Anhänger des verschwörungsgläubigen Qanon-Kults könnten in den US-Kongress einziehen

Von 4chan in den Vorwahlkampf

Auch nach der Löschung zahlreicher Accounts von Qanon-Anhängern, verbreiten diese ihre Verschwörungsgeschichten weiter auf Twitter. Der Qanon-Kult könnte bald im US-Kongress vertreten sein.

Twitter verbannt Qanon-Accounts – so oder so ähnlich klangen die Meldungen in der vorvergangenen Woche. Die einschlägigen Hashtags würden nicht länger in den Trends angezeigt, Accounts, deren Inhaber federführend an der Organisation von Belästigungen beteiligt waren, unwiderruflich gelöscht.

Einem Bericht des Internetportals The Daily Beast zufolge waren jedoch viele der gesperrten User kurz darauf mit neuen Accounts wieder aktiv. Am Sonntag wurde mit #billclintonisapedo wieder ein Hashtag in den Empfehl­ungen angezeigt, der alle Merkmale einer Qanon-Kampagne trägt: Politiker der Demokratischen Partei sowie ­diverse Prominente sind einer verbreiteten Verschwörungstheorie zufolge neben vom Investor George Soros bezahlten Kommunisten Mitglieder eines streng geheimen Zirkels, der kleine Kinder missbraucht und tötet.

Mit Beginn der heißen Phase des US-Präsidentschaftswahlkampfs hatten die Qanon-Anhänger sich die Mechanismen von social media noch effektiver als bisher zunutze gemacht und beinahe täglich ihre Hashtags in die Trending-Rubrik gebracht, die Usern einen schnellen Überblick über die Themen des ­Tages bieten soll. Qanon-Accounts seien koordiniert vorgegangen, um die ­öffentliche Kommunikation zu stören, begründete ein Sprecher von Twitter das Vorgehen gegen den Verschwörungskult. Fast drei Jahre lang hatte sich Twitter an Qanon nicht gestört, was dazu beigetragen hat, dass die wirren Theo­rien mittlerweile weltweit Anhänger gefunden haben.

In den USA ist der Qanon-Kult inzwischen so verbreitet, dass er bald im Kongress vertreten sein könnte. 13 Kandidaten der Republikanischen Partei und ein unabhängiger Kandidat sind ausgewiesene Anhänger der Verschwörungstheorie. Mit hoher Wahrscheinlichkeit dürfte ab der kommenden Legis­laturperiode wenigstens eine Abgeordnete des Repräsentantenhauses dem Qanon-Kult anhängen: Marjorie Taylor Greene wird voraussichtlich im von den Republikanern dominierten 14. Distrikt von Georgia gewinnen. In einem bizarren Video nannte sie »Q«, den angeblichen whistleblower, auf den sich Qanon-Anhänger berufen, einen »Patrioten« und behauptete, viele seiner Vorhersagen seien eingetroffen – was nicht stimmt, die sensationsheischenden Ankündigungen von Massenverhaftungen aus dem Kreis der angeb­lichen Angehörigen des geheimen Zirkels und der bevorstehenden Aus­rufung des Kriegsrechts in den USA bewahrheiteten sich nicht.

Unterstützt wird Greene vom republikanischen Kongressabgeordneten Jim Jordan, der sie »genau die Art von Kämpferin, die wir in Washington brauchen«, nannte. Was von ihr nach einem Wahlerfolg zu erwarten ist, präsentierte sie in einigen Videos, die sie bei Überrumpelungsbesuchen politischer Gegner zeigen. Die demokratische Kongressabgeordnete Ilhan Omar wurde von Greene vor laufender Kamera mit der unbewiesenen Anschuldigung konfrontiert, ihren eigenen Bruder geheiratet zu haben. Den Waffengegner David Hoff, der das Massaker an der Marjory Stoneman Douglas High School in Parkland, Florida, 2018 knapp überlebte, bezeichnete sie als »von Soros ­finanzierten Feigling«. Den Massenmord während eines Open-Air-Konzerts in Las Vegas 2017 erklärte sie zu einer Inszenierung, mit der härtere Waffengesetze durchgesetzt werden sollten.

In Oregon wird Jo Rae Perkins gegen den demokratischen Senator Jeff Merkley antreten. Perkins, die nach ihrer erfolgreichen Nominierung explizit ­Qanon gedankt hatte, sei keine Anhängerin des Kultes, beeilte sich ihr Wahlteam zu erklären, woraufhin die Kandidatin weitere Qanon-Statements veröffentlichte.

Vor einigen Wochen ließ sich der ehemalige nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Donald Trump, Michael Flynn, beim Ablegen des sogenannten Qanon-Eides filmen. Die ­Republikanische Partei denkt allerdings nicht ­daran, sich vom Qanon-Kult zu distanzieren, obwohl Qanon-Anhänger in zwei Mordfällen verhaftet wurden und das FBI Qanon als Motivation für Gewalttaten »heimischer Extremisten« bezeichnete. Das dürfte auch daran liegen, dass Mitarbeiter der Trump-Regierung wie Dan Scavino, im Weißen Haus Diektor für social media und stellvertretender Stabschef für Kommunikation, öffentlich Qanon-Botschaften verbreitet haben. Ethan Zuckerman, Direktor des Center for Civic Media am Massachusetts Institute of Technology, sagte der Washington Post am Sonntag, die Trump-Regierung knüpfe »eng an das Qanon-Narrativ« an. Er erwarte zwar nicht, dass der Präsident über die Lieblingsthemen des Kults wie Pädophilie oder Satanismus sprechen werde, »aber ich erwarte, dass ich fast alles andere hören ­werde«.

Begonnen hatte das Ganze im Oktober 2017 auf dem Imageboard 4chan. Dort behauptete eine noch immer unbekannte Person, dass Hillary Clinton noch Ende des Monats verhaftet werde. Dass daraus ein internationaler Kult wurde, liegt an etwas, was man auch bei der Demonstration der Coronaleugner am Samstag in Berlin beobachten konnte: Eine erschreckend große Anzahl Menschen glaubt gern alles, was in ihre Weltsicht passt, und ist dann für Fakten nicht mehr zugänglich. Von der Bühne in Berlin wurde verkündet, nach Angaben der Polizei seien 1,3 Mil­lionen Teilnehmer bei der Demonstration gewesen? Dann ist das auch so, und wenn der offizielle Twitter-Account der Berliner Polizei zwei Stunden später verbreitet, es seien nur 17 000 gewesen, ist das bloß ein Zeichen, dass dieser genau so lügt wie die Medien und User, die zum Vergleich Fotos der Loveparade von 2001 mit tatsächlich mehr als einer Million Teilnehmern posteten.

Noch vor einigen Jahren wäre es folgenlos gewesen, wenn Menschen beispielsweise an drastisch übertriebene Besucherzahl einer Veranstaltung ­geglaubt hätten – nun aber, da es eine große Anzahl von Profiteuren solcher komplett faktenfreier Propaganda gibt, können diese inbrünstig geglaubten Lügen Wahlen beeinflussen.