aufgrund von Indizien als Täter genannt wurde, obwohl Angehörige von ihm noch leben. Das sehen auch Juristen so. Mia Edwall Insulander, die Generalsekretärin des schwedischen Anwaltsvereins, forderte nach der Pressekonferenz umgehend, Engström müsse eine Verteidigung gegen die Vorwürfe ermöglicht werden. Dass er nicht mehr am Leben ist, ände­re nichts daran, dass der Anspruch auf Verteidigung ein wichtiges Prinzip der Rechtssicherheit sei, sagte sie. »Ich möchte, dass der jetzt zum Tatverdächtigen Erklärte eine Stimme bekommt.« Zumal nur Indizien für seine Schuld sprächen, was im Übrigen auch die Polizei zugegeben habe.

Problematisch war die Öffentlichkeitsarbeit des Chefanklägers Petersson auch bei der Aufklärung der Ermordung von Außenministerin Anna Lindh, die am 24. September 2003 in einem Einkaufszentrum erstochen wurde. Die Ermittler legten sich umgehend auf einen Nazi-Hooligan als Täter fest (Ein Hooligan, rassistisch und kultiviert) und gaben persönliche Informationen über diesen an die Me­dien weiter, so dass namentlich über ihn berichtet wurde, was das schwedische Presserecht im Falle noch nicht Verurteilter verbietet. Etwas später wurde dann der wirkliche Täter verhaftet, ein 24jähriger Serbe. Sein Motiv war mög­licherweise Hass auf Lindh, weil sie im Kosovo-Krieg mit der Tradition der schwedischen Neutralität gebrochen hatte.