Die Filmbiographie »Jean Seberg – Against All Enemies«

Kurzatmige Geschichte

Sie war nicht nur das Gesicht des Kinos der Nouvelle Vague, sondern auch eine politisch denkende Person: Jean Seberg unterstützte öffentlich die Black-Panther-Bewegung und wurde vom FBI überwacht. Benedict Andrews Filmbiographie »Jean Seberg – Against All Enemies« stilisiert sie nun zur Märtyrerin der politischen Kämpfe in den sechziger Jahren.

Wirklich zum Kotzen. Michel (Jean-Paul Belmondo), auf dem Straßenpflaster liegend, tödlich verwundet, eine Pistolenkugel im Leib, schneidet Grimassen: ein schiefes Grinsen, ein breiter Kussmund. Dann haucht er seine letzten Worte: »C’est vraiment dégueulasse« – es ist wirklich zum Kotzen. Dann stirbt er. Patricia (Jean Seberg) steht über ihm, versteht als US-Amerikanerin in Paris solchen Jargon nicht und fragt nach, was er gesagt habe. Ein Passant vermittelt eifrig, übersetzt aber falsch: »Il a dit, vous êtes vraiment une dégueulasse« – Sie sind wirklich zum Kotzen. Es folgt eine Großaufnahme von Patricia / Seberg, die fragend in die Kamera und in die Welt schaut: »Qu’est ce que c’est, dégueulasse?« Sie streicht sich mit dem Daumen über die Oberlippe, wie es einst Humphrey Bogart tat und dann auch Belmondo; dann dreht sie der Kamera den Rücken zu. Und die Welt gerät »à bout de souffle« – außer Atem, wie auch der Filmtitel lautet.

Wenn man sich frühe Interviews mit Jean Seberg anschaut, sieht man eine Frau, die noch auf die borniertesten und pietätlosesten Fragen europäi­scher Journalisten mit einer Mischung aus entwaffnender Offenheit, amerikanischer Höflichkeit und selbstbestimmtem Nachdruck antwortet.

Fortan wird nichts mehr sein, wie es vor 1960 war, das Kino, die Gesellschaft, weder in Europa noch in den USA. Patricia, die im Film Michel neckte, ihn liebte und ihn schließlich verriet, versteht auf einmal, wogegen sich dieser aufzulehnen versuchte: jene direkt vor ihrer Nase aus dem Off vorpreschende selbstgefällige Bürgerlichkeit, in der die Liebe ­eines kinoverrückten Gangsters und einer journalistisch ambitionierten Studentin keinen Platz findet.

Dass gefährlich lebt, wer sich vorwagt, zeigt auch die Biographie Sebergs: Ihre Filmkarriere begann 1957 als Jeanne d’Arc in Otto Premingers »Saint Joan« (»Die heilige Johanna«). Am 8. September 1979, 19 Jahre nach »À bout de souffle«, wird Jean Seberg, die tagelang als vermisst galt, in Paris tot aufgefunden. Augenscheinlich handelt es sich um Selbstmord. Doch die genauen Todesumstände sind bis heute nicht geklärt und bieten Anlass zur Spekulation. Denn Seberg, deren Karriere zwischen Frankreich und den USA pendelte, war eine entschiedene Unterstützerin der Black Panther Party (BPP). Damit zog sie das unheilvolle Interesse des FBI und seines Counterintelligence Program (Cointelpro) auf sich.

Das geheime Programm richtete sich gegen politische Dissidenten, schwarze Bürgerrechtler und Vietnamkriegsgegner, mit dem nicht näher spezifizierten Ziel, diese auszuschalten. »Jean Seberg war eine Geldgeberin der BPP und sollte neutralisiert werden«, heißt es in den nach ihrem Tod veröffentlichten Dokumenten des FBI. Die öffentliche Unterstützung der Black Panther Party durch den international bekannten Star des Kinos der Nouvelle Vague erschien dem FBI als unberechenbare politische Gefahr.

