Horst Seehofer sorgt sich um das Vertrauen in die Polizei

Eine Lektion in Vertrauen

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Es sind harte Wochen für den Heimatminister: Zuerst verabschiedete die Berliner Landesregierung ein Antidiskriminierungsgesetz, das Polizisten an Fehlverhalten hindern könnte. Dann stellte eine bislang hauptsächlich für Horoskope und rassekundliche Erwägungen im Sinne der »kritischen Weißseinsforschung« bekannte Autorin in einer Kolumne ein Gedankenspiel zur Entsorgung von Polizisten auf der Müllhalde an. Zu guter Letzt waren testosterongesättigte junge Männer nicht gewillt, sich wegen einiger Gramm Gras von übereifrigen Polizisten piesacken zu lassen, weshalb sie Polizeiautos und Schaufenster demolierten und Beamte herumschubsten.

Spätestens nach dem »Zivilisationsbruch« (Kölner Stadtanzeiger) beziehungsweise der »kleinen Kristallnacht« (Henryk M. Broder) im hochzivilisierten Stuttgart (Mercedes, Spätzle, Hanns-Martin-Schleyer-Halle) bestand also dringender Handlungsbedarf für Horst Seehofer. Eilig reiste er in die Stadt, um die Trümmer nach den »bürgerkriegsähnlichen Zuständen« (SPD-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg) zu begutachten, also einen ramponierten Kleinbus der Polizei und mehrere Scherbenhaufen. Die Anstifterin der Krawalle hatte er bereits ausfindig gemacht. »Eine Enthemmung der Worte führt unweigerlich zu einer Enthemmung der Taten und zu Gewaltexzessen, genauso wie wir es jetzt in Stuttgart gesehen haben«, schlussfolgerte der Heimatminister und drohte der Taz-Kolumnistin Hengameh Yaghoobifarah mit einer Anzeige, ohne jedoch die genaue Zahl der Taz-Leser unter den Randalierern zu nennen. Solche Details stören auch nur, will ein Minister eine wichtige staatsbürgerliche Lektion erteilen, um Schlimmes zu verhindern: dass womöglich jemand auf den Gedanken kommt, ein kritischer Blick auf die Polizei sei nicht nur dann angebracht, wenn Beamte sich in neonazistischen Prepperzellen tummeln, rassistische Post verschicken oder, wie jüngst in Sachsen, organisierte Fahrradhehlerei betreiben, sondern ohnehin selbstverständlich. Den Staatsbürgern vorauseilendes Vertrauen in die Beamten mit den »verletzlichen Seelen« (Thomas Strobl, CDU, Innenminister von Baden-Württemberg) beizubringen, ist dem Heimatminister deshalb einen Angriff auf eine Journalistin und die Presse- und Meinungsfreiheit wert.