Die Neofaschisten von Casa Pound werden ihr Stammhaus in Rom räumen müssen

Die Schildkröte zieht nach Ostia

Das Stammhaus der Casa Pound in Rom soll geräumt werden. Auf einem ungenutzten Gelände der italienischen Luftwaffe haben die Neofaschisten bereits ein neues Gebäude besetzt.

Anfang Juni gab ein Gericht in Rom dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf »vorbeugende Beschlagnahme« des dortigen Stammhauses der neofaschistischen Bewegung Casa Pound statt. Nachrichtenagenturen meldeten daraufhin, eine Räumung des seit 2003 besetzten Gebäudes Nummer acht in der Via Napoleone III stehe unmittelbar bevor. Doch das wegen der Coronakrise von der Regierung erlassene Räumungsmoratorium bis September gilt auch für die Neofaschisten der Casa Pound.

Dem Ermittlungsverfahren lagen zwei Anschuldigungen zugrunde. Zum einen hatte das Wirtschafts- und Finanzministerium im Namen der Agentur für die Verwaltung staatseigener Immobilien die »widerrechtliche Besetzung« des Gebäudes angezeigt; zum anderen hatte die Vereinigung der italienischen Partisanen ANPI nach antiziganistischen Hetzkampagnen der Neofaschisten im Frühjahr 2019 einen Strafantrag wegen Anstiftung zu rassistisch motiviertem Hass gestellt und ein Verbot der Bewegung gefordert. Casa Pound hat in den vergangenen Jahren wiederholt in den Randbezirken Roms gegen die Unterbringung von Geflüchteten und Roma-Familien mobilisiert, Wohnblocks belagert und die Anwohnerschaft bedroht. Zu den 16 Angeklagten gehören neben dem Begründer und Präsidenten von Casa Pound, Gianluca Iannone, der Sprecher Simone Di Stefano und dessen Bruder Davide Di Stefano, der stellvertretende Chefredakteur der rechtsextremen Online-Zeitung Il Primato Nazionale.

Die Besetzung des sechsstöckigen Gebäudes im römischen Stadtzentrum unweit des Hauptbahnhofs begründete 2003 die mittlerweile landesweit organisierte Bewegung. Deren Name ist in Anlehnung an den US-amerikanischen Dichter Ezra Pound gewählt, einen Anhänger des Faschismus. Die selbsternannten »Faschisten des dritten Jahrtausends« verzichten bewusst auf traditionelle faschistische Insignien wie das Keltenkreuz, sie sammeln sich unter dem Banner einer stilisierten Schildkröte. Casa Pound bildet den militanten Arm der parlamentarischen Rechten, sieht sich aber primär als rechte kulturelle Vereinigung in Opposition zu den linken centri sociali. Allerdings werden im römischen Stammhaus nur wenige Räume für öffentliche Veranstaltungen genutzt, stattdessen befinden sich über die Etagen verteilt etwa 20 Wohnungen. Casa Pound propagiert die Besetzung als Wohnraumbeschaffung für notleidende italienische Familien.