FBI-Agent Jack Solomon (Jack O’Connell) überwacht Seberg im Rahmen des Counterintelligence Program

Bild:
2019 PROKINO Filmverleih GmbH

Seberg war von 1969 bis 1972 Ziel von Ermittlungen des FBI, das ihre Telefongespräche und Bankkonten überwachte. Zugleich begann eine mediale Hetzkampagne gegen Seberg, die mit dem französischen Autor Romain Gary verheiratet war und 1970 ihr zweites Kind erwartete. Um ihr öffentliches Ansehen und ihren Ruf zu schädigen, setzte das FBI über die Boulevardpresse das Gerücht in Umlauf, das Kind stamme aus einer Affäre mit dem Lehrer und BPP-Mitglied Raymond Hewitt. Seberg, die im siebten Monat schwanger war, erlitt durch die psychische Belastung eine Frühgeburt, das Kind starb zwei Tage später. Die Beisetzung hielt Seberg an einem offenen Sarg ab, um vor der Presse zu demonstrieren, dass Hewitt nicht der Vater des weißen Kindes sein konnte. In der Folgezeit unternahm sie mehrere Suizidversuche.

Mit dem Film »Seberg«, der jetzt unter dem Titel »Jean Seberg – Against All Enemies« in die deutschen Kinos kommt, wollte der theater- und opernversierte australische Regisseur Benedict Andrews der Schauspielerin (dargestellt von Kristen Stewart) ein filmisches Denkmal setzen. Aber ­eigentlich hat er ein Martyrium zum Thema gemacht. Die Eröffnungssequenz rekapituliert die berüchtigte Scheiterhaufenszene aus Premingers »Saint Joan«, von der Seberg wegen eines Defekts am Set tatsächlich Verbrennungen davontrug. Tolle Alle­gorie, muss sich Benedict Andrews gedacht haben, lassen wir die heilige Jean brennen für die politischen Verfehlungen der Sechziger und ihre persönlichen obendrein. Und schon wird es problematisch. Denn was in der Rückschau auf Sebergs Karriere, ihre Persönlichkeit und politische Einstellung tatsächlich wie eine unheilvolle Vision erscheint, ist mit dem starren Korsett einer Filmbiographie nicht recht vereinbar. Dieses erfordert, dem Ineinander persönlicher und historischer Ereignisse nachträglich Sinn abzupressen. Ähnlich verhält es sich mit dem Genre der Enthüllungsstory, das vorgibt, endlich aufzudecken, wie es nur so weit kommen konnte. Bei »Seberg« hat man es mit einer Mischung beider Formen zu tun, das komplexe Verhältnis von privaten und historischen Umbrüchen wird dennoch vergröbert.

Wo ein Film sich an lückenloser Rekonstruktion versucht, verengt sich letztlich die ästhetische Erfahrung und damit auch die historische Perspektive. Die unheimliche und zugleich so attraktive Prämisse, dass sich im Leben der Jean Seberg Filmkarriere, Kino und Politik auf rätselhafte Weise beeinflussten, wird zugunsten eines vereinfachenden Plots aufgegeben: Punkt eins, Jean Seberg wird im Film zu einem naiven blonden Dummerchen gemacht, sie weiß nichts von Politik, will aber mitmischen. Punkt zwei, wahrscheinlich steht sie einfach auf schwarze Typen. Punkt drei, das FBI ist gar nicht so bösartig, es gibt da nämlich einen jungen, noch nicht vollends verdorbenen Agenten, der wahre Begeisterung für Seberg entwickelt. Punkt vier, wagt es der junge Beamte trotzdem nicht, gegen den Corpsgeist der Behörde aufzubegehren. Punkt fünf, Seberg wird von der Ehefrau des BPP-Mitglieds Hewitt abgekanzelt und dazu angehalten, mal ihre Privilegien zu checken.

