Der nahe Osten – eine Kolumne über die sächsischen Verhältnisse: Grüne und SPD bildeten mit der CDU die Landesregierung. Es wurde ein Trauerspiel

Von Ungarn nach Belarus

SPD und Grüne machen sich zu Handlangern der autoritären Formierung
Kolumne Von

Realpolitik ist ein hinterhältiges, schmutziges Spiel. So manchem, der sich wider besseres Wissen darauf eingelassen hat, wird das in Sachsen derzeit wohl gerade wieder schmerzhaft bewusst. Schließlich haben auch einige Linke im vergangenen Jahr bei der Landtagswahl die Grünen oder die SPD gewählt, um eine Regierungsbetei­ligung der AfD, ergo »den Faschismus«, zu verhindern und die schwarz-grün-rote Koalition zu ermöglichen. Der Wahlkampf war von Kampagnen begleitet worden, die das als Rettung der Demokratie bewarben. Dass die sächsische Union rechter und autoritärer ist als so mancher westdeutscher AfD-Landesverband, interessierte dabei wenig. Das Ziel wurde erreicht: Grüne und SPD bildeten mit der CDU die Landesregierung, getragen von der Hoffnung vieler, sie könnten so die sächsischen Verhältnisse zum Tanzen bringen.

Es wurde, wenig überraschend, ein Trauerspiel. Einmütig lehnten die Koalitionsparteien Mitte September einen Antrag der Linkspartei ab, 500 Flüchtlinge aus dem abgebrannten griechischen Flüchtlingslager Moria aufzunehmen, obwohl im Freistaat derzeit die Hälfte der 3 700 Plätze in Erstaufnahmeeinrichtungen nicht belegt sind. SPD und Grüne hätten »den Koalitionsfrieden über das menschenrechtlich einzig Gebotene gestellt«, kritisierte der sächsische Flüchtlingsrat. Die Landtagsabgeordnete Petra Čagalj Sejdi (Grüne) bat um Verständnis: Die Ablehnung sei ihr nicht leicht gefallen, aber eine Zustimmung zu dem Antrag hätte Nachverhandlungen mit den Koalitionspartnern unmöglich gemacht. Die Co-Landesvorsitzende der Grünen, Christin Furtenbacher, wies die Kritik deutlicher zurück: »Ohne uns Grüne in der Koalition gäbe es weder den Koalitionsvertrag noch die Umsetzung unserer Ziele.«

Was Furtenbacher als Erfolg ihrer Partei verkauft, ist die Aufnahme von gerade einmal 150 Flüchtlingen bis zum Jahr 2024, die im Koa­litionsvertrag vereinbart wurde. Man kämpfe aber weiter für jeden einzelnen Menschen, betonte Sejdi. Wie das in einer Koalition mit der sächsischen CDU möglich sein soll, deren Vorsitzender, der Ministerpräsident Michael Kretschmer, bereits vor fünf Jahren die Flüchtlingspolitik des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán ­gelobt hatte, gerade als dieser begonnen hatte, Stacheldrahtzäune an der Grenze zu Serbien zu errichten, erklärte sie nicht.

Während man sich – auch ohne die AfD an der Macht – in der Flüchtlingspolitik an Ungarn orientiert, scheinen manche im Apparat des Freistaats in anderen Menschenrechtsfragen bereits weiter gen Osten zu blicken und sich Belarus zum Vorbild zu nehmen. »Schubs mich und du fängst dir ’ne Kugel!« Diesen Spruch, gut dokumentiert auf mehreren Videos, bekamen Teilnehmer einer anti­rassistischen Demonstration in Dresden in der vorvergangenen Woche vom polizeilichen Einsatzleiter zu hören. Zudem legte dieser die Hand an seine Waffe. Der Beamte stand dabei einer Reihe vermummter Demonstranten gegenüber, die sich hinter einem Transparent verschanzten und ihn ihrerseits anpöbelten. Zuvor hatten sie einen Rauchtopf gezündet, den der Einsatzleiter leger mit dem Fuß wieder in Richtung der Demonstration kickte, wie in den ­Videos zu sehen ist.

In Stellungnahmen der Polizei las sich das dann so: Der Einsatzleiter habe den Rauchtopf als Beweismittel sichern wollen und sei dann von bis zu 30 Personen umringt, bedrängt und gestoßen worden. Die Hand an der Waffe sei nötig gewesen, damit die Demonstranten ihm diese nicht entreißen konnten. Das ist eine dreiste Lüge, wie die Videos zeigen. Die Staatsanwaltschaft Dresden sah zunächst keinen Anlass für Ermittlungen. Und wie verhielt sich der Ministerpräsident? »Man darf Aktion und Reaktion nicht verwechseln«, so Kretschmer. Es sei eine »furchtbare, gewalttätige« Situation gewesen, bei den Demonstranten habe es sich um »potentielle ­Angreifer und Gewalttäter« gehandelt. Der Beamte habe sich korrekt verhalten, bedauere allerdings den Spruch. Am Freitag teilte die Staatsanwaltschaft Dresden dann doch mit, Ermittlungen gegen den Beamten wegen des Vorwurfs der Bedrohung einzuleiten. Man darf auf den Ausgang gespannt sein.

Die Initiative »Seebrücke« als Organisatorin der Demonstration fand deutliche Worte: Drohe die »Polizei als Teil der staatlichen Exekutive« unbewaffneten Menschen mit der Erschießung, sei die »Demokratie in Gefahr«. Es ist hinlänglich bekannt, dass die Exe­kutive in Sachsen nicht erst seit dem Vorfall in Dresden eine solche Gefahr darstellt, sei es durch Untätigkeit bei rassistischer Gewalt oder durch eigene Verbindungen ins extrem rechte Milieu. Wie sehr sie selbst politisch agiert, machte jüngst eine Kleine Anfrage der Linkspartei erneut deutlich: So eröffnete die »Soko LinX« im ersten Halbjahr 2020 insgesamt 335 Ermittlungsverfahren. Die 40 Beamten der »Soko Rex« hingegen leiteten im selben Zeitraum nur 20 Ermittlungsverfahren ein, und das, obwohl es im Freistaat zu durchschnittlich 300 rechten Gewalttaten im Jahr kommt, wie die Statistik der Beratungsstelle für Opfer rechtsextremer Gewalt, RAA Sachsen, zeigt. Aber vielleicht wurden ja auch die Zahlen der Ermittlungsverfahren in der Koalition vereinbart – 20 Verfahren sind schließlich besser als keines, wenn man der Logik der Grünen folgt.