In einem Prozess wegen der ­G-20-Proteste in Hamburg drohen den Angeklagten harte Strafen

Schuldig durch Teilnahme

Im Prozess wegen der Demonstration auf der Hamburger Elbchaussee im Rahmen der Proteste gegen den G20-Gipfel 2017 drohen den fünf Angeklagten harte Urteile.

Am Freitag sollen die Urteile im Prozess gegen fünf Teilnehmer einer Demonstration auf der Hamburger Elb­chaussee fallen, aus der heraus am 7. Juli 2017 Schaufensterscheiben eingeworfen, 19 Autos in Brand gesetzt und pyrotechnische Erzeugnisse gezündet wurden. Insgesamt gab es in Hamburg im Zusammenhang mit den Protesten gegen den G20-Gipfel im Juli 2017 bereits 449 Angeklagte, viele wurden zu harten Strafen verurteilt.

Im Gegensatz dazu ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen 157 Polizisten wegen unverhältnismäßiger Polizeigewalt gegen Demonstrierende, aber es kam zu keiner einzigen Anklage. 120 Ermittlungsverfahren gegen Polizisten wurden wegen mangelnden Tatverdachts eingestellt. Das geht aus der Antwort auf eine Große Anfrage der Fraktion der Linkspartei in der Hamburgischen Bürgerschaft vom 23. Juni hervor. »Die Ergebnisse sind wirklich ein Armutszeugnis für den Rechtsstaat und ein Freifahrtschein für Straftäter in Uniform«, sagte Deniz Çelik, innenpolitischer Sprecher der Fraktion der Linkspartei.

Der Ausgang des Prozesses wegen Teilnahme an der Demonstration auf der Elbchaussee kann auch ein Signal für folgende Prozesse sein. Kurz nach Prozessbeginn im Dezember 2018 schloss die Jugendkammer unter der Vorsitzenden Richterin Anne Meier-Göring die Öffentlichkeit gegen den Willen der Angeklagten aus, die zum Zeitpunkt der Demonstration zwischen 17 und 22 Jahren alt waren. Erst Mitte Juni ließ das Gericht die Öffentlichkeit für eine Erklärung des französischen Angeklagten Loïc S. und die Schlussplädoyers wieder zu. »Ein vermeintlich schädlicher Einfluss wurde ausdrücklich mit der kritischen Prozessbegleitung durch solidarische Strukturen wie der Roten Hilfe benannt«, sagte Kim König von der »Roten Hilfe Hamburg« der Jungle World.

Die gesamte Beweisaufnahme fand nichtöffentlich statt. Trotzdem sickerte durch, dass die für ihre Unabhängigkeit bekannte Richterin Meier-Göring die polizeilichen Einschätzungen in den Ermittlungsakten der Soko »Schwarzer Block« als »wenig verlässlich« einstufte (Jungle World 20/2019).

»Der Ausschluss der Prozessöffentlichkeit hat eine Prozessbegleitung natürlich enorm erschwert, weil wir ja außer Kundgebungen vorm Gericht nicht viel machen konnten«, sagte Werner Schrader von der »Hamburger Gruppe gegen den Elbchaussee-Prozess« der Jungle World. »Seit es wieder öffentliche Prozesstermine gibt, wird der Prozess wieder mit politischen Inhalten gefüllt, sowohl durch die Erklärung von Loïc als auch durch die Verteidigung.«

Loïc S. gab vor Gericht im ersten Termin nach Wiederzulassung der Öffentlichkeit am 17.Juni eine einstündige politische Erklärung ab, in der er das G20-Treffen und die weltweite Ausbeutung von Mensch und Natur, aber vor ­allem den Schutz des Kapitalismus durch die Justiz kritisierte. Auf Nachfrage der Jungle World betonte er, das sei der wichtigste Punkt seiner Erklärung. »In den geltenden Vorschriften in Deutschland ist es verboten, mit Schlagstöcken auf Kopfhöhe zu schlagen, ­dessen ungeachtet kann man auf Videos über Polizeigewalt Menschen sehen, denen der Schädel zertrümmert wird. Kein Polizist ist dafür gerichtlich belangt worden«, so S. »Die deutsche Regierung hat 30 000 Polizisten zur Verfügung gestellt, die sich für den Einsatz von Gewalt zur Verteidigung des G20-Gipfels legitimiert gesehen haben.