Die Ermittlungsrichterin Zsuzsa Mendola hat nun den Straftatbestand der illegalen Hausbesetzung bestätigt. Die von der Staatsanwaltschaft vorgelegten Unterlagen der Finanzbehörden belegen Mendola zufolge, dass die Angeklagten über genügend Einkommen verfügten und das Gebäude nicht aufgrund einer Notlage besetzt hielten. Der italienische Rechnungshof schätzt die Summe der dem Staat entgangenen Mieteinnahmen auf 4,3 Millionen Euro. Die zweite Anschuldigung wies die Ermittlungsrichterin dagegen zurück. Die Staatsanwaltschaft habe zwar zahlreiche Vorfälle dokumentiert, in denen es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen »Extremisten aus politisch entgegengesetzten Lagern« gekommen sei, doch lägen keine hinreichenden Beweise für eine Beteiligung der Angeklagten an einer verbotenen Vereinigung vor. Ihnen sei nicht nachzuweisen, »dass das gezeigte Verhalten, wie verwerflich es auch sein mag, Ausdruck rassistischer oder diskriminierender Ideologien oder Gefühle« sei. Diese Einschätzung ändert zwar nichts an der Beschlagnahmung, doch wird der Casa Pound unter den vielen anhängenden Räumungen in Rom im Herbst keine Priorität zukommen, zumal das Gebäude im Gegensatz zu anderen besetzten Häusern nicht baufällig ist. Nachdem Ende Mai ein Berufungsgericht in Rom die von Facebook veranlasste Sperrung mehrerer Profile der Casa Pound wegen der Verbreitung von Hasskommentaren für rechtswidrig erklärt hatte, verbuchte die Bewegung mit der richterlichen Zurückweisung des Rassismusvorwurfs einen zweiten Propagandasieg binnen weniger Wochen. Die Angeklagten sehen sich in ihrem Verdacht bestätigt, die Ermittlungen seien politisch motiviert. Il Primato Nazionale führte eine entsprechende Diffamierungskampagne ­gegen den ermittelnden Staatsanwalt Eugenio Albamonte, die rechte Intellektuelle und die souveränistischen Parteien mittrugen. Mehrere Parteimitglieder der Fratelli d’Italia und der Lega demonstrierten mit Hausbesuchen ihre Solidarität mit der Bewegung und forderten die Regierung auf, mit den »Jungs« der Casa Pound in einen »Dialog« zu treten, um ordentliche Mietverträge auszuhandeln. Die nachträgliche Legalisierung der Besetzung hatte schon Gianni Alemanno angestrebt. Dieser gehörte in den siebziger Jahren zur militanten römischen Rechten und war von 2008 bis 2013 dank der Unterstützung des neofaschistischen Milieus Bürgermeister von Rom.

Da das Gebäude zum staatlichen Immobilienbestand zählt, ist der Einfluss der Stadtverwaltung jedoch begrenzt. Voriges Jahr drohte Bürgermeisterin Virginia Raggi vom Movimento 5 Stelle, den Schriftzug »Casa Pound« an der Außenfassade des Gebäudes als widerrechtliche politische Propaganda im öffentlichen Raum entfernen zu lassen. Sie ließ den Kameraden jedoch genug Zeit, die Marmorlettern selbst abzubauen und für den künftigen Gebrauch zu sichern. Möglicherweise würde sich Raggi einer nachträglichen Mietvereinbarung nicht verweigern, denn ihr geht es weniger um die Bekämpfung der faschistischen Politik als um die »Wiederherstellung der Legalität«. Bislang hat sich der Legalisierungseifer der Stadtverwaltung allerdings vor ­allem gegen feministische Selbstverwaltungszentren und linke Gruppen gerichtet, die mit migrantischen Wohnungslosen leerstehende Gebäude besetzt hatten (Nicht ein Frauenzentrum weniger - Unabhängige Frauenzentren in Rom sind von Räumung bedroht).

Die außerparlamentarische radi­kale Linke hält es für einen Skandal, dass das Gericht den rassistischen Charakter der Umtriebe von Casa Pound in Frage stellt. Gemeinsam mit der ANPI demonstriert sie seit Wochen gegen die verstärkten Aktivitäten der Neofaschisten im römischen Umland. Dort nutzt die Bewegung die soziale und finanzielle Not der Bevölkerung für ihre politischen Zwecke. Im April gelang es Casa Pound, trotz der wegen der Covid-19-Pandemie verhängten Ausgangssperre im Küstenvorort Ostia auf einem 7 000 Quadratmeter großen, seit Jahrzehnten ungenutzten Gelände der italienischen Luftwaffe ein Gebäude zu besetzen. Auf einer Crowdfunding-Plattform wird die Besetzung unter dem Titel »Area 121« als neues Stadtteilprojekt »für Familien in Wohnungsnot« beworben. Casa Pound stellt in Ostia mit Luca Marsella einen Stadtrat, der mit dem derzeit in Haft sitzenden Mafiaboss Roberto Spada befreundet ist; nachgewiesen sind zudem zahlreiche »Strafexpeditionen« der Kameraden gegen Strandhändlerinnen und -händler, Roma-Siedlungen im Hinterland sowie ortsansässige Antifaschistinnen und Antifaschisten (Loyalität in Einkaufstüten - Rechtsextreme und Mafia verfügen im italienischen Ostia offenbar über gute Verbindungen). Dennoch ist bisher nicht bekannt, dass der italienische Verteidigungsminister, Lorenzo Guerini (Partito Democratico), mit Verweis auf sein Hausrecht eine Räumung des Militärgeländes gefordert hätte.