Das soll dramatisch wirken und verrät doch mehr über die politische Gegenwart als über die späten Sech­ziger. Nicht dass damals alles besser gewesen wäre. Die Black Panthers brachten prominente Anführer wie Eldridge Cleaver hervor, den man wegen seiner Ausführungen über den revolutionären Akt der Vergewaltigung zum Kotzen finden muss, zugleich aber auch so scharfsinnige Denker wie Fred Hampton.

Dieser proklamierte er in einer berühmt ­gewordenen Rede: »Wir werden Rassismus nicht mit Rassismus bekämpfen, sondern mit Solidarität. Wir sagen, wir werden den Kapitalismus nicht mit dem schwarzen Kapitalismus bekämpfen, sondern wir werden ihn mit dem Sozialismus bekämpfen.« Hampton war maßgeblich an der Gründung der Rainbow Coalition beteiligt, einem Verband von Schwarzen, Weißen, Puerto-Ricanern und Native Americans aus den Armenvierteln Chicagos. Dass die weiße kommunistische Hillbilly-Jugend von Chicago, Kinder aus dem Süden eingewanderter Landarbeiter, nicht auf die Konföderiertenflagge verzichten wollte, akzeptierte Hampton. Was in den Sechzigern noch intakt schien, war die Hoffnung, dass Leute, ungeachtet ihres Hintergrunds, zueinander finden, um gemeinsam das Richtige zu tun. Die historische Jean Seberg, in all ihrer vermeintlichen Rätselhaftigkeit, dürfte da keine Ausnahme gewesen sein.

Keinerlei Gewissheiten: Seberg vor dem Spiegel

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Die junge weiße Frau aus dem beschaulichen Iowa, die auszog, um ihrem Idol Marlon Brando nachzueifern und Schauspielerin zu werden, war sicherlich nicht jene naive Jetsetterin, die alles als großes Spiel sah, bis sie gewissermaßen selbstverschuldet den Verstand verlor. Wenn man sich frühe Interviews mit Jean Seberg anschaut, sieht man eine Frau, die noch auf die borniertesten und pietätlosesten Fragen europäischer Journalisten mit einer Mischung aus entwaffnender Offenheit, amerikanischer Höflichkeit und selbstbestimmtem Nachdruck antwortet. Sie ist auch keine politische Märtyrerin der Sechziger. Wenn Seberg eines wollte, dann wohl eine Welt ohne Märtyrertum und Leid. Sie tat, was sie tat, aus einem universalen Verständnis von Richtig und Falsch.

Wie sehr Seberg unter dem Verhalten des FBI und der Presse gelitten hat, will Benedict Andrews in seinem Film zeigen. Ein fadenscheiniger Versuch, der noch dazu auf ein völlig deplatziertes Happy End zusteuert. Es gibt eine seltsame Aussprache zwischen Seberg und dem jungen FBI-Agenten, der Gewissensbisse hat. Er gesteht Seberg, dass sie abgehört wurde, woraufhin diese ihn wegschickt und sich erleichtert lächelnd zurücklehnt – Abblende. Ein solches Ende möchte Gewissheit transportieren. Bleibt zu hoffen, dass sich schon bald niemand mehr an diesen Schluss erinnern wird. Die Seberg am Ende von »À bout de souffle«, die zugleich die filmische und die politische Seberg ist, hatte keinerlei Gewissheit, warum die Welt so ist, wie sie ist. Sie hatte nur eine Frage, die an alle gerichtet war: »Qu’est ce que c’est, dégueulasse?« Danach wusste sie, was zu tun das Richtige war.

Jean Seberg – Against All Enemies (USA, GB 2019). Regie: Benedict Andrews, Buch: Joe Shrapnel, Anna Waterhouse, Darsteller: Kristen Stewart, Jack O’Connell, Anthony Mackie. Filmstart: 17. September