Und was ist die G20? Ein Zusammenschluss der 20 reichsten Staaten der Erde. Der Gipfel der Unterdrückung und der Herrschaft des kapitalistischen Systems.« Der »Ermittlungsausschuss Hamburg« hat die vollständige Erklärung von Loïc S. ins Internet gestellt.

Schrader sagt, dass »die Reaktionen auf Loïcs Erkärung bisher recht verhalten sind«. Loïc S. räumte in seiner Erklärung auch ein, er habe zwei Bierflaschen auf Polizisten geworfen – allerdings nicht auf der Elbchaussee, wo er gar nicht gewesen sei. »Ich bin von ruhiger Natur, aber das Gefühl der Ungerechtigkeit empört mich«, so Loic S. in seiner Erklärung. Er schildert, wie im Park hinter der Roten Flora Polizisten auf einen Mann eingeschlagen hätten.

Aus spontaner Empörung habe er daraufhin zwei Bierflaschen in Richtung der Polizisten geworfen. »Es gab gewalttätige Aktionen seitens der Polizei als Ursprung dieser Geste, ich möchte mich damit nicht entschuldigen«, so S. vor Gericht. »Umso mehr, als dass es mir nicht gelang, die Polizeibeamten zu treffen und die Flaschen daneben zu Boden fielen (wie auf dem Video zu sehen ist).« So gestand er offen ein, strafbar gehandelt zu haben – ein Grund mehr, ihm zu glauben, wenn er bestreitet, auf der Elbchaussee mitdemonstriert zu haben.
Ob S. und die anderen vier Angeklagten, vier Hessen, wegen der Teilnahme an der Demonstration auf der Elbchaussee verurteilt werden, könnte auch für die Auslegung des Demonstrationsrechts in der Rechtsprechung wegweisend sein.

Das Quartett aus Offenbach sagt, dass es die Demonstration kurz nach Beginn wieder verlassen habe, weil sie zu gewalttätig zu werden schien. Doch unabhängig davon galt für politische Demonstrationen in Anlehnung an den maßgeblichen Brokdorf-Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) von 1985 bisher die Annahme, dass jeder Einzelne nur für die ihm persönlich nachzuweisenden Taten verantwortlich gemacht werden kann. Diesen Grundsatz will die Hamburger Staatsanwaltschaft unter Berufung auf das Hooligan-Urteil des BGH von 2014 unterminieren. Darin ging es aber nicht um eine politische Demonstration, sondern um eine verabredete Prügelei unter Fußball-Hooligans.

Eine Hooligan-Schlägerei mit einer politischen Demonstration gleichzusetzen, erscheint der Staatsanwaltschaft also möglich. Denn allen Angeklagten seien der »Hamburger Gruppe zum Elbchaussee-Prozess« zufolge keine individuellen Straftaten nachgewiesen worden, »die angeblichen Tatfeststellungsvideos seien selbst nach Einschätzung von im Prozess gehörten polizeilichen Sachverständigen nicht ­beweiskräftig«. Die Vorwürfe gegen die Angeklagten basierten hauptsächlich auf »einer angeblichen Mittäterschaft durch Teilnahme an der Demonstration«. Die Staatsanwaltschaft sehe darin eine »psychologische Unterstützung und Billigung des Tatverlaufs«.

Am Freitag soll das Urteil verkündet werden. Für Loïc S. hat die Staatsanwaltschaft vier Jahre und neun Monate Haft sowie die sofortige Aussetzung der Haftverschonung gefordert.

Geändert am 10.7.2020