Zur inflationären Verwendung des Begriffs Querfront im Zuge der Coronaproteste

Ein Jebsen macht noch keine Querfront

Der Begriff der Querfront wurde bei der Betrachtung der jüngsten Coronaproteste inflationär verwendet. Das vernebelt die Analyse.

Querfront oder nicht? Diese Frage wurde im Zuge der sogenannten Hygiene­demonstrationen und Coronaproteste häufig und kontrovers diskutiert. Der Sozialwissenschaftler David Begrich etwa sagte der Taz: »Es fehlen jene aus einem explizit linken Koordinaten­system, die sich auf dort vertretene rechte Positionen zubewegen.« Linke seien immun gegen Vorstellungen von »jüdisch imaginierten Weltenlenkern«. Anselm Lenz, der Initiator der Proteste in Berlin, sei zwar als Autor der Taz der linken Subkultur zuzuordnen, hätte sich jedoch bereits vorab durch antifeministische Ansichten als rechts entlarvt, so die Zeitung. Ebenso hätten Impfgegner und Esoteriker das linke Milieu längst verlassen. Der Politikwissenschaftler Lars Rensmann sprach hingegen in einem Interview mit der Welt von einer »antidemokratischen Querfront«, die sich bereits bei den »Montagsmahnwachen« und Pegida ­gezeigt habe. Auch die Bundestagsfraktion der Grünen schloss sich der Auffassung an, dass eine Querfront entstanden sei. Das Blog Ruhrbarone warnte davor, die »Querfront gegen den Westen und die Aufklärung« als rechte Diskurs­piraterie zu verharmlosen.

Aus historischer Sicht kann man von Querfront nur sprechen, sofern sich linke und rechtsextreme Gruppen unter einer gemeinsamen strategischen Führung vereinigen.

Ob es genuin linke »Coronarebellen« gibt, bleibt umstritten. Taz und Neues Deutschland dementierten eine linke Beteiligung und sahen bei den Hygienedemonstrationen Nazis, Esoteriker und selbsternannte Liberale am Werk. Die Berliner Zeitung verwies auf Protestler aus dem Umfeld des Neuköllner Haus Bartleby als Vertreter der linken Subkultur, während die Süddeutsche Zeitung rechts- und linksextreme Antisemiten neben ­alleinerziehenden Müttern ausmachte. Das Blog Ruhrbarone wies darauf hin, dass auch Mit­glieder der Linkspartei und von Sahra Wagenknechts Truppe »Aufstehen« teilgenommen hätten.

Dass die Proteste in der extremen Rechten auf große Gegenliebe stießen, zeigte sich dagegen nicht nur an der Beteiligung von Mitgliedern der AfD und der NPD. Auch Martin Sellner, der Anführer der Identitären Bewegung Österreich, geriet ins Schwärmen. Es handele sich um eine »bunte kritische Masse aus Patrioten, Impfkritikern, Wutbürgern und Antiglobalisten«, um Digitalisierungsverlierer, die eine »neue Klasse der Sinnlosen« bildeten. Dieses Milieu stehe gegen den »Glo­balismus technokratischer Eliten« auf. Weder Kommunisten noch »Patrioten« seien tonangebend und die Forderungen speisten sich weder aus rechten noch aus linken Theorien. Sellner störte sich zwar am »teils tatsächlich kruden Weltbild« der Demonstranten. Aber George Soros, Bill Gates, Angela Merkel und Emmanuel Macron gelten eben auch ihm als Vertreter eines zu bekämpfenden linksliberalen Universalismus. Deshalb forderte Sellner, die Rechte solle den Wahn nicht ins Lächerliche, sondern die Demonstranten ins »national-bodenständige Lager« ziehen, auf dass sich die Neue Rechte als Führungskraft der Proteste etabliere.

Eine Art internationaler Querfront entdeckten die Süddeutsche Zeitung und die Welt: Russische, chinesische und türkische Staatsmedien verbreiteten gezielt Fehlinformation, um die Proteste anzuheizen. Die dafür empfänglichen wissenschaftsfeindlichen und antisemitischen Echokammern würden zukünftig keineswegs verschwinden, zumal Medien jener Länder sie weiterhin versorgen würden. Die Bundestagsfraktion der Grünen verfasste eine Kleine Anfrage, in der sie die Bundesregierung aufforderte, über das genaue Ausmaß und die Verbreiter verschwörungstheoretischer Inhalte auf den sogenannten Hygienedemonstrationen aufzuklären. Zudem müssten mögliche Einflusskanäle ausländischer Staaten offengelegt werden.

Dass die häufig bemühte Bezeichnung Querfront nicht nur eine Frage von rechts und links ist, versuchte die Zeit darzulegen. »Liberale Diskurse« seien von Verschwörungstheoretikern gekapert worden, die Querfront wirke bis in die sogenannte Mitte hinein. Die Zeitung verwies dabei auch auf den »Aufruf für die Kirche und die Welt – an Katholiken und alle Menschen guten Willens«, eine Botschaft einiger emeritierter wie auch noch aktiver katholischer Bischöfe von Mitte Mai, die darin davor warnten, die Pandemiemaßnahmen seien nur ein Vorwand finsterer Kräfte, um eine »Weltregierung« zu installieren.

Linke, Rechte, Liberale, Impfgegner, Esoteriker, Katholiken – gehören sie also alle zu der ominösen Querfront, von der in den vergangenen Monaten so häufig die Rede war? Oder wird der Begriff Querfront schlicht geschichts- und inhaltslos verwendet? David Begrich sprach in der Taz von einem Prozess, bei dem sich linke und rechte Positionen aufeinander zubewegten; jedoch genüge eine punktuelle Übereinstimmung linker und rechter Ansichten keineswegs, um auf die Entstehung oder Existenz einer Querfront zu schließen. Vielmehr handele es sich in den meisten Fällen um eine Übernahme linker Begriffe und Debatten durch extreme Rechte.

Historisch lässt sich die Querfrontstrategie auf den Publizisten Hans Zehrer und die Zeitschrift Die Tat zurückführen, ebenso wie auf den Staatssekretär Günther Gereke. Dieser plante 1931 ein umfassendes kredit­finanziertes Arbeitsbeschaffungsprogramm. Ein Bündnis aus Gewerkschaften, dem paramilitärischen »Stahlhelm« und Nationalsozialisten um Gregor Strasser sollte die staatlichen Maßnahmen unterstützen. Der »Gereke-Plan« war die Grundlage für die Bemühungen Kurt von Schleichers, um den Jahreswechsel 1932/1933 eine Querfrontregierung zu bilden. Erklärtes Ziel war die Spaltung der NSDAP. Die Querfront von 1932/1933 scheiterte letztlich an ihrer Pluralität. Staatliche Organe um Schleicher konkurrierten mit den Nazis des Strasser-Flügels, ­Nationalbolschewisten und auch der KPD.

Aus historischer Sicht kann man von Querfront nur sprechen, sofern sich linke und rechtsextreme Gruppen unter einer gemeinsamen strategischen Führung vereinigen. Bei den »Hygienedemonstrationen« ist kein dauerhafter organisatorischer Zusammenschluss abzusehen. Ken Jebsen, Attila Hildmann, Hooligans sowie NPD- und AfD-Mitglieder betätigen sich vor allem ­nebeneinander.

Querfrontphänomene deshalb generell als Diskurspiraterie der Rechten abzutun, wäre jedoch aus linker Sicht Selbstbetrug. Es war der Kommunist Karl Radek, der am 15. Juni 1923 vor der Kommunistischen Internationale die Einbeziehung der »deutschen Faschisten« forderte. Seine kurz danach gehaltene Rede zum Tod des Freikorps-Kämpfers Leo Schlageter löste die ­erste Querfrontdebatte in Deutschland aus. Es waren Überläufer der Linken – Otto Strasser (der Bruder Gregors), Ernst Niekisch, Fritz Wolffheim und andere –, die zu Führungsfiguren der Querfrontsekten der Weimarer Republik aufstiegen. Und auch heute sehen wir Männer und Frauen mit linker Vergangenheit an der Spitze von Protestbewegungen, welche für sich in Anspruch nehmen, jenseits von links und rechts zu stehen. Diese Zusammen­hänge theoretisch zu erfassen, wäre eine rühmliche Aufgabe für Politik­wissenschaftler und sogenannte Extremismusexperten. Die inflationäre Verwendung des Querfrontbegriffs vernebelt jedoch die Analyse.